23.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 14541

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Urteil01.07.1993BundesgerichtshofIII ZR 88/92
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BWGZ 1994, 621Die Gemeinde - Verbandszeitschrift des Gemeindetags Baden-Württemberg (BWGZ), Jahrgang: 1994, Seite: 621
  • DAR 1993, 386Zeitschrift: Deutsches Autorecht (DAR), Jahrgang: 1993, Seite: 386
  • MDR 1994, 673Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 1994, Seite: 673
  • NJW 1993, 2802Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1993, Seite: 2802
  • NVwZ 1993, 1228Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 1993, Seite: 1228
  • NZV 1993, 387Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (NZV), Jahrgang: 1993, Seite: 387
  • VersR 1993, 1106Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 1993, Seite: 1106
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil01.07.1993

Winterdienst: Bei ungünstigen winterlichen Witte­rungs­ver­hält­nissen ist wiederholt zu streuenWinter­dienst­pflichtige Stadt verletzte Amtspflicht

Kommt es infolge der winterlichen Witte­rungs­ver­hältnisse zu andauernder Eisglätte, muss die winter­dienst­pflichtige Stadt wiederholt Streuen. Dies gilt jedenfalls für Flächen an denen ein starker Fußgän­ger­verkehr vorherrscht. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs hervor.

In dem zu Grunde liegenden Fall kam eine Frau im Januar 1987 kurz nach 9 Uhr beim Aussteigen aus einem Bus infolge von Glätte auf dem Bussteig eines Busbahnhofs zu Fall und erlitt mehrere Verletzungen. Am Unfalltag kam es aufgrund voraus­ge­gangenen Dauerfrost und gefrierenden Regen zu konti­nu­ier­licher Glatteisbildung. Obwohl die streupflichtige Stadt die Fahrbahnen und Steige des Busbahnhofs gegen 5.50 Uhr mit Salz bestreute, wurde es dort um 7.30 Uhr wieder glatt. Während der Einfahrt in den Busbahnhof gegen 9 Uhr kam der Bus ins Rutschen. Zudem mussten sich die Fahrgäste beim Aussteigen aneinander festhalten, um nicht zu stürzen. Der Streudienst der Stadt streute am Unfalltag von 5 Uhr bis 10.30 Uhr unter Einsatz des gesamten Personals und sämtlicher Streufahrzeuge alle im Streuplan aufgeführten Bereiche flächendeckend. Wegen der Verletzungen kam die Frau ins Krankenhaus und verstarb dort im Februar 1987 infolge einer Lungenembolie. Der Ehemann klagte daraufhin auf Erstattung der Beerdi­gungs­kosten und auf Zahlung einer Geldrente wegen entgangener Haushalts­leistung. Das Landgericht Trier wies die Klage ab. Das Oberlan­des­gericht Koblenz gab auf Berufung des Ehemanns der Klage statt. Dagegen richtete sich die Revision der beklagten Stadt.

Stadt verletzte Amtspflicht

Der Bundes­ge­richtshof entschied gegen die Stadt. Dem Ehemann habe ein Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Amtspflichtverletzung der Stadt zugestanden (§ 839 BGB, Art. 34 GG). Denn die Stadt habe es pflichtwidrig unterlassen öfters die Bussteige zu streuen oder mit anderen Streumitteln (Splitt, Lavalit oder Granulat) zu versuchen eine Langzeitwirkung der Streumaßnahme zu erreichen.

Strenge Anforderungen an die Streupflicht zum Schutz des Fußgän­ger­verkehrs

Nach dem Straßen­rei­ni­gungs­gesetz von Rheinland-Pfalz müsse eine Gemeinde bzw. Stadt Gehwege, Fußgän­ge­r­überwege und besonders gefährliche Fahrbahnstellen bei Glätte bestreuen, so der BGH weiter. Zu diesen Flächen zählen auch die Bussteige eines Busbahnhofs. Im Rahmen der Streupflicht seien Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs sowie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs zu berücksichtigen. Die Räum- und Streupflicht stehe unter dem Vorbehalt des Zumutbaren. Es komme auf die Leistungs­fä­higkeit des Winter­dienst­pflichtigen an. Zudem müsse sich grundsätzlich jeder den gegebenen Straßen­ver­hält­nissen anpassen. Zum Schutz des Fußgän­ger­verkehrs seien jedoch strenge Anforderungen an die Streupflicht zu stellen. Komme es an einem Ort regelmäßig oder zu bestimmten Zeiten zu einem starken Fußgän­ger­verkehr, treffe dem Winter­dienst­pflichtigen eine gesteigerte Siche­rungs­pflicht (BGH, Urt. v. 13.07.1967 - III ZR 165/66). Die Bussteige an Busbahnhöfen zählen zu solch besonders gefah­ren­trächtigen Stellen, da ein- und aussteigende Fahrgäste bei winterlicher Glätte erhöht sturzgefährdet sind.

Wiederholte Streupflicht bei andauernder Glättebildung

Aus Sicht der Bundesrichter müsse der Streupflichtige grundsätzlich das Streuen in angemessener Zeit wiederholen, wenn das Streumittel seine Wirkung verloren hat. Zwar dürfe bei nachhaltigem Dauerschneefall oder fortdauerndem eisbildenden Regen das Streuen unterbleiben, wenn es bei Einsatz aller vernünf­ti­gerweise in Betracht kommenden Mittel wirkungslos wäre. Dies bedeute aber nicht, dass er bei außer­ge­wöhn­lichem Glätte­ver­hält­nissen regelmäßig von der Streupflicht befreit wäre. Solche Verhältnisse erfordern vielmehr besonders intensive und wiederholte Streumaßnahmen. Dabei genüge es, dass das Streumittel die Gefahr des Ausrutschens zumindest verringert (BGH, Urt. v. 27.11.1984 - VI ZR 49/83).

Zeitliche Folge des Streuens richtet sich nach Einzelfall

In welcher zeitlichen Folge das wiederholte Streuen erfolgen müsse, richte sich nach Auffassung des BGH nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. So hat der BGH in einem Fall entschieden, dass eine Großstadt einen verkehrs­wichtigen, ampel­ge­si­cherten gefährlichen Überweg im Laufe des Tages nach etwa drei Stunden erneut bestreuen müsse. In dem hier vorliegenden Fall hätte die Stadt die Bussteige spätestens um 9 Uhr wieder streuen müssen, da gegen 5.50 Uhr das verstreute Salz seine abstumpfende Wirkung um 7.30 Uhr wieder verloren hatte.

Streu­pflichtiger muss notfalls Prioritäten setzen

Unerheblich sei nach Ansicht des BGH der Einwand der Stadt, sie habe zunächst den Streuplan erfüllen müssen und sämtliche Flächen vollständig abstreuen müssen, bevor sie wiederholt tätig sein könne. Denn erfordern besonders ungünstige winterliche Witte­rungs­ver­hältnisse den Dauereinsatz des städtischen Streudienstes, müsse und dürfe sie Prioritäten setzen. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Stadt in einem solchen Fall ihr umfangreiches Straßennetz nicht flächendeckend streut und etwa Nebenstraßen nur in größeren Zeitabständen winter­dienstlich betreut.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

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