Dokument-Nr. 15818
Permalink https://urteile.news/
- Schwere Behinderung: Sozialleistungsträger muss bei drohendem Fähigkeitsverlust Kosten für unterstützende pädagogische Maßnahmen übernehmenSozialgericht Karlsruhe, Urteil26.07.2012, S 1 SO 580/12
- SG Karlsruhe: Behinderter Mensch hat bei mangelnder Gemeinschafts- und Konzentrationsfähigkeit keinen Anspruch auf Kostenübernahme für Berufsbildungsbildungsbereich in einer BehindertenwerksattSozialgericht Karlsruhe, Beschluss22.12.2009, S 4 AL 5318/09 ER
Sozialgericht Heilbronn Urteil30.04.2013
Schwerstbehinderter muss sich im Rentenalter nicht auf eine "Tagesbetreuung für Senioren" verweisen lassenTeilhabe am gesellschaftlichen Leben nur mit personalintensiver Betreuung möglich
Ein Schwerstbehinderter muss sich nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht auf eine "Tagesbetreuung für Senioren" verweisen lassen, sondern darf im personalintensiven Betreuungsbereich bleiben. Dies geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Heilbronn hervor.
Der 66jährige Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls ist aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens geistig und körperlich schwerst-behindert. Seine Arme und Beine sind gelähmt (so genannte Tetraspastik). Seine Intelligenz ist erheblich gemindert. Weder kann er sprechen noch sich ohne fremde Hilfe mit Nahrung versorgen. Bis zum Tod seiner Mutter 1999 wurde er zuhause betreut. Da seine Leistungsfähigkeit nicht ausreichte, eine Werkstatt für Behinderte aufzusuchen, bewilligte ihm der Landeswohlfahrtsverband als Rechtsvorgänger des Landkreises Heilbronn ab Februar 2000 Eingliederungshilfe für den auf Schwerstbehinderte ausgelegten Förder- und Betreuungsbereich einer Behinderteneinrichtung. Der Landkreis Heilbronn beendete seine Kostenzusage für den Förder- und Betreuungsbereich im August 2011 (wenige Tage nach dem 65. Geburtstag des Klägers). Stattdessen gewährte er Eingliederungshilfe nur noch für die "Tagesbetreuung für Senioren" der Behinderteneinrichtung: Mit Erreichen der Altersgrenze sei er nicht mehr verpflichtet, den Kläger, soweit möglich, in das Arbeitsleben zu integrieren.
Betreuerin klagt gegen Wegfall der Eingliederungshilfe für Förder- und Betreuungsbereich einer Behinderteneinrichtung
Hiergegen wandte sich dessen Betreuerin mit ihrer vor dem Sozialgericht Heilbronn erhobenen Klage. Sie machte geltend, die "Tagesgruppe für Senioren" werde überwiegend von Behinderten aufgesucht, die bis zum 65. Lebensjahr die Werkstatt für Behinderte besucht hätten. Anders als hier seien jene Behinderten wesentlich leistungsfähiger und könnten ihren Tagesablauf sogar teils selbst strukturieren. Daher komme dort nur ein Mitarbeiter auf 12 Behinderte, im Förder- und Betreuungsbereich hingegen sei die Betreuungsdichte rund drei- bis vierfach so hoch.
SG bejaht Gewährung der Eingliederungshilfe im Förder- und Betreuungsbereich
Das Sozialgericht Heilbronn hat den Landkreis Heilbronn verurteilt, dem Kläger weiter Eingliederungshilfe im Förder- und Betreuungsbereich zu gewähren: Eine Teilhabe am Arbeitsleben sei diesem nie möglich gewesen. Demnach spiele es keine Rolle, dass er zwischenzeitlich das 65. Lebensjahr vollendet habe. Die Eingliederungshilfe hätte bei ihm von Anfang an darauf abgezielt, ihn am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Dem könne aber weiterhin nur im personalintensiven Betreuungsbereich Rechnung getragen werden.
Hinweis zur Rechtslage:
§ 53 Abs. 1 ZwölftesSozialgesetzbuch [SGB XII]; Sozialhilfe:
Personen, die durch eine Behinderung [...] wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt [...] sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. [...]
§ 53 Abs. 3 SGB XII:
Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, [...] eine Behinderung oder deren Folgen [...] zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern [...]
§ 136 Abs. 3 Neuntes Sozialgesetzbuch [SGB IX]; Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen:
Behinderte Menschen, die die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in einer Werkstatt nicht erfüllen, sollen in Einrichtungen oder Gruppen betreut und gefördert werden, die der Werkstatt angegliedert sind.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.05.2013
Quelle: Sozialgericht Heilbronn/ra-online
Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil15818
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.