18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil06.04.2006

Klagen gegen Planfest­stel­lungs­be­schluss "Stuttgart 21" erfolglosMilli­a­r­den­schwerer Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes kann beginnen

Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg hat die Klagen von drei Klägern gegen das Projekt "Stuttgart 21" abgewiesen. Mit diesen Klagen hatten sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie zwei Wohnungs­ei­gentümer gegen den Planfest­stel­lungs­be­schluss des Eisenbahn-Bundesamtes - Außenstelle Karlsruhe/Stuttgart - vom 28.01.2005 gewandt.

Das mit diesem Beschluss planfest­ge­stellte Vorhaben „Projekt Stuttgart 21“ (künftig: „S 21“), Planfest­stel­lungs­ab­schnitt 1.1, ist Teil der Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart und Bestandteil der insgesamt ca. 175 km langen Aus- und Neubaustrecke Stuttgart-Ulm-Augsburg. Es umfasst die Talquerung und die Errichtung eines neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs. Der bestehende 16-gleisige Kopfbahnhof soll in einen 8-gleisigen tiefergelegten Durch­gangs­bahnhof umgewandelt werden.

Die mündliche Urteils­be­gründung des Vorsitzenden Richters lässt sich so zusammenfassen:

Ein wesentlicher Streitpunkt der Klageverfahren sei die planerische Rechtfertigung des Vorhabens. Der Senat erkenne die im Planfest­stel­lungs­be­schluss genannten Ziele als legitim an, so insbesondere die mit „S 21“ verfolgte Bereitstellung einer leistungs­fähigen Schie­ne­n­in­fra­s­truktur und die Verknüpfung mit dem Landesflughafen, die Anbindung der Filderregion und der Neuen Messe. Auch das Alter­na­tiv­konzept der Kläger wolle diesen Anforderungen gerecht werden und sehe insoweit ebenfalls einen verkehrlichen Bedarf. Zulässigerweise strebe das planfest­ge­stellte Vorhaben „weitere Ziele“ an, vornehmlich die Schaffung städtebaulicher Entwick­lungs­mög­lich­keiten auf etwa 100 ha Fläche im Stuttgarter Talkessel, die nach Entfernung der Gleisanlagen frei würden.

Entgegen der Ansicht der Kläger stelle „S 21“ keinen planerischen Missgriff dar. Es sei nachgewiesen, dass ein 8-gleisiger Durch­gangs­bahnhof nicht nur den bis zum Jahr 2015 prognos­ti­zierten Verkehr bewältigen könne, sondern auch Leistungs­re­serven für den Fall einer zukünftigen Verkehrszunahme vorhalte. Dass der Planfest­stel­lungs­be­schluss im Tiefbahnhof Dieselverkehr im Regelbetrieb ausschließe, lasse die planerische Rechtfertigung nicht entfallen. Auch zur Realisierung eines vollkommenen Integralen Taktfahrplans (ITF) sei die Bahn gesetzlich nicht verpflichtet.

Die nicht abschließend beantwortete Frage der Finanzierung des Projekts „S 21“ stehe der Rechtmäßigkeit des Planfest­stel­lungs­be­schlusses nicht entgegen. Die Planung sei objektiv reali­sie­rungsfähig, die Finanzierung nicht ausgeschlossen. Die Rahmen­ver­ein­barung vom November 1995 zwischen der Deutschen Bahn als Vorha­ben­trägerin, der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Baden-Württemberg, der Landes­hauptstadt Stuttgart und dem Verband Region Stuttgart lasse die grundsätzliche Bereitschaft erkennen, die erforderlichen Mittel aufzubringen.

Dem Eisenbahn-Bundesamt habe sich eine Beibehaltung des Kopfbahnhofs mit den von den Befürwortern des Projekts vorgesehenen Verbesserungen (künftig: „K 21“) nicht als vorzugswürdige Alternative aufdrängen müssen. Es sei bereits zweifelhaft, ob das Projekt „K 21" eine Alternative zu „S 21“ sein könne. „K 21“ werde zwar grundsätzlich den verkehrlichen Zielen einer Modernisierung des Eisen­bahn­k­notens Stuttgart gerecht, wenn auch mit Abstrichen bei der Anbindung des Landes­flug­hafens, der Neuen Messe und der Filderregion. „K 21“ trage aber nur in vergleichsweise geringem Umfang zu den „weiteren Zielen“ u. a. der Schaffung neuer städtebaulicher Entwick­lungs­flächen bei. Der von den Klägern in den Vordergrund gestellte Vorzug einer Tauglichkeit von „K 21" für eine Vollstufe eines Integralen Taktfahrplans hält der Senat für widerlegt. Infolge des verengten Zu- und Ablaufs der Züge im Knoten Stuttgart käme es zu teilweise unattraktiven Wartezeiten.

Die Anbindung des Landes­flug­hafens, der Neuen Messe und der Filderregion gelinge „S 21“ insgesamt besser. Der Fildertunnel schaffe insoweit eine direkte Verbindung zum neuen Hauptbahnhof, während das Projekt „K 21“ diesen Verkehr von der Neubaustrecke über den Flughafen und die alte und zu modernisierende Gäubahnstrecke zum Kopfbahnhof führen wolle. Für insgesamt bis zu 50.000 Aus-, Ein- und Umsteiger am Tag sehe „S 21“ neben der für den Fern- und Regionalverkehr auszubauenden S-Bahn-Station am Flughafen („Station Terminalbereich“) einen weiteren zweigleisigen Fernbahnhof an der Neubaustrecke vor. Unter den Bedingungen des verengten und kanalisierten Zulaufs auf den Stuttgarter Hauptbahnhofs sei „S 21“ auch wesentlich flexibler und belas­tungs­fähiger.

