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Sozialgericht Stuttgart Urteil10.01.2019

Sturz bei SegwayTour im Anschluss an kaufmännische Trainee­veranstaltung ist kein ArbeitsunfallKein Versi­che­rungs­schutz für Aktivität im abgrenzbaren Freizeit­programm im Rahmen einer Tagung

Erleidet ein Angestellter durch einen Sturz bei einer SegwayTour im Anschluss an eine kaufmännische Trainee­veranstaltung des Arbeitgebers Verletzung an Wadenbein und Sprunggelenk stellt dies keinen Arbeitsunfall dar. Dieses Ereignis steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung. Dies entschied das Sozialgericht Stuttgart.

Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls erlitt im Jahr 2016 gegen halb sechs einen Unfall, als er bei einer SegwayTour im Anschluss an eine offizielle kaufmännische Trainee-Veranstaltung seiner Arbeitgeberin, die um 15 Uhr endete, stürzte und sich Frakturen am rechten Wadenbein und Sprunggelenk zuzog. Das kaufmännische Trainee-Treffen begann nach Angaben der Arbeitgeberin, am Unfalltag um 10 Uhr und endete am gleichen Tag um 15 Uhr. An der Veranstaltung haben nach Auskunft der Arbeitgeberin insgesamt acht Personen bei einer Gesamt­be­leg­schaft von 111 Personen, alles Betrie­b­s­an­ge­hörige, teilgenommen. Von der Unter­neh­mens­leitung war ein Mitglied bis 19 Uhr anwesend.

SG verneint Vorliegen eines Arbeitsunfalls

Das Sozialgericht Stuttgart lehnte die Klage auf Feststellung des Unfalls als Arbeitsunfall ab und führte zur Begründung aus, dass nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Sozial­ge­setzbuch (SGB VII) Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) seien. Unfälle seien nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesund­heits­schaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setze daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Diese Verrichtung müsse zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt und dadurch einen Gesund­heits­erst­schaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (BSG, Urteil vom 26.06.2014, B 2 U 4/13 R).

Teilnahme an SegwayTour stellt keine Verrichtung einer versicherten Tätigkeit dar

Diese Voraussetzungen hat das Gericht verneint. Der Kläger habe zum Zeitpunkt des Sturzes und der Brüche des Wadenbeins und Sprunggelenks bereits keinen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Er sei zwar Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, habe jedoch bei der Teilnahme an der SegwayTour keine versicherte Tätigkeit verrichtet. Eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter werde dann verrichtet, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechts­ver­hält­nisses als Beschäftigter, insbesondere eines Arbeits­ver­hält­nisses, einer Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck nachgeht, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil gereichen. Ein derartiger betrie­bs­be­zogener Zweck sei nach der Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­gericht nicht auf die Erbringung der Hauptleistung beschränkt, die Gegenstand des Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses ist. Vielmehr könne er auch für eine Anzahl sonstiger Tätigkeiten angenommen werden, die dem Unter­neh­men­s­in­teresse dienen. Hierzu können z. B. Fortbil­dungs­maß­nahmen mit dem Ziel gehören, eine Verbesserung der beruflichen Leistungs­fä­higkeit im erlernten und ausgeübten Beruf zu erreichen. Eine dem Versi­che­rungs­schutz unterliegende Tätigkeit könne auch in der Teilnahme an einer betrieblichen Gemein­schafts­ver­an­staltung liegen, mit der das Unter­neh­men­s­in­teresse unterstützt wird, die betriebliche Verbundenheit zu fördern. So könne die Trainee­ver­an­staltung, die am Unfalltag um 10 Uhr begonnen und am gleichen Tag um 15 Uhr geendet habe, als eine Fortbil­dungs­ver­an­staltung im Unter­neh­men­s­in­teresse angesehen werden, weshalb insoweit für den Kläger und die anderen Trainees bei dieser Veranstaltung Versi­che­rungs­schutz bestanden habe.

