23.11.2024
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Dokument-Nr. 10046

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Sozialgericht Karlsruhe Urteil27.01.2010

SG Karlsruhe: Schmerzensgeld darf nicht auf Sozia­l­hil­fe­leis­tungen angerechnet werdenEntschä­di­gungs­zahlung hat keinen Versor­gung­s­cha­rakter und dient nicht zur Deckung des Lebens­un­terhalts

Schmerzensgeld und daraus resultierende Erträge bleiben bei der Berechnung von Sozia­l­hil­fe­leis­tungen regelmäßig anrechnungsfrei. Dies entschied das Sozialgericht Karlsruhe.

Im zugrunde liegenden Streitfall erlitt der 38jährige schwer­be­hinderte Kläger als 19jähriger einen schweren Autounfall (Schäde­l­hirn­trauma, hirnorganische Wesens­ver­än­derung). Vom Versicherer des Schädigers erhielt er 1995 eine aus Schadensersatz und Schmerzensgeld (ca. 50.000 Euro) bestehende Abfin­dungs­zahlung in Höhe von insgesamt ca. 220.000 Euro. Davon lebte er. Im April 2008 machte sein Vermögen noch knapp 30.000 Euro aus. Als voll erwer­bs­ge­minderte Person ohne Arbeits- oder Renteneinkommen beantragte er beim beklagten Sozia­l­hil­fe­träger nunmehr Leistungen der Grundsicherung bei Erwer­bs­min­derung. Der Sozia­l­hil­fe­träger lehnte den Antrag unter Hinweis auf noch vorhandenes Vermögen ab.

Schmerzensgeld soll Ausgleich für entgangene Lebensfreude ermöglichen

Das Sozialgericht Karlsruhe hat den angefochtenen Ableh­nungs­be­scheid aufgehoben und den Sozia­l­hil­fe­träger verurteilt, dem Kläger laufende Leistungen der Grundsicherung bei Erwer­bs­min­derung ohne Anrechnung des 1995 erlangten Schmer­zens­geldes zu gewähren. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, Schmerzensgeld werde im Fall der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbst­be­stimmung wegen eines Schadens gewährt, der nicht Vermö­gens­schaden ist (so genannter immaterieller Schaden). Der Verletzte solle dadurch zum einen in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehm­lich­keiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde; ihm solle also Ausgleich für entgangene Lebensfreude ermöglicht werden. Zum anderen habe das Schmerzensgeld auch Genug­tu­ungs­funktion. Es habe keinen Versor­gung­s­cha­rakter und diene nicht zur Deckung des Lebens­un­terhalts. Das Schmerzensgeld und etwaige Erträge daraus seien dem entsprechend eine Leistung, die in der Sozialhilfe regelmäßig anrechnungsfrei bleiben müssten.

Im Zweifelsfall muss von vorrangigem Verbrauch des anrech­nungs­pflichtigen Schaden­er­satz­ver­mögens ausgegangen werden

Der Nachweis von Vermögen aus Schmerzensgeld bei gemischter Schmerzensgeld- und Schaden­er­satz­zahlung obliege zwar grundsätzlich dem Vermö­gens­inhaber. Die Anforderungen an die Nachweis­füh­rungen seien aber einzel­fa­ll­ab­hängig. Sei ein sozialrechtlich nicht beratener Vermö­gens­inhaber - wie der Kläger - etwa aus gesund­heit­lichen Gründen gar nicht in der Lage gewesen, die Notwendigkeit einer getrennten Vermögensanlage in anrech­nungs­freies Schmerzensgeld und anrech­nungs­pflichtigen Schadenersatz überhaupt zu erkennen, so dürfe ihm dies nicht Jahre später anspruchs­aus­schließend vorgehalten werden. Im Zweifel sei in solch atypischen Fallkon­stel­la­tionen vom vorrangigen Verbrauch des anrech­nungs­pflichtigen Schaden­er­satz­ver­mögens auszugehen.

Quelle: Sozialgericht Karlsruhe/ra-online

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