Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der heute 31 Jahre alte Betroffene aus Extertal ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes. In diesem beschäftigt er einen heute 43 Jahre alten Arbeitnehmer. Dessen Arbeitsvertrag legt die Arbeitszeit und das monatliche Bruttogehalt fest. Der Arbeitsvertrag unterfällt einem durch Rechtsverordnung für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag, der Mindestentgelte für Arbeitnehmer im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau regelt.
Aufgrund einer Selbstanzeige des Betroffenen erließ das Hauptzollamt Bielefeld als Bußgeldbehörde gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz im Februar 2015 einen Bußgeldbescheid und verhängte ein Bußgeld von 1.000 Euro. Dem Betroffenen wurde zur Last gelegt, als Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes ab dem 1. Januar 2015 keine Aufzeichnungen über Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des bei ihm beschäftigten Arbeitnehmers geführt zu haben. Dabei vertrat die Bußgeldbehörde die Auffassung, dass der Betrieb des Betroffenen dem Geltungsbereich des AEntG unterliege und den Betroffenen zu den in Frage stehenden Aufzeichnungen verpflichte.
Auf den Einspruch des Betroffenen sprach das Amtsgericht Bielefeld den Betroffenen von dem erhobenen Vorwurf frei. Die gegen die erstinstanzliche Entscheidung von der Staatsanwaltschaft Bielefeld erhobene Rechtsbeschwerde blieb nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm erfolglos.
Der Betroffene habe sich nach Auffassung des Oberlandesgerichts nicht ordnungswidrig verhalten, weil er die Arbeitszeiten seines Arbeitsnehmers seit dem 1. Januar 2015 nicht aufgezeichnet habe. Die in Betracht kommende Bußgeldvorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 8 AEntG in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 oder 2 AEntG sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG regele die Pflicht des Arbeitgebers Aufzeichnungen über die tägliche Arbeitszeit zu erstellen und bereitzuhalten. Nach Satz 2 der Norm sei dem Arbeitgeber ein Entleiher von Arbeitskräften gleichgestellt.
Die Aufzeichnungspflicht des § 19 Abs. 1 AEntG bestehe, soweit auf das Arbeitsverhältnis Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages oder einer entsprechenden Rechtsverordnung über die Zahlung von Mindestentgelt, die Einziehung von Sozialkassenbeiträgen oder über Urlaubsansprüche anzuwenden seien. Das sei vorliegend zwar der Fall. Allerdings sei der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 AEntG beschränkt. Die Regelung gelte nur für die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG ausdrücklich bezeichneten Branchen des Bauhaupt- und des Baunebengewerbes. Den Bereich der Landwirtschaft führe das Gesetz in diesem Zusammenhang nicht auf, so dass es nach seinem Wortlaut keine Aufzeichnungspflicht für den Betrieb des Betroffenen begründe.
Eine analoge Anwendung der Bußgeldvorschrift des AEntG auf die vom Gesetzeswortlaut nicht erfasste Landwirtschaftsbranche komme nicht in Betracht. Eine Analogie, d. h. die Anwendung einer Bußgeldvorschrift über ihren Inhalt hinaus auf einen von der Vorschrift nicht erfassten, nur ähnlichen Lebenssachverhalt sei zu Ungunsten eines Betroffenen nicht zulässig. Ein dem Betroffenen anzulastender ordnungswidriger Verstoß ergebe sich im vorliegenden Fall auch nicht aus dem Mindestlohngesetz, dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder dem Arbeitszeitgesetz. Keines dieser Gesetze verpflichte den Betroffenen zu der in Frage stehenden Aufzeichnung und Dokumentation der werktäglichen, regulären Arbeitszeiten eines Arbeitnehmers in einer Festanstellung.
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig [...]
8. entgegen § 19 Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstellt oder nicht oder nicht mindestens zwei Jahre aufbewahrt oder [...]
(1) 1 Soweit die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1, § 5 Satz 1 Nummer 1 bis 3 und § 6 Absatz 2 oder einer entsprechenden Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7 a über die Zahlung eines Mindestentgelts oder die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, ist der Arbeitgeber verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren. 2 Satz 1 gilt entsprechend für einen Entleiher, dem ein Verleiher einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin oder mehrere Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen zur Arbeitsleistung überlässt. [...]
(1) § 3 gilt für Tarifverträge
1. des Bauhauptgewerbes oder des Baunebengewerbes im Sin-ne der Baubetriebe-Verordnung vom 28. Oktober 1980 (BGBl. I S. 2033), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 26. April 2006 (BGBl. I S. 1085), in der jeweils geltenden Fassung einschließlich der Erbringung von Montageleistungen auf Baustellen außerhalb des Betriebssitzes, [...]
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.11.2016
Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online