Erkennbar und abgrenzbar der Unterhaltung, Entspannung und Geselligkeit dienende Programmpunkte stehen nicht unter Versi­che­rungs­schutz

Dies gelte jedoch nicht für die SegwayTour, die im offiziellen Programm als Tages­ord­nungspunkt "geführte Stadtrundfahrt auf dem Segway" von 16 bis 18 Uhr angekündigt worden sei. So bestehe für eine Aktivität, die im Rahmen einer Tagung einem abgrenzbaren Freizeit­programm zuzuordnen sei, kein Versi­che­rungs­schutz in der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung als Beschäftigter. Bei Tagungen stehen Programmpunkte, die erkennbar und abgrenzbar vom übrigen Programm der Unterhaltung, Entspannung und Geselligkeit sowie der Auflockerung der Veranstaltung dienen, nicht unter Versi­che­rungs­schutz. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landes­so­zi­al­ge­richts, auf das sich die Beklagte in ihrer Entscheidung stütze (Urteil vom 24.05.2016, L 3 U 175/13) selbst dann, wenn sie vom Arbeitgeber organisiert und finanziert worden seien und der Arbeitgeber die Teilnahme seiner Mitarbeiter erwarte. Stehen Freizeit, Unterhaltung oder Erholung im Vordergrund, fehle es an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang. Es stehe einem Arbeitgeber zwar frei, seinen Mitarbeitern entsprechende Veranstaltungen anzubieten. Er habe es dadurch jedoch nicht in der Hand, den Schutz der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung auf sonst unversicherte Tatbestände auszuweiten, und zwar auch dann nicht, wenn hierdurch die persönliche Verbundenheit einer Gruppe von Beschäftigten mit dem Unternehmen gestärkt werden würde (Bayerisches Landes­so­zi­al­gericht). So mache allein die Tatsache, dass jede gemeinsame Freizeit­be­schäf­tigung mit Kollegen und/oder Vorgesetzten mittelbar auch dem Betriebsklima zugutekomme, aus der privaten Beschäftigung keine betrie­bs­dienliche (Bayerisches Landes­so­zi­al­gericht).

Bestimmte Mindest­be­tei­ligung als Voraussetzung für Annahme einer betrieblichen Gemein­schafts­ver­an­staltung und geltenden Versi­che­rungs­schutz

Nach eigener Prüfung schloss sich das Sozialgericht dieser Rechts­auf­fassung an. Auch das Hessische Landes­so­zi­al­gericht habe in seinem Urteil vom 20.07.2015 (21720) entschieden, dass für eine Aktivität, die im Rahmen einer Führungs­kräf­te­tagung einem abgrenzbaren, freiwilligen Freizeit­pro­grammteil zuzuordnen sei, kein Versi­che­rungs­schutz bestehe. Darüber hinaus habe das Hessische Landes­so­zi­al­gericht entschieden, dass Voraussetzung für die Annahme einer betrieblichen Gemein­schafts­ver­an­staltung sei, dass eine bestimmte Mindest­be­tei­ligung gegeben und der Teilnehmerkreis nicht auf bestimmte Betrie­b­s­an­ge­hörige des Unternehmens beschränkt sei. Vielmehr sei erforderlich, um als der Gemeinschaft dienend beurteilt zu werden, dass die Veranstaltung allen Beschäftigten offenstehe. Richte sich das Teilnah­me­angebot des Unternehmens ausschließlich an eine bestimmte Gruppe von Betrie­b­s­an­ge­hörigen, so bestehe kein Unfall­ver­si­che­rungs­schutz während der Veranstaltung (Hessisches Landes­so­zi­al­gericht).

In diesem Zusammenhang habe das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 13. Dezember 2011 (L 9 U 4092/10) entschieden, dass eine objektive Teilnah­memög­lichkeit der gesamten Belegschaft an einer betrieblichen Gemein­schafts­ver­an­staltung dann nicht gegeben sei, wenn die Veranstaltung mit Gefahren verbunden sei, die erwarten lassen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Belegschaft von einer Teilnahme Abstand nehmen werde. Gleiches gelte nach Auffassung des Gerichts auch dann, wenn ein Teil der Belegschaft aus anderen Gründen an der angebotenen Teilnahme rein faktisch gehindert sei.

SegwayTour kein Teil des versicherten Tagungs­pro­gramms

Das Sozialgericht folgte dieser Rechtsprechung und kam, wie die Beklagte, aufgrund der Angaben der Arbeitgeberin des Klägers und des Klägers selbst zum Ergebnis, dass die SegwayTour nicht als Teil des versicherten Tagungs­pro­gramms und nicht als betriebliche Gemein­schafts­ver­an­staltung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung gestanden habe. Das Gericht wies abschließend darauf hin, dass das offizielle Trainee­ta­gungs­programm um 15 Uhr geendet habe und die SegwayTour auch nicht allen Betrie­b­s­an­ge­hörigen, sondern lediglich den kaufmännischen Trainees, offengestanden habe.

Quelle: Sozialgericht Stuttgart/ra-online (pm/kg)

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