Im Zuge der Agenda 2010 lockerte die Bundesregierung 2003 die Rahmenbedingungen der Zeitarbeitsbranche. Als Ausgleich führte sie unter anderem das „equal pay“-Prinzip ein: Zeitarbeitnehmer und Stammarbeitnehmer sollten hinsichtlich des Lohns gleichgestellt werden. Das Gesetz galt jedoch mit der Einschränkung, dass ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulassen konnte. Daraufhin schlossen Arbeitgeberverbände der Zeitarbeitsbranche Tarifverträge mit der 2002 gegründeten "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP)", deren Lohnniveau deutlich unter den sonst üblichen Arbeitsverträgen lag. Am 14. November 2010 bestätigte das Bundesarbeitsgericht schließlich Entscheidungen der Vorinstanzen, wonach die CGZP gar nicht tariffähig sei. Die Tarifverträge seien deshalb unwirksam. In der Folge forderten die Sozialversicherungen diejenigen Beiträge nach, die die Zeitarbeitsfirmen hätten entrichten müssen, wenn sie das equal pay-Prinzip beachtet hätten. Insgesamt waren über 2 Mio. Beschäftigungsverhältnisse überprüft worden. Die Zeitarbeitsbranche berief sich demgegenüber auf Vertrauensschutz.
Im zugrunde liegenden Verfahren forderte die Deutsche Rentenversicherung Bund (Beklagte) im Februar 2012 von der klagenden Zeitarbeitsfirma für den Zeitraum Dezember 2005 bis Dezember 2009 rund 25.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nach. Die Klägerin, die gewerblich sogenannte Zeitarbeiter an andere Unternehmen überlässt, hatte in diesem Zeitraum nach eigenen Angaben 877 Mitarbeiter beschäftigt, die an rund 300 Entleiher überlassen worden waren. Die Bezahlung war nicht nach dem equal pay-Prinzip, sondern in Anwendung des Tarifvertrags mit der CGZP erfolgt.
Mit ihrer Ende 2012 erhobenen Klage wendet die Klägerin ein, dass sie auf die Anwendbarkeit des Tarifvertrages vertraut habe. Sie habe ihren Mitarbeitern deshalb frühestens ab der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts höhere Löhne geschuldet. Vorher habe sie gar keine Kenntnis von einer höheren Entgeltpflicht gehabt.
Das Sozialgericht Berlin wies die Klage ab. Wie das Bundesarbeitsgericht verbindlich festgestellt habe, sei der mit der CGZP geschlossene Tarifvertrag von Beginn an unwirksam gewesen. Die Klägerin habe ihren Mitarbeitern daher den Lohn geschuldet, der nach dem equal pay-Prinzip hätte gezahlt werden müssen. Dementsprechend seien auch höhere Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen gewesen. Der Vortrag der Klägerin, dass sie auf die Wirksamkeit des Tarifvertrages vertraut habe, sei nicht glaubhaft. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie von Anfang an den bedingten Vorsatz gehabt habe, Sozialversicherungsbeiträge vorzuenthalten. Sie habe in Kauf genommen, dass der Tarifvertrag unwirksam sei, und ihn dennoch angewandt mit dem Ziel, höhere Löhne und damit auch höhere Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Dies sei Ergebnis der Beweisaufnahme, in der der Geschäftsführer und ein Mitinhaber der Klägerin als Zeugen gehört wurden. Deren Wissen müsse sich die Klägerin als juristische Person (GmbH) zurechnen lassen.
Der Geschäftsführer sei Mitglied einer Runde von Arbeitgebern aus der Zeitarbeitsbranche gewesen, die die Umgehung des gesetzlichen Mindestlohns, also des equal pay-Prinzips, aktiv vorbereitet habe. Genau zu diesem Zwecke sei die Klägerin dann auch dem Arbeitgeberverband beigetreten, der den Tarifvertrag mit der CGZP abgeschlossen habe. Der als Zeuge gehörte Mitinhaber habe das Thema "Wirksamkeit des CGZP-Tarifvertrages" von Anfang an politisch begleitet. Die Zeugen hätten so ein tarifrechtliches Fachwissen erlangt, das es ausgeschlossen erscheinen lasse, dass sie die Unwirksamkeit des Tarifvertrags nicht zumindest für möglich gehalten haben. Es sei im Gegenteil gar nicht vorstellbar, dass der Mitinhaber als fachkundiger Interessenvertreter die Tariffähigkeit der CGZP überhaupt ernsthaft in Betracht gezogen habe.
Die Klägerin habe auch frühzeitig mit entsprechenden Beitragsnachforderungen rechnen müssen. Der Geschäftsführer selbst habe von der "Schrecksekunde" gesprochen, als bereits auf einer Verbandssitzung Ende 2009 zur Sprache gekommen sei, dass es mit dem Tarifvertrag Probleme geben könne. Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts habe der Mitinhaber dann schließlich versucht, politischen Einfluss zu nehmen und sagte vor Gericht aus, dass seinerzeit geglaubt worden sei, dass es eine politische Lösung zum Thema geben würde. Es habe Zusagen aus der CDU und aus der FDP gegeben, dass man politisch Einfluss nehme, damit die Rentenversicherung keine Beiträge nachfordern würde.
Dieser Versuch der politischen Einflussnahme sei indes ein weiterer Beleg dafür, dass der Klägerin die Nachzahlungspflicht deutlich bewusst gewesen sei. Aufgrund des bedingten Vorsatzes der Klägerin verlängere sich die Verjährungsfrist für die Beitragsnachforderungen von vier auf 30 Jahre. Angesichts des unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwands zur Ermittlung der exakt geschuldeten Beiträge habe die Beklagte diese auch schätzen dürfen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.12.2015
Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online