18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen vier Hände, die ineinander greifen.

Dokument-Nr. 10046

Drucken
ergänzende Informationen

Sozialgericht Karlsruhe Urteil27.01.2010

SG Karlsruhe: Schmerzensgeld darf nicht auf Sozia­l­hil­fe­leis­tungen angerechnet werdenEntschä­di­gungs­zahlung hat keinen Versor­gung­s­cha­rakter und dient nicht zur Deckung des Lebens­un­terhalts

Schmerzensgeld und daraus resultierende Erträge bleiben bei der Berechnung von Sozia­l­hil­fe­leis­tungen regelmäßig anrechnungsfrei. Dies entschied das Sozialgericht Karlsruhe.

Im zugrunde liegenden Streitfall erlitt der 38jährige schwer­be­hinderte Kläger als 19jähriger einen schweren Autounfall (Schäde­l­hirn­trauma, hirnorganische Wesens­ver­än­derung). Vom Versicherer des Schädigers erhielt er 1995 eine aus Schadensersatz und Schmerzensgeld (ca. 50.000 Euro) bestehende Abfin­dungs­zahlung in Höhe von insgesamt ca. 220.000 Euro. Davon lebte er. Im April 2008 machte sein Vermögen noch knapp 30.000 Euro aus. Als voll erwer­bs­ge­minderte Person ohne Arbeits- oder Renteneinkommen beantragte er beim beklagten Sozia­l­hil­fe­träger nunmehr Leistungen der Grundsicherung bei Erwer­bs­min­derung. Der Sozia­l­hil­fe­träger lehnte den Antrag unter Hinweis auf noch vorhandenes Vermögen ab.

Schmerzensgeld soll Ausgleich für entgangene Lebensfreude ermöglichen

Das Sozialgericht Karlsruhe hat den angefochtenen Ableh­nungs­be­scheid aufgehoben und den Sozia­l­hil­fe­träger verurteilt, dem Kläger laufende Leistungen der Grundsicherung bei Erwer­bs­min­derung ohne Anrechnung des 1995 erlangten Schmer­zens­geldes zu gewähren. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, Schmerzensgeld werde im Fall der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbst­be­stimmung wegen eines Schadens gewährt, der nicht Vermö­gens­schaden ist (so genannter immaterieller Schaden). Der Verletzte solle dadurch zum einen in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehm­lich­keiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde; ihm solle also Ausgleich für entgangene Lebensfreude ermöglicht werden. Zum anderen habe das Schmerzensgeld auch Genug­tu­ungs­funktion. Es habe keinen Versor­gung­s­cha­rakter und diene nicht zur Deckung des Lebens­un­terhalts. Das Schmerzensgeld und etwaige Erträge daraus seien dem entsprechend eine Leistung, die in der Sozialhilfe regelmäßig anrechnungsfrei bleiben müssten.

Im Zweifelsfall muss von vorrangigem Verbrauch des anrech­nungs­pflichtigen Schaden­er­satz­ver­mögens ausgegangen werden

Der Nachweis von Vermögen aus Schmerzensgeld bei gemischter Schmerzensgeld- und Schaden­er­satz­zahlung obliege zwar grundsätzlich dem Vermö­gens­inhaber. Die Anforderungen an die Nachweis­füh­rungen seien aber einzel­fa­ll­ab­hängig. Sei ein sozialrechtlich nicht beratener Vermö­gens­inhaber - wie der Kläger - etwa aus gesund­heit­lichen Gründen gar nicht in der Lage gewesen, die Notwendigkeit einer getrennten Vermögensanlage in anrech­nungs­freies Schmerzensgeld und anrech­nungs­pflichtigen Schadenersatz überhaupt zu erkennen, so dürfe ihm dies nicht Jahre später anspruchs­aus­schließend vorgehalten werden. Im Zweifel sei in solch atypischen Fallkon­stel­la­tionen vom vorrangigen Verbrauch des anrech­nungs­pflichtigen Schaden­er­satz­ver­mögens auszugehen.

Quelle: Sozialgericht Karlsruhe/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil10046

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI