Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der im September 2015 geborene Kläger aus Berlin-Charlottenburg ist über seine Mutter bei der Techniker Krankenkasse familienversichert. Er wurde mit einer Fehlbildung der Speiseröhre geboren, die nach mehreren komplizierten Operationen schließlich erfolgreich behandelt werden konnte. In diesem Zusammenhang war er über längere Zeit mittels einer Sonde ernährt worden. Auf die Umstellung zu normaler Nahrungsaufnahme reagierte der Kläger mit Würgereiz und Erbrechen.
Ab November 2016 führte die Mutter mit dem Kläger deshalb ein von der Universität Graz entwickeltes telemedizinisches Sonden-Entwöhnungsprogramm durch. Inhalt dieses "Netcoaching" ist eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der betroffenen Familien durch ein Team aus Ärzten und Therapeuten auf telemedizinischem Wege. Der Patient bleibt dabei zuhause, die Betreuung erfolgt durch Videoanalysen, tägliche Cybervisiten und Beratungen per email.
Die von den Großeltern des Klägers vorgestreckten Kosten für die am Ende erfolgreiche Sonden-Entwöhnung betrugen insgesamt 4.360 Euro. Die beklagte Techniker Krankenkasse hatte die Übernahme dieser Kosten mit der Begründung abgelehnt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für diese Behandlungsmethode noch keine positive Empfehlung ausgesprochen habe und es andere, bereits anerkannte Behandlungsmethoden gebe.
Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch seine Mutter, im April 2017 Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Ihrer Meinung nach war die telemedizinische Behandlung im häuslichen Umfeld die beste und auch kostengünstigste Lösung. Ein weiterer Klinikaufenthalt hätte den Kläger sowohl psychisch erheblich belastet als auch großer Ansteckungsgefahr ausgesetzt.
Das Sozialgericht Berlin wies die Klage nach mündlicher Verhandlung ab und bestätigte die Auffassung der beklagten Krankenkasse. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen nicht schon dann leistungspflichtig seien, wenn eine begehrte Therapie nach Einschätzung des Versicherten oder eines Arztes zu befürworten sei. Vielmehr müsse die Therapie Teil des Leistungskataloges der Versicherung sein. Die Aufgabe, den Nutzen und die Risiken einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, sei dabei vom Gesetzgeber allein dem Gemeinsamen Bundesausschuss zugewiesen worden. Bei dem vorliegend umstrittenen Netcoaching handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, für die die erforderliche Anerkennung noch nicht vorliege. Prägend für das Netcoaching sei, dass die eigentliche Behandlung (die Sondenentwöhnung) durch die Eltern durchgeführt werde und von Ärzten und anderem medizinischen Fachpersonal nur unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel angeleitet und überwacht werde. Dies habe zwar den Vorteil, dass die Behandlung im häuslichen Umfeld erfolge und sicher auch deutlich preiswerter sei als ein Krankenhausaufenthalt. Andererseits gebe es Risiken, weil die Ärzte den Patienten nicht selbst untersuchten und bei etwaigen Komplikationen auch nicht sofort einschreiten könnten.
Einer der Fälle, in denen eine positive Empfehlung des Bundesausschusses ausnahmsweise nicht erforderlich sei, habe nicht vorgelegen. So gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Anerkennung auf einem Systemversagen beruhe, etwa weil das Zulassungsverfahren nicht ordnungsgemäß betrieben worden sei. Es habe sich auch nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung des Klägers gehandelt. Mit der stationären Sonden-Entwöhnung habe zudem eine allgemein anerkannte Behandlungsalternative zur Verfügung gestanden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.09.2017
Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online