21.11.2024
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Sozialgericht Braunschweig Urteil09.04.2014

Jobcenter muss Kosten für Besuchsfahrten zum inhaftierten Sohn übernehmenFahrten zum Gefängnis stellen besonderen Bedarf dar

Das Sozialgericht Braunschweig hat entschieden, dass das Jobcenter die Kosten, die einer Leistungs­empfängerin für die Besuchsfahrten zu ihrem inhaftierten Sohn entstanden sind, übernehmen muss.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin und ihr Ehemann bildeten zusammen mit ihrem 1991 geborenen Sohn eine so genannte Bedarfs­ge­mein­schaft. Im Januar 2012 wurde ihr Sohn zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, seit April 2012 befindet er sich in der Jugendanstalt in Hameln. Die Eltern besuchen ihren Sohn dort mindestens zwei Mal im Monat. Der Ehemann der Klägerin leidet an einer Angststörung. Aus gesund­heit­lichen Gründen kann er öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen.

Klägerin beantragt Übernahme der Fahrtkosten durch Jobcenter

Im Mai 2012 beantragte die Klägerin beim Jobcenter die Übernahme der Kosten für die Fahrten mit ihrem PKW zur Jugendanstalt in Hameln. Es sei ihr nicht möglich, die dafür anfallenden Kosten aus den laufenden Zahlungen des Jobcenters zu bestreiten. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab. Es sei für die Klägerin zumutbar, die Kosten aus dem Regelsatz zu bestreiten. Das dagegen durchgeführte Wider­spruchs­ver­fahren blieb erfolglos. Im August 2012 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Braunschweig Klage gegen die ablehnende Entscheidung des Jobcenters.

SG verurteilt Jobcenter zur Kostenübernahme

Das Sozialgericht Braunschweig gab der Klägerin Recht und verurteilte das Jobcenter zur Übernahme der Fahrkosten. Dabei hat die Kammer bei der Berechnung des Anspruchs eine Kilome­ter­pau­schale in Höhe von ,10 Euro zugrunde gelegt, mithin 23,60 Euro je Fahrt.

Besuchsfahrten der Eltern zu ihrem Sohn zur Aufrecht­er­haltung des Famili­en­zu­sam­menhalts erforderlich

Die Kammer sieht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung der Fahrkosten als erfüllt an. Gesetzliche Grundlage für den Anspruch ist § 21 Absatz 6 Zweites Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB II). Bei den Fahrten zum Gefängnis handele es sich um einen besonderen Bedarf, der nicht typischerweise bei SGB II-Leistungs­be­ziehern auftrete. Die Besuchsfahrten der Eltern zu ihrem Sohn sind nach Ansicht der Kammer auch erforderlich, um den Famili­en­zu­sam­menhalt aufrecht zu erhalten und für eine soziale Integration nach Ende der Haft vorzusorgen. Es sei der Klägerin auch nicht zuzumuten, die Kosten für die Fahrten aus der ihr zur Verfügung stehenden Regelleistung anzusparen. Es handele sich bei den entstehenden Kosten in Höhe von 47,20 Euro monatlich nicht um einen "Bagatellbetrag."

§ 21 Absatz 6 Zweites Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB II):

Bei Leistungs­be­rech­tigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berück­sich­tigung von Einspa­r­mög­lich­keiten der Leistungs­be­rech­tigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durch­schnitt­lichen Bedarf abweicht.

Hinweis

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte am 9. Februar 2010 entschieden, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistung betreffen, nicht den verfas­sungs­recht­lichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschen­würdigen Existenz­mi­nimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG erfüllen. So fehle es an einer Öffnungsklausel, die die Möglichkeit eines zusätzlichen Leistungs­an­spruchs einräume, mit dem ein besonderer, unabweisbarer Bedarf gedeckt werden könne. Der Gesetzgeber ist dem nachgekommen und hat (u. a.) mit § 21 Absatz 6 SGB II eine Vorschrift eingefügt, mit der besondere Lebens- und Bedarfslagen abgedeckt werden können. Als eine besondere Bedarfslage sind u. a. Kosten für familiäre Kontakte (Umgang) anerkannt.

Quelle: Sozialgericht Braunschweig/ra-online

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