15.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss17.03.2016

Nordrhein-westfälisches Untersuchungs­haft­vollzugs­gesetz erlaubt keine Zwangs­me­di­kationAnordnung der Zwangs­me­di­kation bedarf besonderer gesetzlicher Grundlage

Die Zwangs­me­di­kation eines in Unter­su­chungshaft Inhaftierten kann nicht auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Untersuchungs­haft­vollzugs­gesetzes (UVollzG NRW) erfolgen. Sie bedarf vielmehr einer besonderen gesetzlichen Grundlage, die die Zulässigkeit des Eingriffs klar und bestimmt regelt. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und bestätigte damit den erstin­sta­nz­lichen Beschluss des Landgerichts Arnsberg.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der im Jahr 1988 geborene Angeklagte befindet sich seit September 2015 in Untersuchungshaft. Ihm wird zur Last gelegt, in Winterberg einen Totschlag verübt zu haben. Die gegen den Angeklagten wegen dieser Tat erhobene Anklage wird seit März 2016 vor dem Schwurgericht des Landgerichts Arnsberg verhandelt. Die Haupt­ver­handlung ist noch nicht abgeschlossen.

Kranken­haus­leitung beantragt Anordnung zur Zwangs­me­di­kation

In der Zeit seiner Unter­su­chungshaft war der Angeklagte für ca. vier Wochen in dem Justiz­voll­zugs­kran­kenhaus in Fröndenberg untergebracht. Dort wurde er auf der psychiatrischen Abteilung stationär behandelt. Auf der Grundlage des § 28 UVollzG NRW beantragte der Leiter des Krankenhauses unter Hinweis auf eine ärztliche Stellungnahme die richterliche Anordnung einer Zwangs­me­di­kation des Angeklagten. Zur Begründung wies er darauf hin, dass der Angeklagte unter einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leide und sich extrem verhal­tens­auf­fällig sowie akut fremdaggressiv zeige. Unter einer neuroleptischen Medikation sei er deutlich zugänglicher und weniger angespannt. Mit dieser Medikation sei der Angeklagte auch anfangs einverstanden gewesen. Mittlerweile zeige er jedoch keinerlei Krank­heits­einsicht mehr und lehne jede Medikation ab. Von ihm gehe aber noch eine akute Fremdgefährdung aus.

Schwurgericht lehnt Zwangs­me­di­kation mangels gesetzlicher Grundlage ab

Mit Beschluss seines Vorsitzenden lehnte das Arnsberger Schwurgericht die Zwangs­me­di­kation ab, weil es für diese keine hinreichende gesetzliche Grundlage gebe. Gegen diese Entscheidung hat der Leiter des Justiz­voll­zugs­kran­ken­hauses Beschwerde eingelegt.

Medizinische Behandlung gegen den Willen des Betroffenen stellt besonders schwer wiegenden Grund­recht­s­eingriff dar

Das Oberlan­des­ge­richts Hamm bestätigte die erstin­sta­nzliche Entscheidung. Das nordrhein-westfälische Unter­su­chungs­haft­voll­zugs­gesetz enthalte keine Rechtsgrundlage für eine Zwangs­me­di­kation, so das Gericht. Die medizinische Behandlung eines Unter­su­chungs­ge­fangenen gegen seinen Willen sei ein besonders schwer wiegender Grund­recht­s­eingriff, der nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nur auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen könne. Dieses müsse die formellen und materiellen Voraussetzungen für den Grund­recht­s­eingriff hinreichend klar und bestimmt regeln.

Vorschrift wird verfas­sungs­ge­richt­lichen Vorgaben nicht gerecht

Den verfas­sungs­ge­richt­lichen Vorgaben werde die Vorschrift des § 28 UVollzG NRW nicht gerecht, soweit auf sie eine medizinische Zwangsbehandlung - zumal mit Neuroleptika - gestützt werden solle. Insoweit lasse die Vorschrift bereits eine Regelung der Eingriffs­vor­aus­set­zungen vermissen, auch fehle es an der näheren Beschreibung durch­zu­füh­render Zwangsmaßnahmen. Zudem fehle eine Regelung zur Dokumentation der krank­heits­be­dingten Einwil­li­gungs­un­fä­higkeit sowie für die Ankündigung der beabsichtigten Maßnahme gegenüber dem Betroffenen. Insbesondere sehe die Vorschrift keine von der Justiz­voll­zugs­anstalt unabhängige ärztliche Prüfung der Eingriffs­vor­aus­set­zungen vor.

Zwangs­me­di­kation kann nicht unter dem Gesichtspunkt einer im Einzelfall notwendigen Gefahrenabwehr gerechtfertigt werden

Entgegen der vom Leiter des Justiz­voll­zugs­kran­ken­hauses vertretenen Ansicht könne eine Zwangs­me­di­kation in Anwendung des § 28 UVollzG NRW nicht allein unter dem Gesichtspunkt einer im Einzelfall notwendigen Gefahrenabwehr gerechtfertigt werden. Den insoweit vorliegenden Mängeln der gesetzlichen Regelung könne nicht im Wege einer verfas­sungs­kon­formen Auslegung abgeholfen werden, die Defizite könne nur der Gesetzgeber beheben.

Anmerkung:

Erläuterungen

§ 28 UVollzG NRW (Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesund­heits­fürsorge) lautet wie folgt:

Hält der ärztliche Dienst die Durchführung von Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesund­heits­fürsorge für unerlässlich und ordnet das Gericht diese an, so dürfen die Maßnahmen nur unter ärztlicher Leitung durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, dass eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. Zur Durchführung der Maßnahmen besteht keine Verpflichtung, solange von einer freien Willens­be­stimmung der Unter­su­chungs­ge­fangenen ausgegangen werden kann.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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