18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Oberlandesgericht Hamm Urteil06.03.2014

Modegeschäft muss sich auf Kleinkinder einstellenEinrichtungen für die Präsentation von Waren dürfen nicht durch geringen Kraftaufwand umfallen

Ein Modegeschäft verletzt seine Verkehrs­sicherungs­pflicht, wenn es seine Auslagen auf einem Warenständer präsentiert, der von einem vierjährigen Kleinkind mit geringem Kraftaufwand gekippt werden kann und der dann die Gefahr erheblicher Verletzungen begründet. Dies entschied das Oberlan­des­ge­richts Hamm und bestätigte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Münster.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juni 2012 suchten die Eltern mit der seinerzeit vierjährigen Klägerin das beklagte Modegeschäft in Warendorf auf, um dort einzukaufen. Die Klägerin spielte zunächst in der Spielecke des Modehauses. In einem von ihren Eltern nicht beobachteten Moment begab sie sich zu einem Warenständer in der auf derselben Etage befindlichen Herrenabteilung, in der sich ihre Eltern aufhielten. An dem ca. 1,60 m hohen, mittels Rollen leicht zu bewegenden Ständer waren zu verkaufende Gürtel aufgehängt. Die Klägerin zog an einem Gürtel und brachte so den Ständer zum Kippen. Der Ständer fiel auf die Klägerin und fügte ihr aufgrund eines hervorstehenden Zinkens eine schwere Augenverletzung zu, die operativ behandelt werden musste und möglicherweise eine dauerhafte Schädigung des Sehnervs des linken Auges mit einer verminderten Sehkraft zur Folge hat. Mit ihrer Klage hat die Klägerin vom beklagten Modehaus Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 Euro. Das beklagte Modehaus hat gemeint, in Bezug auf den Warenständer keine Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben, und auf die nach seiner Ansicht unzureichende Beaufsichtigung der Klägerin durch ihre Eltern verwiesen.

Zugbelastung von 800 Gramm genügte zum Umstürzen des Ständers

Das Oberlan­des­gericht Hamm gab der Klägerin Recht. Das beklagte Modegeschäft habe seine Verkehrs­si­che­rungs­pflicht verletzt. Es habe Gürtel auf einem Warenständer angeboten, der bei einer geringen Zugbelastung von nur 800 Gramm, die auch ein Kleinkind ausüben könne, zum Umstürzen gebracht werden konnte. Das habe der gerichtliche Sachverständige festgestellt. Aufgrund der Beschaffenheit des Ständers mit den als Halte­vor­richtung für die Gürtel dienenden Zinken habe die Gefahr erheblicher Verletzungen bestanden, wenn der Ständer umfalle.

Kunden dürfen auf Gefah­ren­be­sei­tigung vertrauen

Diese Gefahrenquelle habe das beklagte Modehaus beseitigen müssen. Darauf dürften Kunden vertrauen, die das Modehaus gemeinsam mit ihren Kindern aufsuchten. Modegeschäfte - wie von der Beklagten betrieben - lenkten die Aufmerksamkeit von Eltern bewusst auf die präsentierten Waren und nicht auf Gefahren, die vom Mobiliar für Kinder ausgehen könnten. Hinzu komme, dass Kinder im Alter der Klägerin kurze Momente der Unauf­merk­samkeit ihrer Eltern dazu nutzten, ihrem Spieltrieb entsprechend ihre Umgebung zu erkunden und aus kindlicher Neugier ohne die gebotene Vorsicht auch an Einrichtungen oder Waren zu ziehen. Deswegen seien die Betreiber von Beklei­dungs­ge­schäften gehalten, die für die Präsentation von Waren vorgesehenen Einrichtungen so aufzustellen, dass sie von kleinen Kindern, die ihre Eltern beim Einkauf begleiteten, nicht ohne großen Kraftaufwand zum Umfallen gebracht werden könnten.

Eltern müssen nicht mit einer vom Gürtelständer ausgehenden Gefahr rechnen

Der Verkehrs­si­che­rungs­pflicht der Beklagten stehe nicht entgegen, dass Kinder im Alter der Klägerin regelmäßig ständiger Aufsicht der Eltern bedürfen, damit sie sich nicht Gefahren aussetzten, die sie noch nicht erkennen und beherrschen könnten. Die gebotene elterliche Aufsicht könne nur solche Sicherungsmaßnahmen entbehrlich machen, die von den Eltern unschwer zu beherrschen seien. Auf die von dem Gürtelständer ausgehende Gefahr treffe das nicht zu, weil Eltern nicht damit rechnen müssten, dass eine derartige Laden­ein­richtung bereits bei einem leichten Ziehen ihres Kindes umfalle.

Eingerichtete Spielecke entlastet Modegeschäft nicht

Auch entlaste es die Beklagte nicht, dass sie eine Spielecke für Kinder wie die Klägerin eingerichtet habe. Diese diente nicht dazu, Kinder vom Warenangebot fernzuhalten, sondern sollte den Eltern die Möglichkeit verschaffen, sich verstärkt dem Warenangebot zuzuwenden, sofern es die Umstände des Ladenbesuchs zuließen.

Keine Aufsichts­ver­letzung der Eltern feststellbar

Eine Mithaftung der Eltern der Klägerin komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Den Eltern sei keine Verletzung ihrer Aufsichts­pflicht vorzuwerfen, weil sich die Klägerin auf dem Weg der lediglich ca. 5 m entfernten Spielecke zu den in Sichtweite befindlichen Eltern befunden habe, als sich der Unfall ereignete. Im Übrigen stehe nicht fest, dass die Eltern den Unfall hätten verhindern können, weil bereits ein einmaliges kurzes Ziehen an einem Gürtel des Ständers bei ungünstiger Ausrichtung der Rollen den Ständer kippen lassen konnte. Ein derartiges kindliches Verhalten lasse sich auch bei ununter­bro­chener Nähe und Beaufsichtigung durch die Eltern nicht sicher verhindern.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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