18.10.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil29.06.2015

Mütterrente: Keine Rentenerhöhung für Erziehung eines im Alter von 14 Monaten aufgenommenen behinderten PflegekindesGesetzliche Regelungen zur Mütterrente begegnen keinen verfassungs­rechtlichen Bedenken

Gesetzliche Voraussetzung für die sogenannte Mütterrente ist die Erziehung eines Kindes in dessen 13. Lebensmonat. Ist ein Kind nur davor oder erst danach erzogen worden, gibt es nach dem Willen des Gesetzgebers keinen Rentenzuschlag. Ungerech­tig­keiten im Einzelfall müssen mit Blick auf die allgemeine Praktikabilität der pauscha­lie­renden Regelung in Kauf genommen werden. Verfassungs­rechtliche Bedenken gegen die Vorschriften bestehen nicht. Dies geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Berlin hervor.

Die 1951 geborene Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls ist leibliche Mutter eines 1980 geborenen und von ihr erzogenen Sohnes. Außerdem hat sie im Oktober 1979 ein damals 14 Monate altes behindertes Mädchen mit dem Ziel der Adoption in ihren Haushalt aufgenommen. Im Zuge der Neuberechnung ihrer Altersrente gewährte die beklagte Deutsche Renten­ver­si­cherung Berlin-Brandenburg der Klägerin im September 2014 einen zusätzlichen Entgeltpunkt für die Erziehung des Sohnes.

Klägerin rügt unangemessene Benachteiligung für Adoptiveltern behinderter Kinder

Mit ihrer im Januar 2015 erhobenen Klage begehrte die Klägerin auch die Anerkennung eines zusätzlichen Entgeltpunktes für die Erziehung der Adoptivtochter. Damals seien behinderte Kinder nie vor Vollendung des ersten Lebensjahres in Pflegefamilien gegeben worden. Sie hätte das Mädchen also gar nicht früher aufnehmen können. Die gesetzliche Regelung stelle deshalb eine unangemessene Benachteiligung für die Adoptiveltern behinderter Kinder dar. Sie persönlich sei darüber hinaus besonders stark benachteiligt, weil sie sich gegenüber dem Familiensenator habe verpflichten müssen, ihren Beruf als Hauswirt­schafterin aufzugeben, um das Kind zu pflegen.

Voraussetzungen für Mütterrente nicht erfüllt

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage nach mündlicher Verhandlung ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen der sogenannten Mütterrente seien nicht erfüllt. Entscheidend sei § 307 d Abs. 1 Sechstes Buch Sozial­ge­setzbuch – Gesetzliche Renten­ver­si­cherung (SGB VI), dessen ausschlag­ge­bender Teil lautet:

Erläuterungen
Bestand am 30. Juni 2014 Anspruch auf eine Rente, wird ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind berücksichtigt, wenn

1. in der Rente eine Kinder­er­zie­hungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde [...]

Ablehnung eines zusätzlichen Entgeltpunktes nicht zu beanstanden

Eine Kinder­er­zie­hungszeit für den „zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt“ der Adoptivtochter liege bei der Klägerin nicht vor und sei auch faktisch ausgeschlossen, da die Tochter erst danach in den Haushalt aufgenommen worden sei. Damit sei die Ablehnung eines zusätzlichen Entgeltpunktes nicht zu beanstanden. Der Standpunkt der Klägerin sei zwar nachvollziehbar, zumal sie durch die Adoption eines behinderten Kleinkindes einen besonders hohen Beitrag für die Gesellschaft geleistet habe. Die Vorschrift begegne jedoch keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken.

Besondere Härte in Einzelfällen nicht auszuschließen

Jede Stich­tags­re­gelung und jede pauschale gesetzliche Regelung betreffe immer auch Einzelfälle, die eine besondere Härte darstellen können. Gerade bei der Einführung rückwirkender Begünstigungen wie der Mütterrente habe der Gesetzgeber jedoch einen besonders weiten Gestal­tungs­spielraum. Er dürfe und müsse verwal­tung­s­prak­tikable Regelungen schaffen. Dies gelte umso mehr, wenn – wie hier – an lange zurückliegende Sachverhalte anzuknüpfen sei, die sich in aller Regel nicht mehr zweifelsfrei aufklären ließen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann sie mit der Berufung bei dem Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg in Potsdam anfechten.

Hintergrund

Am 1. Juli 2014 sind als Teil eines "Rentenpaketes" auch die Vorschriften zur Mütterrente in Kraft getreten. Sie gewähren unter bestimmten Voraussetzungen einen Rentenzuschlag für die Erziehung von vor 1992 geborenen Kindern. Damit begünstigen sie insbesondere die damals überwiegend mit der Erziehung befassten Mütter, indem sie deren erzie­hungs­be­dingte Einkom­men­s­einbußen abmildern. Knapp ein Jahr später hat das Sozialgericht Berlin ein erstes Urteil gefällt. Es zeigt sich, dass die Mütterrente an eine strenge Stich­tags­re­gelung gebunden ist. Ausnahmen für Härtefälle sieht das Gesetz nicht vor.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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