21.11.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil09.07.2015

Zeita­r­beitsfirma muss Sozial­versicherungs­beiträge nachzahlen: Abschluss des Tarifvertrages mit "Christlicher" Tarif­ge­mein­schaft CGZP war vorsätzliche Umgehung des LohngesetzesAbsprachen mit der Politik begründen keinen Vertrau­ens­schutz

Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass eine Zeita­r­beitsfirma 25.000 Euro Sozial­versicherungs­beiträge nachzahlen muss, weil sie ihre Mitarbeiter mehrere Jahre lang vorsätzlich nach einem unwirksamen Tarifvertrag bezahlt hat, statt den höheren gesetzlichen Mindestlohn zu gewähren. Auf Zusagen aus der Politik, eine Beitrags­nach­forderung zu verhindern, durfte die Firma nicht vertrauen.

Im Zuge der Agenda 2010 lockerte die Bundesregierung 2003 die Rahmen­be­din­gungen der Zeita­r­beits­branche. Als Ausgleich führte sie unter anderem das „equal pay“-Prinzip ein: Zeita­r­beit­nehmer und Stamm­a­r­beit­nehmer sollten hinsichtlich des Lohns gleichgestellt werden. Das Gesetz galt jedoch mit der Einschränkung, dass ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulassen konnte. Daraufhin schlossen Arbeit­ge­ber­verbände der Zeita­r­beits­branche Tarifverträge mit der 2002 gegründeten "Tarif­ge­mein­schaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Perso­nal­ser­vice­agenturen (CGZP)", deren Lohnniveau deutlich unter den sonst üblichen Arbeits­ver­trägen lag. Am 14. November 2010 bestätigte das Bundes­a­r­beits­gericht schließlich Entscheidungen der Vorinstanzen, wonach die CGZP gar nicht tariffähig sei. Die Tarifverträge seien deshalb unwirksam. In der Folge forderten die Sozia­l­ver­si­che­rungen diejenigen Beiträge nach, die die Zeita­r­beits­firmen hätten entrichten müssen, wenn sie das equal pay-Prinzip beachtet hätten. Insgesamt waren über 2 Mio. Beschäf­ti­gungs­ver­hältnisse überprüft worden. Die Zeita­r­beits­branche berief sich demgegenüber auf Vertrau­ens­schutz.

Zeita­r­beitsfirma bezahlt Angestellte in Anwendung des Tarifvertrags mit der CGZP

Im zugrunde liegenden Verfahren forderte die Deutsche Rentenversicherung Bund (Beklagte) im Februar 2012 von der klagenden Zeita­r­beitsfirma für den Zeitraum Dezember 2005 bis Dezember 2009 rund 25.000 Euro Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge nach. Die Klägerin, die gewerblich sogenannte Zeitarbeiter an andere Unternehmen überlässt, hatte in diesem Zeitraum nach eigenen Angaben 877 Mitarbeiter beschäftigt, die an rund 300 Entleiher überlassen worden waren. Die Bezahlung war nicht nach dem equal pay-Prinzip, sondern in Anwendung des Tarifvertrags mit der CGZP erfolgt.

Zeita­r­beitsfirma verneint Kenntnis von höherer Entgeltpflicht

Mit ihrer Ende 2012 erhobenen Klage wendet die Klägerin ein, dass sie auf die Anwendbarkeit des Tarifvertrages vertraut habe. Sie habe ihren Mitarbeitern deshalb frühestens ab der Entscheidung des Bundes­a­r­beits­ge­richts höhere Löhne geschuldet. Vorher habe sie gar keine Kenntnis von einer höheren Entgeltpflicht gehabt.

Mitarbeitern geschuldeter Lohn hätte nach dem equal pay-Prinzip gezahlt werden müssen

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage ab. Wie das Bundes­a­r­beits­gericht verbindlich festgestellt habe, sei der mit der CGZP geschlossene Tarifvertrag von Beginn an unwirksam gewesen. Die Klägerin habe ihren Mitarbeitern daher den Lohn geschuldet, der nach dem equal pay-Prinzip hätte gezahlt werden müssen. Dementsprechend seien auch höhere Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge zu zahlen gewesen. Der Vortrag der Klägerin, dass sie auf die Wirksamkeit des Tarifvertrages vertraut habe, sei nicht glaubhaft. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie von Anfang an den bedingten Vorsatz gehabt habe, Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge vorzuenthalten. Sie habe in Kauf genommen, dass der Tarifvertrag unwirksam sei, und ihn dennoch angewandt mit dem Ziel, höhere Löhne und damit auch höhere Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge zu sparen. Dies sei Ergebnis der Beweisaufnahme, in der der Geschäftsführer und ein Mitinhaber der Klägerin als Zeugen gehört wurden. Deren Wissen müsse sich die Klägerin als juristische Person (GmbH) zurechnen lassen.

Unkenntnis über mögliche Unwirksamkeit des Tarifvertrags nicht nachvollziehbar

Der Geschäftsführer sei Mitglied einer Runde von Arbeitgebern aus der Zeita­r­beits­branche gewesen, die die Umgehung des gesetzlichen Mindestlohns, also des equal pay-Prinzips, aktiv vorbereitet habe. Genau zu diesem Zwecke sei die Klägerin dann auch dem Arbeit­ge­ber­verband beigetreten, der den Tarifvertrag mit der CGZP abgeschlossen habe. Der als Zeuge gehörte Mitinhaber habe das Thema "Wirksamkeit des CGZP-Tarifvertrages" von Anfang an politisch begleitet. Die Zeugen hätten so ein tarif­recht­liches Fachwissen erlangt, das es ausgeschlossen erscheinen lasse, dass sie die Unwirksamkeit des Tarifvertrags nicht zumindest für möglich gehalten haben. Es sei im Gegenteil gar nicht vorstellbar, dass der Mitinhaber als fachkundiger Inter­es­sen­ver­treter die Tariffähigkeit der CGZP überhaupt ernsthaft in Betracht gezogen habe.

Zeita­r­beitsfirma glaubte an politische Lösung zum Thema

Die Klägerin habe auch frühzeitig mit entsprechenden Beitrags­nach­for­de­rungen rechnen müssen. Der Geschäftsführer selbst habe von der "Schrecksekunde" gesprochen, als bereits auf einer Verbandssitzung Ende 2009 zur Sprache gekommen sei, dass es mit dem Tarifvertrag Probleme geben könne. Nach der Entscheidung des Bundes­a­r­beits­ge­richts habe der Mitinhaber dann schließlich versucht, politischen Einfluss zu nehmen und sagte vor Gericht aus, dass seinerzeit geglaubt worden sei, dass es eine politische Lösung zum Thema geben würde. Es habe Zusagen aus der CDU und aus der FDP gegeben, dass man politisch Einfluss nehme, damit die Renten­ver­si­cherung keine Beiträge nachfordern würde.

Renten­ver­si­cherung darf exakt geschuldete Beiträge schätzen

Dieser Versuch der politischen Einflussnahme sei indes ein weiterer Beleg dafür, dass der Klägerin die Nachzah­lungs­pflicht deutlich bewusst gewesen sei. Aufgrund des bedingten Vorsatzes der Klägerin verlängere sich die Verjäh­rungsfrist für die Beitrags­nach­for­de­rungen von vier auf 30 Jahre. Angesichts des unver­hält­nismäßig großen Verwal­tungs­aufwands zur Ermittlung der exakt geschuldeten Beiträge habe die Beklagte diese auch schätzen dürfen.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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