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Sozialgericht Berlin Urteil30.05.2012

Witwenrente nach nur 19 Tagen Ehe – Langes Schei­dungs­ver­fahren verhinderte frühere HochzeitJahrelanges Zusammenleben, Bankvollmachten, Testamente und Patien­ten­ver­fügung lassen nicht auf Versorgungsehe schließen

War eine frühere Eheschließung aufgrund eines jahrelangen Schei­dungs­ver­fahrens unmöglich, so ist selbst dann nicht von einer Versorgungsehe auszugehen, wenn der Versicherte bereits bei der Hochzeit tödlich erkrankt war und die Ehe demzufolge nur 19 Tage dauerte. Trotz der Ehedauer von unter einem Jahr besteht ein Anspruch auf Witwenrente. Dies entschied das Sozialgericht Berlin.

Die gesetzliche Hinter­blie­ben­ver­sorgung soll Unter­halts­ansprüche gegen einen Ehepartner ersetzen, die durch dessen Tod weggefallen sind. In aller Regel setzt ein Anspruch auf Witwenrente voraus, dass die Ehe mit dem Versicherten mindestens ein Jahr gedauert hat. Verstirbt der Versicherte hingegen innerhalb eines Jahres nach der Hochzeit, ist laut Gesetz zu vermuten, dass es sich um eine so genannte Versorgungsehe handelte. Das schließt einen Anspruch auf Witwenrente aus. Die gesetzliche Vermutung kann jedoch widerlegt werden.

Renten­ver­si­cherung verweigert Zahlung einer Witwenrente wegen vermuteter Versorgungsehe

Im zugrunde liegenden Fall heiratete die damals 58 Jahre alte Klägerin aus Berlin im August 2007 im Krankenhaus den 60jährigen Versicherten, der zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbar lebens­be­drohlich an Lungenkrebs erkrankt war. 19 Tage später verstarb er infolge der Erkrankung. Den Antrag auf Gewährung einer Witwenrente aus der Renten­ver­si­cherung des Ehemannes lehnte die Deutsche Renten­ver­si­cherung Bund mit der Begründung ab, dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt sei. Die Klägerin rief daraufhin das Sozialgericht an.

Umstände, die gegen Versorgungsehe sprechen, müssen genau bewertet werden

Das Sozialgericht Berlin gab der Klägerin nach mündlicher Verhandlung Recht. Auch bei einer schweren Erkrankung mit bekannter ungünstiger Verlauf­s­prognose sei der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass aus anderen als Versor­gungs­gründen geheiratet worden sei. Allerdings müssten bei einer Gesamtbewertung diejenigen Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebens­be­droh­licher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen sei.

Langes Schei­dungs­ver­fahren hat frühere Hochzeit verhindert

Vorliegend habe die Klägerin die Kammer vom Bestehen derart besonderer Umstände überzeugen können. Der Versicherte sei vor der Hochzeit mit der Klägerin in anderer Ehe verheiratet gewesen. Dies habe ein objektiv bestehendes Hindernis für eine neue Eheschließung dargestellt. Obwohl das Schei­dungs­ver­fahren bereits 2001 eingeleitet worden sei, sei das Schei­dungs­urteil erst im November 2006 rechtskräftig geworden. Der Versicherte habe hiervon erst im Mai 2007 erfahren. Dies habe eine frühere Hochzeit verhindert.

Erkundigungen wegen möglicher Eheschließung wurden bereits vor Kenntnis über Erkrankung eingeholt

Die Unmöglichkeit einer erneuten Heirat bis zur rechtskräftigen Scheidung der alten Ehe sei ein so gewichtiger Umstand, dass die Kenntnis von der tödlichen Erkrankung bei einer Gesamtbewertung aller Umstände zurücktrete. Dies gelte umso mehr, als die Klägerin und ihr Mann bereits seit 2003 zusammengelebt, ein gegenseitiges Testament errichtet, eine Patien­ten­ver­fügung aufgesetzt und gegenseitige Bankvollmachten ausgestellt hätten. Glaubhaft gemacht habe die Klägerin auch, dass sie noch, bevor sie von der Erkrankung erfuhr, Erkundigungen wegen einer möglichen Eheschließung eingeholt hatte. Die Ehe sei also nicht schnell noch geschlossen worden, um eine Witwen­ver­sorgung zu begründen. Mit der Eheschließung sei vielmehr nur das vollzogen worden, was seit langem beabsichtigt gewesen sei.

Entschei­dungs­er­hebliche Vorschrift ist § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozial­ge­setzbuch – Gesetzliche Renten­ver­si­cherung (SGB VI):

Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung zu begründen.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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