In dem zugrunde liegenden Fall rutschte eine Frau im Februar 1967 gegen 8.00 Uhr infolge einer durch Rauhreifbildung entstanden Glätte auf einem Gehweg aus. Der Weg war zum Unfallzeitpunkt nicht bestreut. Die Frau verlangte daher vom Streupflichtigen Grundstücksbesitzer Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 DM, da er es unterlassen habe den Weg nach Auftreten der Glätte zu Bestreuen. Das Landgericht gab der Klage in Höhe von 800 € statt. Die Berufung des beklagten Grundstücksbesitzers blieb erfolglos. Denn das Berufungsgericht bejahte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten. Er hätte den Gehweg viertelstündlich auf Glätte kontrollieren müssen. Der Grundstücksbesitzer legte dagegen Revision ein.
Der Bundesgerichtshof entschied zu Gunsten des beklagten Grundstücksbesitzers. Der Klägerin habe kein Anspruch auf Schmerzensgeld zugestanden. Die Beweislast dafür, dass zwischen dem Auftreten einer Glättebildung und der Beseitigung ein zu langer Zeitraum und daher eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bestand, treffe den Geschädigten. Dieser Beweispflicht sei die Klägerin jedoch nicht nachgekommen.
Der BGH führte zwar aus, dass eine durch Rauhreifbildung entstandene Glätte grundsätzlich die Pflicht zum Bestreuen des Gehwegs mit abstumpfenden Mitteln begründet. Denn eine solche Pflicht entstehe immer, wenn aufgrund winterlicher Witterungsverhältnisse der Boden so glatt wird, dass daraus eine Gefahr für Fußgänger entsteht.
Die Streupflicht werde aber nach Auffassung des BGH nicht allein dadurch verletzt, dass ein Gehweg zeitweise Glatt ist. Vielmehr entstehe einer Pflichtverletzung daraus, dass die gebotenen und zumutbaren Maßnahmen zur Feststellung und Beseitigung von Glätte nicht vorgenommen werden. Das Berufungsgericht habe demnach eine gegen die Streupflicht verstoßende Unterlassung grundsätzlich darin sehen dürfen, dass der Grundstücksbesitzer nicht durch häufige Kontrollen ein früheres Erkennen der Glätte gewährleistet habe.
Die Häufigkeit der Kontrollen lasse sich aber nicht nach Minuten bestimmen, so der BGH weiter. Es komme immer auf den Einzelfall an. Sei aber nach 1 ¼ bis 1 ½ Stunden nach Eintritt von Eisglätte noch nicht gestreut worden, könne eine Pflichtverletzung angenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 18.05.1955, Az. VI ZR 104/54 - VersR 1955, 456). Besondere Situationen, wie Nieselregen auf frostkalten Boden oder bei geneigten Gehwegen, können demgegenüber eine häufigere Kontrolle nach sich ziehen. Auch sei eine besondere Aufmerksamkeit geboten, wenn bei bereits erkannter Glätte ein Bestreuen wegen starker Niederschläge noch nicht sinnvoll ist. Ein solcher Fall habe hier aber nicht vorgelegen. Der Grundstücksbesitzer habe nicht mit einer erheblich erhöhten Gefahr der Reifbildung vor seinem Grundstück rechnen müssen. Daher sei eine viertelstündliche Kontrollpflicht unverhältnismäßig und unzumutbar gewesen.
Der BGH traf keine Entscheidung darüber, wie oft der Grundstücksbesitzer in diesem Fall hätte kontrollieren müssen. Denn dazu hätte die Klägerin nachweisen müssen welcher Zeitraum zwischen dem Eintritt der Glätte und einer möglichen Kontrolle durch den Grundstücksbesitzer gelegen hat. Erst dann wäre eine Entscheidung darüber, ob dieser Zeitraum genügt, möglich gewesen.
Erläuterungen
Die Entscheidung ist aus dem Jahre 1970 und erscheint im Rahmen der Reihe "Wissenswerte Urteile".
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.02.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)