23.11.2024
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Oberlandesgericht Nürnberg Urteil22.10.2019

Xavier Naidoo darf nicht als Antisemit bezeichnet werdenSchwere des Eingriffs in Persönlichkeits­rechte überwiegt Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung

Das Oberlan­des­gericht Nürnberg ein Urteil des Landgerichts Regensburg bestätigt, das eine Fachreferentin der Amadeu-Antonio Stiftung den Sänger Xavier Naidoo nicht als Antisemit bezeichnen darf.

Die Beklagte des zugrunde liegenden Verfahrens hatte am 5. Juli 2017 in Straubing im Rahmen einer Diskussion, welche im Anschluss an einen von ihr als Fachreferentin der Amadeu-Antonio Stiftung zum Thema "Reichsbürger - Verschwö­rungs­ideologie mit deutscher Spezifik" gehaltenen Vortrag stattfand, folgende Aussage getätigt; "Er (Anm.: gemeint ist Xavier Naidoo) ist Antisemit, das darf ich, glaube ich, aber gar nicht so offen sagen, [...]. Aber das ist strukturell nachweisbar.". Xavier Naidoo erhob daraufhin Klage zum Landgericht Regensburg und verlangte u. a. die Unterlassung dieser Äußerung.

LG gibt Klage von Xavier Naidoo statt

Das Landgericht Regensburg gab der Klage statt. Zwar sei die Äußerung der Beklagten als eine Meinung­s­äu­ßerung und nicht als Schmähkritik zu qualifizieren und daher grundsätzlich vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst, sie verletze den Kläger aber in seinem Allgemeinen Persön­lich­keitsrecht. Im Rahmen einer Abwägung komme diesem Vorrang zu.

Die Beklagte legte gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg Berufung zum Oberlan­des­gericht Nürnberg ein und begründete diese u. a. damit, dass das Landgericht im Rahmen der Abwägung zu Unrecht verlangt habe, dass die Beklagte gewichtige Beweise für ihre Meinung vorlege. Man könne auch die Liedtexte des Klägers nicht isoliert von diesem betrachten: Die Kunstfreiheit stelle keine Schranke des Rechts dar, seine Meinung zu äußern

OLG bejaht erheblichen Eingriff in das Persön­lich­keitsrecht

Das Oberlan­des­gericht Nürnberg wies die Berufung der Beklagten zurück. Es liege nach Ansicht des Gerichts ein erheblicher Eingriff in das Persön­lich­keitsrecht des Klägers vor. Die Äußerung habe gerade vor dem historischen Hintergrund eine Prangerwirkung und setze das Ansehen des Klägers herab.

Aussage kann nicht als Schmähkritik angesehen werden

Dieser Eingriff sei auch rechtswidrig. Die Äußerung der Beklagten ist auch nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts als eine Meinung­s­äu­ßerung zu qualifizieren, da sie eine Wertung enthalte, die nicht dem Beweis zugänglich sei. Auch das Oberlan­des­gericht sehe die Aussage nicht als Schmähkritik an, da es der Beklagten im Rahmen der Diskussion ersichtlich nicht um eine reine Diffamierung des Klägers gegangen sei. Deshalb sei die Frage der Rechts­wid­rigkeit im Rahmen einer Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persön­lich­keitsrecht und dem Recht der freien Meinung­s­äu­ßerung zu klären.

Bezeichnung als "Antisemit" stellt besonders weitreichenden und intensiven Eingriff in allgemeines Persön­lich­keitsrecht dar

Für das Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung spreche, dass ein offener Diskurs über verdeckte antisemitische Tendenzen in der heutigen Gesellschaft gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wichtig sei. Der Kläger wiederum bringe sowohl in seinen Liedtexten als auch bei sonstigen Auftritten und Aktionen seine politischen und gesell­schaft­lichen Anliegen sehr proaktiv ein und stelle seine damit verbundenen Ansichten öffentlich zur Diskussion. Die Bezeichnung als "Antisemit" sei aber vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte als besonders weitreichender und intensiver Eingriff in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht des Klägers zu werten.

Auch Frage der Richtigkeit der Tatsa­chen­be­hauptung entscheidend

Die Meinung­s­äu­ßerung der Beklagten enthalte wertende und tatsächliche Bestandteile, weshalb auch die Frage der Richtigkeit der Tatsa­chen­be­hauptung, auf der die Wertung aufbaue, im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung eine Rolle spiele. Die Beklagte führe zur Begründung ihrer Auffassung u. a. an, dass der Kläger in zwei Liedern antisemitischen Code und antisemitische Chiffren verwende und mit darin enthaltenen Bildern antisemitische Klischees bediene. Der Kläger sei dem entgegen getreten und meine, dass seine Texte hier falsch interpretiert werden. Er sei nicht judenfeindlich. In diesem Zusammenhang sei - so das Oberlan­des­gericht - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger im Jahr 2005 in der Oper in Tel Aviv anlässlich des 40jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen ein Konzert gab. Er unterstütze außerdem unstreitig Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass, z.B. die Initiative "Brothers Keepers" oder "Rock gegen Rechts". In Interviews habe er sich mehrfach gegen Antisemitismus ausgesprochen.

Beweis für Antisemitismus nicht erbracht

Die Äußerung der Beklagten, dass der von ihr behauptete Antisemitismus des Klägers "strukturell nachweisbar sei", lasse sich auch so deuten, dass es objektive Beweise gebe, worauf ihr Werturteil beruhe. Solche Beweise konnte die Beklagte jedoch nicht erbringen, sie habe lediglich die Liedtexte des Klägers und auch verschiedene Äußerungen seinerseits in einer bestimmten Weise gedeutet, von der sich der Kläger aber distanziert habe.

Eingriff in Persön­lich­keits­rechte wiegt schwerer als Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung

Aufgrund der Schwere des Eingriffs in das Persön­lich­keitsrecht des Klägers überwiege dieses das Recht der Beklagten, ihre Meinung frei zu äußern, zumal die Beklagte aufgrund ihrer Äußerung den Eindruck erweckt habe, dass sie sich - wie tatsächlich nicht - auf objektive Beweise für die Tatsachen stützen könne, auf denen ihre Wertung beruhe. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (sogenannte Stolpe-Doktrin) sei bei einer Unter­las­sungsklage diejenige Deutung zugrunde zu legen, welche das Persön­lich­keitsrecht des Klägers am meisten beeinträchtigt.

Quelle: Oberlandesgericht Nürnberg/ra-online (pm/kg)

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