21.11.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil11.07.2017

Mutter muss neuartige Videotherapie für Baby selbst bezahlenKrankenkasse nur bei anerkannten Behand­lungs­me­thoden zur Kostenübernahme verpflichtet

Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass die Techniker Krankenkasse nicht verpflichtet ist, der Mutter eines Säuglings die Behand­lungs­kosten von 4.360 Euro für eine teleme­di­zi­nische Therapie zur Entwöhnung von der Ernährung durch eine Sonde zu erstatten. Ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung besteht nicht, weil es sich um eine neuartige Behand­lungs­methode handelt, die vom zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht geprüft und anerkannt worden ist.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der im September 2015 geborene Kläger aus Berlin-Charlottenburg ist über seine Mutter bei der Techniker Krankenkasse famili­en­ver­sichert. Er wurde mit einer Fehlbildung der Speiseröhre geboren, die nach mehreren komplizierten Operationen schließlich erfolgreich behandelt werden konnte. In diesem Zusammenhang war er über längere Zeit mittels einer Sonde ernährt worden. Auf die Umstellung zu normaler Nahrungs­aufnahme reagierte der Kläger mit Würgereiz und Erbrechen.

Ab November 2016 führte die Mutter mit dem Kläger deshalb ein von der Universität Graz entwickeltes teleme­di­zi­nisches Sonden-Entwöh­nungs­programm durch. Inhalt dieses "Netcoaching" ist eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der betroffenen Familien durch ein Team aus Ärzten und Therapeuten auf teleme­di­zi­nischem Wege. Der Patient bleibt dabei zuhause, die Betreuung erfolgt durch Videoanalysen, tägliche Cybervisiten und Beratungen per email.

Krankenkasse lehnt Kostenübernahme ab

Die von den Großeltern des Klägers vorgestreckten Kosten für die am Ende erfolgreiche Sonden-Entwöhnung betrugen insgesamt 4.360 Euro. Die beklagte Techniker Krankenkasse hatte die Übernahme dieser Kosten mit der Begründung abgelehnt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für diese Behandlungsmethode noch keine positive Empfehlung ausgesprochen habe und es andere, bereits anerkannte Behand­lungs­me­thoden gebe.

Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch seine Mutter, im April 2017 Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Ihrer Meinung nach war die teleme­di­zi­nische Behandlung im häuslichen Umfeld die beste und auch kosten­güns­tigste Lösung. Ein weiterer Klini­k­auf­enthalt hätte den Kläger sowohl psychisch erheblich belastet als auch großer Anste­ckungs­gefahr ausgesetzt.

Therapie muss Teil des Leistungs­ka­taloges der Versicherung sein

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage nach mündlicher Verhandlung ab und bestätigte die Auffassung der beklagten Krankenkasse. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die gesetzlichen Kranken­ver­si­che­rungen nicht schon dann leistungs­pflichtig seien, wenn eine begehrte Therapie nach Einschätzung des Versicherten oder eines Arztes zu befürworten sei. Vielmehr müsse die Therapie Teil des Leistungs­ka­taloges der Versicherung sein. Die Aufgabe, den Nutzen und die Risiken einer neuen Untersuchungs- und Behand­lungs­methode zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, sei dabei vom Gesetzgeber allein dem Gemeinsamen Bundesausschuss zugewiesen worden. Bei dem vorliegend umstrittenen Netcoaching handele es sich um eine neue Behand­lungs­methode, für die die erforderliche Anerkennung noch nicht vorliege. Prägend für das Netcoaching sei, dass die eigentliche Behandlung (die Sonden­ent­wöhnung) durch die Eltern durchgeführt werde und von Ärzten und anderem medizinischen Fachpersonal nur unter Einsatz moderner Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel angeleitet und überwacht werde. Dies habe zwar den Vorteil, dass die Behandlung im häuslichen Umfeld erfolge und sicher auch deutlich preiswerter sei als ein Kranken­haus­auf­enthalt. Andererseits gebe es Risiken, weil die Ärzte den Patienten nicht selbst untersuchten und bei etwaigen Komplikationen auch nicht sofort einschreiten könnten.

Stationäre Sonden-Entwöhnung stellt allgemein anerkannte Behand­lung­s­al­ter­native dar

Einer der Fälle, in denen eine positive Empfehlung des Bundes­aus­schusses ausnahmsweise nicht erforderlich sei, habe nicht vorgelegen. So gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Anerkennung auf einem Systemversagen beruhe, etwa weil das Zulas­sungs­ver­fahren nicht ordnungsgemäß betrieben worden sei. Es habe sich auch nicht um eine lebens­be­drohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung des Klägers gehandelt. Mit der stationären Sonden-Entwöhnung habe zudem eine allgemein anerkannte Behand­lung­s­al­ter­native zur Verfügung gestanden.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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