21.11.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil12.03.2013

Verletzung durch Verfolgung eines Taschendiebs steht grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherungVerfolger muss es jedoch in erster Linie um Festnahme des Straftäters gehen und nicht um Wieder­be­schaffung der geraubten Tasche

Wer sich bei der Verfolgung eines Taschendiebs verletzt, steht grundsätzlich unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung. Dies gilt auch, wenn sich das Geschehen im Ausland abspielt, zum Beispiel - wie hier - im Spanienurlaub. Kein versicherter "Arbeitsunfall" im Sinne des Gesetzes liegt allerdings vor, wenn es dem Verfolger nicht in erster Linie um die Festnahme des Straftäters, sondern um die Wiedererlangung des Diebesguts geht. Dies geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Berlin hervor.

Die Gesetzliche Unfall­ver­si­cherung begründet unter anderem Ansprüche auf Heilbehandlung, Verletztengeld oder Verletztenrente. Sie greift nicht nur bei Unfällen am Arbeitsplatz, sondern schützt auch Personen, die sich im Interesse der Allgemeinheit in Gefahr begeben. Versichert ist zum Beispiel, wer bei Unglücksfällen Hilfe leistet, wer Angegriffenen beisteht oder versucht, einen Straftäter festzunehmen.

Sachverhalt

Der 1975 geborene Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls, ein Biotechnologe aus Berlin, flog im Juli 2009 zu einem Kongress nach Barcelona. Er nutzte das anschließende Wochenende, um mit seiner Verlobten die Stadt zu erkunden. Nach einem Restau­rant­besuch am letzten Abend überfielen ihn zwei Männer und stahlen ihm die Brieftasche mit Bankkarten, Perso­na­l­do­ku­menten und 120 Euro. Als der Kläger, der den Verlust sogleich bemerkt hatte, den Tätern nachsetzte, stellte ihm einer der Räuber ein Bein. Der Kläger stürzte und brach sich den linken Ellenbogen. Spanische Passanten riefen die Polizei, die Täter konnten jedoch entkommen.

Unfallkasse lehnt Anerkennung eines versicherten Arbeitsunfalls ab

Die beklagte Unfallkasse Berlin lehnte die Feststellung eines versicherten Arbeitsunfalls ab. Bei lebensnaher Betrachtung sei es dem Kläger ausschlaggebend um die Wiedererlangung seines Eigentums gegangen und nicht um die Verfolgung oder Festnahme der Tatverdächtigen.

Im April 2010 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Berlin. Sein Ziel sei es gewesen, die Täter zu fangen. Weil der Haupttäter einen Kopf kleiner gewesen sei, habe er sich gute Chancen ausgerechnet, diesen bis zum Eintreffen weiterer Passanten festzuhalten.

SG verneint Versi­che­rungs­schutz - Geschädigten ging es nur um Wieder­be­schaffung der geraubten Brieftasche

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage nach mündlicher Verhandlung und Befragung der Verlobten ab. Die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes seien nicht nachweisbar. Zwar sei kraft Gesetzes versichert, wer sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, persönlich einsetze. Dieser Versi­che­rungs­schutz gelte auch für Auslandsfälle. Zur Überzeugung des Gerichts sei es dem Kläger jedoch nicht in erster Linie um die vom Gesetz geschützte Verfolgung oder Festnahme gegangen, sondern auch um die Wieder­be­schaffung der geraubten Brieftasche. Bei einer derartigen „gemischten Handlungs­tendenz“ sei ein sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nur gegeben, wenn die konkrete Verrichtung auch ohne die private Motivation vorgenommen worden wäre. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, es fehle die „versi­che­rungs­be­zogene Handlungs­tendenz“. Der Kläger hätte die Täter nicht verfolgt, wenn diese ihm nicht die Brieftasche gestohlen hätten.

Hintergrund

Die Prozess­be­tei­ligten stritten unter anderem auch darum, wie genau sich der Überfall abgespielt hatte. Die Aussagen des Klägers standen dabei teilweise im Widerspruch zu den Angaben im Protokoll der spanischen Polizei. Das Gericht glaubte dem Kläger jedoch, dass das Polizei­pro­tokoll aufgrund der mangelhaften Englisch­kenntnisse der Polizeibeamtin unstimmig sei. Es fand auch die Erklärung des Klägers plausibel, dass er das auf katalanisch verfasste Protokoll ohne genaue Kenntnis von dessen Inhalt unterschrieben habe, um mit dem gebuchten Flug nach Hause reisen und sich dort in weitere ärztliche Behandlung begeben zu können. Die Fluglinie war zur Mitnahme des Klägers ohne (die gestohlenen) Perso­na­l­do­kumente nur bei Vorlage eines Polizei­pro­tokolls bereit.

Strei­tent­scheidene Vorschriften sind:

§ 8 Absatz 1 Siebtes Buch Sozial­ge­setzbuch – SGB VII:

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versi­che­rungs­schutz nach § 2 [...] begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

§ 2 Absatz 1 Nr. 13 SGB VII:

Kraft Gesetzes sind versichert Personen, die [...]

c) sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen.

§ 2 Abs. 3 Satz 5 SGB VII:

Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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