18.10.2024
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Oberlandesgericht Köln Urteil06.01.2009

Keine Schmähkritik: Henryk M. Broder obsiegt im sog. Antisemitismus-StreitZulässigkeit der freien Rede geht vor Persön­lich­keitsrecht

Nach einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Köln darf der Journalist und Buchautor Henryk M. Broder weiter publizieren, Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des 1992 verstorbenen langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, gebe antisemitische Statements ab, wenn dies im sachlichen Zusammenhang mit der Diskussion über irsra­e­l­kri­tische Äußerungen erfolgt. Das Oberlan­des­gericht Köln hob in zweiter Instanz ein anders lautendes Urteil des Landgerichts Köln vom 03.09.2008 auf, das die konkrete Äußerung per einstweiliger Verfügung verboten hatte.

Der Publizist Broder hatte im Mai vergangenen Jahres auf der Internetseite "Die Achse des Guten", die er mitbetreibt, einen offenen Brief an WDR-Intendantin Monika Piel sowie deren Antwort­s­chreiben veröffentlicht. Er kritisierte, dass Evelyn Hecht-Galinski in die WDR-Radiosendung "Hallo Ü-Wagen" zum Thema "Reden über Israel" eingeladen worden war und schrieb dazu: "Jeder kölsche Jeck mit zwei Promille im Blut würde sogar an Weiberfastnacht erkennen, dass Frau EHG eine hysterische, geltungs­be­dürftige Hausfrau ist, die für niemanden spricht außer für sich selbst und dabei auch nur Unsinn von sich gibt. Ihre Spezialität sind antisemitisch-antizi­o­nis­tische Statements, die zur Zeit mal wieder eine kurze Konjunktur haben“. Bezogen auf das Attribut "antisemitisch" hatte Hecht-Galinski den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Broder erwirkt.

OLG hebt einstweilige Verfügung auf

Diese hob der Senat nun auf. Zwar sei die angegriffene Äußerung ihrem Bedeu­tungs­gehalt nach auch dahin zu verstehen, dass Frau Hecht-Galinski eine antisemitische Geisteshaltung unterstellt werden solle. Auch wenn die Äußerung ihrem Wortlaut nach die Begriffe "antisemitisch" und "antizionistisch" verknüpfe, könne ihr Aussagegehalt nicht darauf reduziert werden, dass nur die Kritik Hecht-Galinskis an der Politik Israels bewertet werden sollte, wie Broder gemeint hatte.

Antisemitismus-Vorwurf Broders ist keine unzulässige Schmähkritik

Gleichwohl hat der Zivilsenat im Antisemitismus-Vorwurf Broders keine unzulässige Schmähkritik gesehen, sondern die Äußerung letztlich vom Grundrecht der Meinung­s­äu­ße­rungs­freiheit als gedeckt erachtet. Auch wenn hier alles dafür spreche, dass Broder eine überzogene bis ausfällige Kritik geäußert habe, könne von einer "Schmähung" erst dann die Rede sein, wenn nicht mehr die Ausein­an­der­setzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - allein die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Die angegriffene Äußerung Broders lasse einen hinreichenden sachlichen Bezug zu der Diskussion über die Regie­rungs­politik Israels und zur Einordnung der u.a. von deutschen Juden hierzu geäußerten Kritik erkennen. Als Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage entferne sie sich daher von einer rein persönlichen Diffamierung Hecht-Galinskis. Broder könne sich danach auf die Zulässigkeit der freien Rede berufen, der gegenüber das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurücktreten müsse. Der durchaus polemisierend und ausfällig zu nennende offene Brief Broders an die WDR-Intendantin lasse den erforderlichen sachlichen Bezug zwar nicht aus sich heraus erkennen. Das sei aber auch nicht zwingend erforderlich; es genüge, wenn auch außerhalb des Briefes liegende Umstände den notwendigen Bezug zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage herstellten - hier zur öffentlichen Diskussion über die Regie­rungs­politik des Staates Israel und der dazu u.a. auch durch jüdische Deutsche geäußerten kritischen Standpunkte. Da Frau Hecht-Galinski sich im vorliegenden Falle auf die konkrete Veröf­fent­lichung auf der Internetseite "achgut.com" gewandt habe, müsse maßgeblich berücksichtigt werden, dass dort auch der Antwortbrief der WDR-Intendantin Monika Piel an Henryk M. Broder mit veröffentlicht worden sei. Daraus gehe aber klar hervor, auf welchen sachlichen Anlass die angegriffene Äußerung Broders Bezug nehme. Auch wenn im genannten Brief keine im Verlauf der Sendung von Seiten Hecht-Galinskis gefallenen konkreten Aussagen wiedergegeben sind, werde dennoch erkennbar, worauf sich Broders Aussage beziehe, nämlich auf die öffentlich verlautbarte Kritik an der Regie­rungs­politik des Staates Israel, deretwegen Frau Hecht-Galinski in die Sendung eingeladen worden war.

Haupt­sa­che­ver­fahren ist noch nicht entschieden

Ein weiteres Rechtsmittel gegen das Urteil, das im einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahren ergangen ist, ist nicht gegeben. Der Streit zwischen den Parteien ist allerdings noch nicht beendet; beim Landgericht Köln ist bereits das Haupt­sa­che­ver­fahren anhängig, in dem am 18.02.2009 Termin zur mündlichen Verhandlung ansteht (Az. 28 O 571/08).

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Köln vom 06.01.2009

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