21.11.2024
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Oberlandesgericht Stuttgart Urteil08.07.2015

Klage der Daimler AG gegen SWR wegen Ausstrahlung unzulässig beschaffter Filmaufnahmen mit versteckter Kamera erfolglosAusstrahlung der Aufnahmen in Abwägung mit der Meinungs- und Rundfunk­freiheit nicht rechtswidrig

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat entschieden, dass die von einem Reporter des SWR mit einer versteckten Kamera aufgezeichneten Filmaufnahmen die Hausrechte der Daimler AG verletzten und einen Eingriff in das Unternehmens­persönlichkeits­recht darstellen. Dennoch erklärte das Gericht die Ausstrahlung des rechtswidrig beschafften Bildmaterials in Abwägung mit der Meinungs- und Rundfunk­freiheit für nicht rechtswidrig.

Die Parteien des zugrunde liegenden Verfahrens streiten über die Frage, ob die Ausstrahlung von Filmaufnahmen, die ein Reporter des SWR mit einer versteckten Kamera heimlich aufgezeichnet hatte, die Rechte der Daimler AG verletzte und ein Unter­las­sungs­an­spruch besteht.

Ausstrahlung des Bildmaterials trotz dessen rechtswidriger Beschaffung nicht insgesamt rechtswidrig

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart wies die Berufung der Daimler AG gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9. Oktober 2014 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Anfertigung des Filmmaterials die Rechte der Klägerin verletzt hat, weil die heimliche Fertigung der Filmaufnahmen deren Hausrecht verletzte und einen Eingriff in das Unter­neh­mens­per­sön­lich­keitsrecht darstellte. Trotz der rechtswidrigen Beschaffung des Bildmaterials sei aber die Ausstrahlung in der Sendung vom 13. Mai 2013 in einer Abwägung mit der Meinungs- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz nicht rechtswidrig.

OLG beruft sich auf "Wallraff-Urteil" des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Die maßgeblichen Abwägungs­grundsätze ergeben sich aus dem Wallraff-Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (vgl. Bundes­ver­fas­sungs­gericht, Urteil vom 25.01.1984 - 1 BvR 272/81). Der Stellenwert der Gewähr­leis­tungen aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz wird danach vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: Auf der einen Seite kommt es auf den Zweck der strittigen Äußerung an. Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit kommt umso größeres Gewicht zu, je mehr es sich nicht um eine unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaft­lichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt. Auf der anderen Seite ist aber auch das Mittel von wesentlicher Bedeutung, durch welches ein solcher Zweck verfolgt wird, in Fällen der vorliegenden Art also die Veröf­fent­lichung einer durch Täuschung widerrechtlich beschafften und zu einem Angriff gegen den Getäuschten verwendeten Information. Ein solches Mittel indiziert in der Regel einen nicht unerheblichen Eingriff in den Bereich eines anderen, namentlich dann, wenn dieser wegen seiner Vertraulichkeit geschützt ist; darüber hinaus gerät es in einen schwerwiegenden Widerspruch mit der Unver­brüch­lichkeit des Rechts, einer Grund­vor­aus­setzung der Rechtsordnung. Bei dieser Sachlage hat die Veröf­fent­lichung grundsätzlich zu unterbleiben. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und die (tatsächliche) Geltung der Rechtsordnung nach sich ziehen muss. Das wird in der Regel dann nicht der Fall sein, wenn die in der dargelegten Weise widerrechtlich beschaffte und verwertete Information Zustände oder Verhal­tens­weisen offenbart, die ihrerseits nicht rechtswidrig sind; denn dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um Missstände von erheblichem Gewicht handelt, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.

OLG bejaht Vorliegen eines die Ausstrahlung ausnahmsweise recht­fer­ti­genden Missstands bei der Daimler AG

In der Anwendung dieser Grundsätze auf den zu entscheidenden Sachverhalt konnte das Oberlan­des­gericht ein überwiegendes öffentliches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse zwar nicht aus dem Vorwurf einer rechtswidrigen Arbeit­neh­mer­über­lassung herleiten, weil die Reportage dies nicht belegt hatte. Der die Ausstrahlung ausnahmsweise rechtfertigende Missstand von erheblichem Gewicht ergibt sich aber daraus, dass die Klägerin - legal - Arbeitsabläufe zerteilt, indem sie aus diesen einzelne Arbeitsschritte für einfach zu erledigende Arbeiten herausbricht, sie als "Werk" definiert und per Werkvertrag an Dritt­un­ter­nehmen vergibt. Damit erreicht sie, für diese Tätigkeiten nicht Stamm­a­r­beit­nehmer oder Leiha­r­beit­nehmer einsetzen zu müssen, die sie nach dem für sie geltenden Metall­ta­rif­vertrag bzw. der von ihr für Leiha­r­beit­nehmer abgeschlossenen Gesamt­be­trie­bs­ver­ein­barung (d. h. für letztere mindestens 17,78 Euro brutto pro Stunde) bezahlen müsste und dadurch Kosten sparte. Gleichzeitig bewirkt die Klägerin damit, dass die zum Werk verselb­ständigte einfache Tätigkeit von Mitarbeitern der Werkunternehmer bzw. von letzteren ausgeliehenen Arbeitnehmern ausgeführt werden, die verglichen mit Stamm­a­r­beit­nehmern und von der Klägerin selbst eingesetzten Leiha­r­beit­nehmern weniger als die Hälfte (nämlich - damals - 8,19 Euro brutto/Stunde) verdienen. Dies ist so wenig, dass jedenfalls dann, wenn die "Werklöhner" Familie haben (nicht verdienende Ehefrau und Kinder), der Verdienst unter dem Existenzminimum liegt, so dass sie Anspruch auf Aufsto­ckungs­leis­tungen nach dem SGB II haben und damit letztlich jedenfalls teilweise die Vermeidung von Kosten durch die Klägerin zu Lasten der Allgemeinheit erfolgt.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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