In dem zu Grunde liegenden Fall kam eine Frau im Januar 1987 kurz nach 9 Uhr beim Aussteigen aus einem Bus infolge von Glätte auf dem Bussteig eines Busbahnhofs zu Fall und erlitt mehrere Verletzungen. Am Unfalltag kam es aufgrund vorausgegangenen Dauerfrost und gefrierenden Regen zu kontinuierlicher Glatteisbildung. Obwohl die streupflichtige Stadt die Fahrbahnen und Steige des Busbahnhofs gegen 5.50 Uhr mit Salz bestreute, wurde es dort um 7.30 Uhr wieder glatt. Während der Einfahrt in den Busbahnhof gegen 9 Uhr kam der Bus ins Rutschen. Zudem mussten sich die Fahrgäste beim Aussteigen aneinander festhalten, um nicht zu stürzen. Der Streudienst der Stadt streute am Unfalltag von 5 Uhr bis 10.30 Uhr unter Einsatz des gesamten Personals und sämtlicher Streufahrzeuge alle im Streuplan aufgeführten Bereiche flächendeckend. Wegen der Verletzungen kam die Frau ins Krankenhaus und verstarb dort im Februar 1987 infolge einer Lungenembolie. Der Ehemann klagte daraufhin auf Erstattung der Beerdigungskosten und auf Zahlung einer Geldrente wegen entgangener Haushaltsleistung. Das Landgericht Trier wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht Koblenz gab auf Berufung des Ehemanns der Klage statt. Dagegen richtete sich die Revision der beklagten Stadt.
Der Bundesgerichtshof entschied gegen die Stadt. Dem Ehemann habe ein Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Amtspflichtverletzung der Stadt zugestanden (§ 839 BGB, Art. 34 GG). Denn die Stadt habe es pflichtwidrig unterlassen öfters die Bussteige zu streuen oder mit anderen Streumitteln (Splitt, Lavalit oder Granulat) zu versuchen eine Langzeitwirkung der Streumaßnahme zu erreichen.
Nach dem Straßenreinigungsgesetz von Rheinland-Pfalz müsse eine Gemeinde bzw. Stadt Gehwege, Fußgängerüberwege und besonders gefährliche Fahrbahnstellen bei Glätte bestreuen, so der BGH weiter. Zu diesen Flächen zählen auch die Bussteige eines Busbahnhofs. Im Rahmen der Streupflicht seien Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs sowie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs zu berücksichtigen. Die Räum- und Streupflicht stehe unter dem Vorbehalt des Zumutbaren. Es komme auf die Leistungsfähigkeit des Winterdienstpflichtigen an. Zudem müsse sich grundsätzlich jeder den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Zum Schutz des Fußgängerverkehrs seien jedoch strenge Anforderungen an die Streupflicht zu stellen. Komme es an einem Ort regelmäßig oder zu bestimmten Zeiten zu einem starken Fußgängerverkehr, treffe dem Winterdienstpflichtigen eine gesteigerte Sicherungspflicht (BGH, Urt. v. 13.07.1967 - III ZR 165/66). Die Bussteige an Busbahnhöfen zählen zu solch besonders gefahrenträchtigen Stellen, da ein- und aussteigende Fahrgäste bei winterlicher Glätte erhöht sturzgefährdet sind.
Aus Sicht der Bundesrichter müsse der Streupflichtige grundsätzlich das Streuen in angemessener Zeit wiederholen, wenn das Streumittel seine Wirkung verloren hat. Zwar dürfe bei nachhaltigem Dauerschneefall oder fortdauerndem eisbildenden Regen das Streuen unterbleiben, wenn es bei Einsatz aller vernünftigerweise in Betracht kommenden Mittel wirkungslos wäre. Dies bedeute aber nicht, dass er bei außergewöhnlichem Glätteverhältnissen regelmäßig von der Streupflicht befreit wäre. Solche Verhältnisse erfordern vielmehr besonders intensive und wiederholte Streumaßnahmen. Dabei genüge es, dass das Streumittel die Gefahr des Ausrutschens zumindest verringert (BGH, Urt. v. 27.11.1984 - VI ZR 49/83).
In welcher zeitlichen Folge das wiederholte Streuen erfolgen müsse, richte sich nach Auffassung des BGH nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. So hat der BGH in einem Fall entschieden, dass eine Großstadt einen verkehrswichtigen, ampelgesicherten gefährlichen Überweg im Laufe des Tages nach etwa drei Stunden erneut bestreuen müsse. In dem hier vorliegenden Fall hätte die Stadt die Bussteige spätestens um 9 Uhr wieder streuen müssen, da gegen 5.50 Uhr das verstreute Salz seine abstumpfende Wirkung um 7.30 Uhr wieder verloren hatte.
Unerheblich sei nach Ansicht des BGH der Einwand der Stadt, sie habe zunächst den Streuplan erfüllen müssen und sämtliche Flächen vollständig abstreuen müssen, bevor sie wiederholt tätig sein könne. Denn erfordern besonders ungünstige winterliche Witterungsverhältnisse den Dauereinsatz des städtischen Streudienstes, müsse und dürfe sie Prioritäten setzen. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Stadt in einem solchen Fall ihr umfangreiches Straßennetz nicht flächendeckend streut und etwa Nebenstraßen nur in größeren Zeitabständen winterdienstlich betreut.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.03.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)