Der 66jährige Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls ist aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens geistig und körperlich schwerst-behindert. Seine Arme und Beine sind gelähmt (so genannte Tetraspastik). Seine Intelligenz ist erheblich gemindert. Weder kann er sprechen noch sich ohne fremde Hilfe mit Nahrung versorgen. Bis zum Tod seiner Mutter 1999 wurde er zuhause betreut. Da seine Leistungsfähigkeit nicht ausreichte, eine Werkstatt für Behinderte aufzusuchen, bewilligte ihm der Landeswohlfahrtsverband als Rechtsvorgänger des Landkreises Heilbronn ab Februar 2000 Eingliederungshilfe für den auf Schwerstbehinderte ausgelegten Förder- und Betreuungsbereich einer Behinderteneinrichtung. Der Landkreis Heilbronn beendete seine Kostenzusage für den Förder- und Betreuungsbereich im August 2011 (wenige Tage nach dem 65. Geburtstag des Klägers). Stattdessen gewährte er Eingliederungshilfe nur noch für die "Tagesbetreuung für Senioren" der Behinderteneinrichtung: Mit Erreichen der Altersgrenze sei er nicht mehr verpflichtet, den Kläger, soweit möglich, in das Arbeitsleben zu integrieren.
Hiergegen wandte sich dessen Betreuerin mit ihrer vor dem Sozialgericht Heilbronn erhobenen Klage. Sie machte geltend, die "Tagesgruppe für Senioren" werde überwiegend von Behinderten aufgesucht, die bis zum 65. Lebensjahr die Werkstatt für Behinderte besucht hätten. Anders als hier seien jene Behinderten wesentlich leistungsfähiger und könnten ihren Tagesablauf sogar teils selbst strukturieren. Daher komme dort nur ein Mitarbeiter auf 12 Behinderte, im Förder- und Betreuungsbereich hingegen sei die Betreuungsdichte rund drei- bis vierfach so hoch.
Das Sozialgericht Heilbronn hat den Landkreis Heilbronn verurteilt, dem Kläger weiter Eingliederungshilfe im Förder- und Betreuungsbereich zu gewähren: Eine Teilhabe am Arbeitsleben sei diesem nie möglich gewesen. Demnach spiele es keine Rolle, dass er zwischenzeitlich das 65. Lebensjahr vollendet habe. Die Eingliederungshilfe hätte bei ihm von Anfang an darauf abgezielt, ihn am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Dem könne aber weiterhin nur im personalintensiven Betreuungsbereich Rechnung getragen werden.
Personen, die durch eine Behinderung [...] wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt [...] sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. [...]
Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, [...] eine Behinderung oder deren Folgen [...] zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern [...]
Behinderte Menschen, die die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in einer Werkstatt nicht erfüllen, sollen in Einrichtungen oder Gruppen betreut und gefördert werden, die der Werkstatt angegliedert sind.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.05.2013
Quelle: Sozialgericht Heilbronn/ra-online