Beim Vergleich der Alternativen verkenne der Planfest­stel­lungs­be­schluss nicht, dass „S 21“ deutlich umfassendere und tiefer reichende Eingriffe in das Privateigentum, in denkmal­ge­schützte Gebäude und Anlagen, in das Grundwasser, in Natur und Landschaft und weitere geschützte Rechtsgüter verursache, die nur zu einem Teil durch die zahlreichen im Planfest­stel­lungs­be­schluss vorgesehenen Auflagen minimiert oder ausgeglichen werden könnten. Dass „K 21“ insoweit eindeutig vorzugswürdig sei, verleihe dieser Alternative bei einem Gesamtvergleich mit „S 21“ aber kein eindeutiges Übergewicht. Es sei vor dem Hintergrund des planerischen Freiraums, den die Rechtsordnung einem Vorhabenträger zugestehe und der mithin die Kontroll­be­fugnis der Gerichte begrenze, nicht zu beanstanden, dass die Vorha­ben­trägerin sich wegen der verkehrlichen Vorzüge und wegen der neuen städtebaulichen Entwick­lungs­mög­lich­keiten nahe der Stuttgarter City für „S 21“ entschieden habe.

Schließlich liege kein Rechtsmangel des Planfest­stel­lungs­be­schlusses darin, dass der Vorhabenträger und das Eisenbahn-Bundesamt in den Alter­na­ti­ven­ver­gleich nicht auch die Kosten für „S 21“ und „K 21“ einbezogen hätten. Die Prüfung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses obliege der Vorha­ben­trägerin und den sich an der Finanzierung beteiligenden Körperschaften im Rahmen ihrer Finanz- bzw. Haushalts­ver­ant­wortung. Überdies hätte in einen Kostenvergleich einfließen dürfen, dass nur „S 21“ den Bahnknoten Stuttgart nahezu vollkommen erneuere, während „K 21“ teilweise auf alte Anlagen zurückgreife, die nach Auffassung der Vorha­ben­trägerin früher oder später mit zusätzlichem Kostenaufwand saniert werden müssten. Auch stehe dem Kostenaufwand für „S 21“ der Gewinn großer städtebaulicher Entwick­lungs­mög­lich­keiten gegenüber. Keinen Erfolg hatten die Kläger auch mit ihren jeweils individuellen Einwänden.

Im Verfahren 5 S 848/05 habe sich der Senat davon überzeugt, dass ein Abriss des Hauses, in dem der Kläger Wohnungs­ei­gentümer sei und in dessen Fundament bei den Bauarbeiten am sog. Südkopf eingegriffen werde, nicht bzw. nur mit völlig unver­hält­nis­mäßigen Aufwendungen vermieden werden könne.

Der Kläger im Verfahren 5 S 847/05, der infolge der Verlegung der Stadtbahn-Tunnelröhren in der Heilbronner Straße voraussichtlich durch erschüt­te­rungs­be­dingten, in seiner Wohnung auftretenden sekundären Luftschall beeinträchtigt werde, habe keinen Anspruch auf einen besseren Schutz als ihn der Planfest­stel­lungs­be­schluss mit der Dimensionierung der Tunnelröhren für den Einbau von dämpfenden Unter­schot­ter­matten bereits vorsehe. Entgegen der Auffassung der Anhörungs­behörde (des Regie­rungs­prä­sidiums Stuttgart) habe sich der Planfest­stel­lungs­be­schluss insoweit an einem Wert von 30 dB(A) in Schlafräumen orientieren dürfen. Die für die Beurteilung von sekundärem Luftschall in Gebäuden maßgeblichen niedrigeren Richtwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) eigneten sich als Orien­tie­rungswerte letztlich nicht, weil sie Gewerbelärm beträfen und deshalb das für die Bestimmung der Zumut­ba­r­keits­schwelle beachtliche öffentliche Interesse an einem Ausbau und an einer Modernisierung des Schie­nen­verkehrs nicht berück­sich­tigten. Auf die Berück­sich­ti­gungs­fä­higkeit eines sog. Schienenbonus beim sekundären Luftschall sei es in dem Verfahren nicht angekommen.

Auch die Vereinsklage des BUND im Verfahren 5 S 596/05 blieb ohne Erfolg. Der mehrfach überarbeitete und letztlich auch von den Natur­schutz­fach­be­hörden getragene landschafts­pfle­ge­rische Begleitplan sei nicht zu beanstanden. Mit der Erweiterung des Unteren Schlossgartens, der Anlage eines mehrere Hektar umfassenden Trockenbiotops im Bereich des Wartungs­bahnhofs für die zur Zeit im Gleisfeld lebenden, teilweise seltenen Tier- und Pflanzenarten und mit Aufwer­tungs­maß­nahmen im Mussenbachtal würden die zutreffend ermittelten Eingriffe den gesetzlichen Anforderungen entsprechend kompensiert.

Quelle: ra-online, VGH Baden-Württemberg

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