23.11.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil28.08.2014

Illegale Arbeit­neh­mer­über­lassung im ARD-Haupt­stadt­studioRBB beschäftigte schein­selb­ständigen Tonassistenten

Darüber, wer Arbeitgeber eines Tonassistenten war und ob er im Rahmen seiner Tätigkeit von April 2007 bis Dezember 2010 der Versi­che­rungs­pflicht in den einzelnen Zweigen der Sozia­l­ver­si­cherung unterlag, musste nunmehr das Sozialgericht entscheiden.

Im hier zugrunde liegenden Fall beschäftigte von 2007 bis 2010 der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) für das von ihm geleitete ARD-Haupt­stadt­studio einen schein­selb­ständigen Tonassistenten. Der Mitarbeiter war dem RBB von einem kleinen Subunternehmen, das Dienst­leis­tungen im Bereich von Rundfunk und Fernsehen anbietet, vermittelt worden. Das Unternehmen besaß keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Mit dieser illegalen Vertrags­kon­struktion sparte der RBB nicht nur Buchhal­tungs­aufwand, sondern auch Sozialabgaben. Zugleich verlagerte er die arbeits­recht­lichen und sozia­l­ver­si­che­rungs­recht­lichen Risiken auf das Subunternehmen. Motiv hierfür scheint der vom Produk­ti­o­ns­leiter geschilderte Kostendruck gewesen zu sein. 2010 beendete der Sender diese Vertrags­kon­struktion. Seitdem beschäftigt er den Tonassistenten unter Zahlung von Sozialabgaben.

Tonassistent begehrte von der Deutschen Renten­ver­si­cherung Bund Feststellung über sozia­l­ver­si­che­rungs­recht­lichen Status

Klägerin war das Subunternehmen, die inhabergeführte GmbH eines Toningenieurs. Beklagte war die Deutsche Renten­ver­si­cherung Bund. Im März 2010 beantragte der Tonassistent bei der Clearingstelle der Beklagten die Feststellung seines sozia­l­ver­si­che­rungs­recht­lichen Status. Im November 2010 stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit des Tonassistenten für die Klägerin sozia­l­ver­si­che­rungs­pflichtig gewesen sei. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte im Januar 2012 zurück. Daraufhin erhob die Klägerin im Februar 2012 Klage beim Sozialgericht Berlin mit der Begründung, nicht Arbeitgeber, sondern lediglich Zahlstelle für den RBB gewesen zu sein.

SG: Bescheide der Renten­ver­si­cherung gegen das Subunternehmen aufgehoben

Das Gericht hob die Bescheide der beklagten Renten­ver­si­cherung auf. Zwar sei es zutreffend, dass der Tonassistent nicht als Selbständiger tätig geworden sei, sondern in abhängiger und damit sozia­l­ver­si­che­rungs­pflichtiger Beschäftigung. Allerdings schulde nicht das klagende Subunternehmen die Sozialabgaben, sondern der RBB.

Tonassistent habe keinerlei unter­neh­me­risches Risiko getragen

Der Tonassistent sei als Beschäftigter vollständig in die Betriebsabläufe des ARD-Haupt­stadt­studios eingegliedert und weisungs­ge­bunden gewesen. Er sei in den Dienstplänen berücksichtigt worden, habe wie eigene Mitarbeiter einen Hausausweis erhalten, an Teambe­spre­chungen teilgenommen und nach Vorgaben des Aufnahmeleiters gearbeitet. Er habe keinerlei unter­neh­me­risches Risiko getragen und sei nicht unternehmerisch am Markt aufgetreten, sondern habe eine festen Tagessatz von 125 Euro erhalten und auch seine Arbeitszeiten nicht frei bestimmen können.

Direktes Arbeits­ver­hältnis zwischen Tonassistenten und RBB aufgrund Unwirksamkeit der Arbeit­neh­mer­über­lassung entstanden

Arbeitgeber sei nicht die Klägerin gewesen, sondern das ARD-Haupt­stadt­studio, also der RBB. Zwar habe der Sender kein Arbeits­ver­hältnis mit dem Tonassistenten begründen wollen. Der Tonassistent sollte vielmehr nur Vertrags­be­zie­hungen mit der Klägerin eingehen: Sie habe ihn vermittelt, mit dem Sender abgerechnet, den Lohn ausgezahlt und für den Buchungsaufwand vom Sender einen Betrag von 10 Euro pro Einsatztag erhalten. Diese vom RBB initiierte Vertrags­kon­struktion sei jedoch illegal gewesen. Sie habe dem Gesetz zur Regelung der Arbeit­neh­mer­über­lassung (AÜG) widersprochen. Die Klägerin habe nämlich keine Erlaubnis gehabt, Arbeitnehmer an Dritte zu verleihen. Nach dem AÜG folge aus der Unwirksamkeit der Arbeit­neh­mer­über­lassung, dass - kraft Gesetzes - ein direktes Arbeits­ver­hältnis zwischen Arbeitnehmer (dem Tonassistenten) und dem Entleiher (dem RBB) zustande gekommen sei.

Motiv: Kostenersparnis für die Buchhaltung und Sozialabgaben

Motiv dieses Konstrukts scheint nach Auffassung des Gerichts der Kostendruck in der Budgetplanung des ARD-Haupt­stadt­studios gewesen zu sein, den der Produk­ti­o­ns­leiter in seiner Zeugenaussage geschildert hat. Durch die Begründung eines schein­selb­ständigen Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses unter Einschaltung der Klägerin als Subunternehmen habe der Sender Kosten für die Buchhaltung und Sozialabgaben gespart. Die damit verbundenen sozia­l­ver­si­che­rungs­recht­lichen und arbeits­recht­lichen Risiken habe der RBB auf die Klägerin verlagern wollen. Diese habe sich darauf eingelassen, um ihre Beziehung zum Sender nicht zu gefährden. Möglicherweise sei sie sogar wirtschaftlich vom RBB abhängig gewesen.

RBB zahlt nun Sozialabgaben

2010 beendete der RBB seine Verfahrensweise. Seitdem beschäftigt er den Tonassistenten unter Zahlung von Sozialabgaben. Im Rahmen einer vergleichbaren Vertrags­kon­struktion war der Tonassistent im Übrigen zwischen 2007 und 2010 auch noch im Nachbarstudio eines anderen öffentlich-rechtlichen Senders tätig geworden.

Erläuterungen

§ 7 Abs. 1 SGB IV (Viertes Buch Sozial­ge­setzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozia­l­ver­si­cherung) lautet: Beschäftigung ist die nicht­selb­ständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeits­ver­hältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeits­or­ga­ni­sation des Weisungsgebers.

§ 10 Abs. 1 AÜG (Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­gesetz) lautet: Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiha­r­beit­nehmer nach § 9 Nr. 1 unwirksam, so gilt ein Arbeits­ver­hältnis zwischen Entleiher und Leiha­r­beit­nehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen…

Quelle: Sozialgericht Berlin/ ra-online

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