21.11.2024
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Oberlandesgericht Stuttgart Urteil18.06.2013

OLG Stuttgart verurteilt Deutsch-Türken wegen Beteiligung an terroristischer Vereinigung DHKP-C zur Freiheitsstrafe ohne BewährungMitgliedschaft in ausgesprochen militant agierender, hochge­fähr­licher Organisation rechtfertigt Freiheitsstrafe

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat einen 33-jährigen türkisch­stämmigen, deutschen Staats­an­ge­hörigen wegen mitglied­schaftlicher Beteiligung an der DHKP-C, einer terroristischen Vereinigung im Ausland, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Die Revolutionäre Volks­be­frei­ungs­partei / -front (DHKP-C) ist darauf ausgerichtet, das gegenwärtige staatliche System in der Türkei durch den "bewaffneten Kampf" zu beseitigen und durch ein marxistisch-leninistisches Regime unter ihrer Kontrolle zu ersetzen. Seit 1994 hat die DHKP-C als Nachfol­ge­or­ga­ni­sation der 1978 gegründeten Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) zahlreiche Tötungsdelikte und Anschläge in der Türkei begangen. Zuletzt wurde im Zuge einer im Sommer 2012 begonnenen Anschlagsserie am 1. Februar 2013 ein Selbst­mor­d­at­tentat auf die US-Botschaft in Ankara durch einen vormals in Deutschland agierenden Führungs­funk­tionär verübt. In Europa verfügt die DHKP-C über weitverzweigte strukturelle Verfestigungen, die als so genannte Rückfront zur Beschaffung von Geldern, Waffen, Sprengstoffen und sonstiger militärischer Ausrüstung für den "bewaffneten Kampf" in der Türkei sowie als sicherer Rückzugsraum für Organi­sa­ti­o­ns­mit­glieder genutzt wird.

Sachverhalt

Der in Pforzheim geborene und aufgewachsene, berufs- und arbeitslose Angeklagte des zugrunde liegenden Falls war seit November 2002 (mitglied­s­chaftlich) in die hierarchischen Strukturen der DHKP-C eingebunden; er hat zunächst im Großraum Stuttgart / Pforzheim / Ulm und später auch an anderen Orten im Bundesgebiet in Kenntnis der Zielsetzungen der DHKP-C auf Anweisung vorgesetzter Führungskader Aufgaben wahrgenommen. Neben weitreichenden Einbindungen in finanzielle Angelegenheiten (etwa der Beteiligung an Spenden­samm­lungen, Weiterleitung von Geldern aus dem Vertrieb organi­sa­ti­o­ns­eigener Publikationen) gehörten hierzu insbesondere Funktionen im Bereich der Öffent­lich­keits­arbeit (z. B. Durchführung von Demonstrationen oder Hungerstreiks), die Teilnahme an Schulungs­ver­an­stal­tungen, die Vorbereitung kommerzieller (Groß-) Veranstaltungen (z. B. Konzerte mit den der Organisation nahestehenden türkischen Musikern "Grup Yorum"), die Betreuung und (finanzielle) Unterstützung inhaftierter Mitglieder und Funktionäre der DHKP-C in Deutschland sowie die Übernahme von Verantwortung für den (örtlichen Tarn-) Verein der DHKP-C in Stuttgart („Anatolisches Kunst- und Kulturhaus e. V.“). Zur Erfüllung dieser Aufgaben unterhielt der Angeklagte seit Beginn seiner bis April 2013 andauernden Einbindung in die Organisation enge persönliche Kontakte zu Führungs­funk­ti­onären / Entschei­dungs­trägern der „Rückfront“, bis hin zu (konspirativen) Treffen mit dem Deutsch­land­ver­ant­wort­lichen.

LG verurteilt Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Verei­ni­gungs­verbot

Ursprünglich wurde der Angeklagte in dieser Sache am 10. November 2009 vom Landgericht Stuttgart (Staats­schutz­kammer) wegen Verstoßes gegen ein Verei­ni­gungs­verbot nach dem Vereinsgesetz zu einer 5-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Verfahren nach Entscheidung des BGH zur Einstufung der DHKP-C als terroristische Vereinigung aufgrund gegebener Zuständigkeit hat OLG übergeben

Die Revision des Angeklagten führte zur Aufhebung und Zurück­ver­weisung der Sache an das Landgericht. Im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs, in welcher die DHKP-C (insgesamt) als terroristische Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129a, b StGB eingestuft wurde, hat der Senat das Verfahren wegen nunmehr gegebener Zuständigkeit des Oberlan­des­ge­richts übernommen.

Fünf Monate der festgesetzten Freiheitsstrafe aufgrund besonders langer Verfahrensdauer bereits verbüßt

Die verhängte Freiheitsstrafe begründete der Senat u. a. damit, dass es sich bei der DHKP-C um eine ausgesprochen militant agierende, hochgefährliche Organisation handelt, welcher der Angeklagte über einen langen Zeitraum (mitglied­s­chaftlich) angehört hat. Dieser wies in seinen Schluss­aus­füh­rungen die ihm vorgeworfene Straftat von sich und hat sein Verhalten als von den Grundrechten gedeckt und gerechtfertigt vorgegeben. Wegen der besonders langen Verfahrensdauer gelten fünf Monate der festgesetzten Freiheitsstrafe als verbüßt.

§ 129 a Bildung terroristischer Vereinigungen

(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völker­straf­ge­setz­buches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völker­straf­ge­setz­buches) oder Kriegs­ver­brechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völker­straf­ge­setz­buches) oder

2. Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239 a oder des § 239b

3. (weggefallen)

zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1. einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,

2. Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemein­ge­fährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316 b Abs. 1 oder 3 oder des § 316 c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,

3. Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330 a Abs. 1 bis 3,

4. Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20 a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20 a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22 a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder

5. Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes

zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfas­sungs­recht­lichen, wirtschaft­lichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Abs. 6 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 4 kann das Gericht Führungs­aufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

§ 129 b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Erweiterter Verfall und Einziehung

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundes­mi­nis­teriums der Justiz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, sind die §§ 73 d und 74a anzuwenden.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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