Dokument-Nr. 10046
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Sozialgericht Karlsruhe Urteil27.01.2010
SG Karlsruhe: Schmerzensgeld darf nicht auf Sozialhilfeleistungen angerechnet werdenEntschädigungszahlung hat keinen Versorgungscharakter und dient nicht zur Deckung des Lebensunterhalts
Schmerzensgeld und daraus resultierende Erträge bleiben bei der Berechnung von Sozialhilfeleistungen regelmäßig anrechnungsfrei. Dies entschied das Sozialgericht Karlsruhe.
Im zugrunde liegenden Streitfall erlitt der 38jährige schwerbehinderte Kläger als 19jähriger einen schweren Autounfall (Schädelhirntrauma, hirnorganische Wesensveränderung). Vom Versicherer des Schädigers erhielt er 1995 eine aus Schadensersatz und Schmerzensgeld (ca. 50.000 Euro) bestehende Abfindungszahlung in Höhe von insgesamt ca. 220.000 Euro. Davon lebte er. Im April 2008 machte sein Vermögen noch knapp 30.000 Euro aus. Als voll erwerbsgeminderte Person ohne Arbeits- oder Renteneinkommen beantragte er beim beklagten Sozialhilfeträger nunmehr Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Der Sozialhilfeträger lehnte den Antrag unter Hinweis auf noch vorhandenes Vermögen ab.
Schmerzensgeld soll Ausgleich für entgangene Lebensfreude ermöglichen
Das Sozialgericht Karlsruhe hat den angefochtenen Ablehnungsbescheid aufgehoben und den Sozialhilfeträger verurteilt, dem Kläger laufende Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung des 1995 erlangten Schmerzensgeldes zu gewähren. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, Schmerzensgeld werde im Fall der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung wegen eines Schadens gewährt, der nicht Vermögensschaden ist (so genannter immaterieller Schaden). Der Verletzte solle dadurch zum einen in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde; ihm solle also Ausgleich für entgangene Lebensfreude ermöglicht werden. Zum anderen habe das Schmerzensgeld auch Genugtuungsfunktion. Es habe keinen Versorgungscharakter und diene nicht zur Deckung des Lebensunterhalts. Das Schmerzensgeld und etwaige Erträge daraus seien dem entsprechend eine Leistung, die in der Sozialhilfe regelmäßig anrechnungsfrei bleiben müssten.
Im Zweifelsfall muss von vorrangigem Verbrauch des anrechnungspflichtigen Schadenersatzvermögens ausgegangen werden
Der Nachweis von Vermögen aus Schmerzensgeld bei gemischter Schmerzensgeld- und Schadenersatzzahlung obliege zwar grundsätzlich dem Vermögensinhaber. Die Anforderungen an die Nachweisführungen seien aber einzelfallabhängig. Sei ein sozialrechtlich nicht beratener Vermögensinhaber - wie der Kläger - etwa aus gesundheitlichen Gründen gar nicht in der Lage gewesen, die Notwendigkeit einer getrennten Vermögensanlage in anrechnungsfreies Schmerzensgeld und anrechnungspflichtigen Schadenersatz überhaupt zu erkennen, so dürfe ihm dies nicht Jahre später anspruchsausschließend vorgehalten werden. Im Zweifel sei in solch atypischen Fallkonstellationen vom vorrangigen Verbrauch des anrechnungspflichtigen Schadenersatzvermögens auszugehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.08.2010
Quelle: Sozialgericht Karlsruhe/ra-online
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