Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am Morgen eines Tages im Januar 2006 stürzte eine Fußgängerin auf einer vereinzelten Glatteisstelle aus und verletzte sich dabei. Wegen der über Nacht aufgetretenen Plustemperaturen taute Eis an einer Straßenlaterne und tropfte auf den Boden. Dadurch kam es zur Bildung der Glättestelle. Die verunfallte Frau klagte wegen des Sturzes gegen die winterdienstpflichtige Gemeinde auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld. Diese wehrte sich gegen die Klage mit der Begründung, sie habe mit der Glatteisbildung wegen Tauwasser nicht rechnen müssen. Jedenfalls sei sie am Vortag ihrer Räum- und Streupflicht nachgekommen.
Das Landgericht Karlsruhe sprach der Fußgängerin Schmerzensgeld und Schadenersatz zu. Denn seiner Ansicht nach sei die Gemeinde ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen. Die Fußgängerin habe jedoch ein hälftiges Mitverschulden zu tragen gehabt, da sie die Eisfläche bei Einhaltung der erforderlichen Aufmerksamkeit habe erkennen müssen. Gegen diese Entscheidung legten beide Parteien Berufung ein.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied zu Gunsten der beklagten Gemeinde. Diese habe nicht ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Ein Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld nach § 839 BGB, Art. 34 GG habe daher nicht bestanden. Der Winterdienstpflichtige habe im Rahmen und nach Maßgabe des Zumutbaren und seiner Leistungsfähigkeit durch seine Räum- und Streupflicht die Gefahren zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.1993 - III ZR 88/92 und BGH, Urt. v. 05.07.1990 - III ZR 217/89).
Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat das Oberlandesgericht keine Pflicht zur ständigen Beseitigung bloßer Tropfeisbildung gesehen (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.04.1975, Az. 7 U 104/74 = VersR 1976, 346). Die Gefahr, dass unter solchen besonderen Umständen Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen, sei relativ gering. Sie stehe in keinem Verhältnis zu dem finanziellen und personellen Aufwand der Gemeinde, den eine gänzliche Gefahrlosigkeit der Straßen erfordern würde. Vielmehr stellen das Abtropfen oder Abrinnen von Tauwasser und die daraus entstehenden Glättestellen typische winterliche Erscheinungen dar. Auf solche müsse und könne sich jeder Fußgänger bei der im Winter üblichen Sorgfalt einstellen.
Eine Streupflicht könne sich nach Auffassung des Oberlandesgerichts aber dann ergeben, wenn der Bereich unterhalb der Straßenlaterne als Gefahrenstelle bekannt ist, weil es dort häufig zu Glatteisbildung kommt oder wenn wegen konkreter Anhaltspunkte, wie etwa Eiszapfen an der Laterne, die naheliegende Gefahr besteht, dass es aufgrund von Plustemperaturen zum Herabtropfen von Wasser kommt. Beides sei hier jedoch nicht der Fall gewesen.
Das Oberlandesgericht führte zudem aus, dass der Verkehrssicherungspflichtige nicht vorbeugend streuen müsse. Denn eine Streupflicht bestehe grundsätzlich erst bei einer konkreten Glatteisbildung (vgl. BGH, Urt. v. 29.09.1970 - VI ZR 51/69). Von diesem Grundsatz machte das Gericht auch keine Ausnahme, da die beklagte Gemeinde nicht voraussehen konnte, dass es aufgrund von Tauwasser zu einer Glättebildung kommt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.11.2013
Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe, ra-online (vt/rb)