21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss19.01.2016

Kein grenz­überschrei­tendes Verbot der Doppel­be­strafung im Verhältnis zu Bosnien-HerzegowinaIm Grundgesetz verankertes Verbot der Doppel­be­strafung gilt nur für Strafverfolgung durch deutsche Gerichte

Ein wegen einer Straftat bereits in seinem Heimatland verurteilter bosnisch-herze­go­wi­nischer Staats­an­ge­höriger kann zur Strafverfolgung wegen derselben Straftat nach Italien ausgeliefert werden. Das Verbot der Doppel­be­strafung steht der Zulässigkeit der Auslieferung in diesem Fall nicht entgegen. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm.

Im zugrunde liegenden Verfahren begehrten die italienischen Behörden auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls die Auslieferung eines im Jahre 1963 geborenen bosnisch-herze­go­wi­nischen Staats­an­ge­hörigen, um diesen u.a. wegen Mordes strafrechtlich zu verfolgen. Sie legen dem Verfolgten zur Last, am 29. Mai 1993 in Gornji Vakuf (Bosnien) als Anführer im Zusammenwirken mit mindestens vier weiteren Tätern einen aus Italien kommenden Konvoi mit Hilfsgütern für die vom Krieg betroffene Zivil­be­völ­kerung überfallen und dabei einen Geländewagen sowie einen Lastkraftwagen mit Essensgütern, Geld, 10 Millionen Marken, Reini­gungs­mitteln und Arzneimitteln erbeutet zu haben. Dabei sollen fünf mit dem Hilfstransport befasste italienische Staats­an­ge­hörige unter Waffengewalt entführt worden sein. Drei der Entführten sollen auf Veranlassung und unter Mitwirkung des Verfolgten sodann erschossen worden sein, nur zwei hätten fliehen können.

Verfolgter verbüßte bereits Haftstrafe in Bosnien

Bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2015 konnte der Betroffene auf dem Flughafen Dortmund vorläufig festgenommen werden. Im Rahmen des Auslie­fe­rungs­ver­fahrens wurde bekannt, dass der Verfolgte wegen der geschilderten Taten von bosnischen Gerichten bereits - nach seiner Darstellung zu Unrecht - zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt wurde. Dabei ist das Verfahren mit Wissen und unter Zustimmung des Ankla­ge­ver­treters bei dem internationalen Staats­ge­richtshof für das ehemalige Jugoslawien vor bosnischen Gerichten geführt worden. Die verhängte Strafe hat der Verfolgte in Bosnien bis zu seiner Entlassung im Februar 2014 voll verbüßt. Nach Deutschland will der Verfolgte nach eigenen Angaben eingereist sein, um seine hier lebende Schwester zu besuchen.

Verurteilung des Verfolgten wegen derselben Taten durch bosnische Gerichte steht Auslieferung nicht entgegen

Das Oberlan­des­gericht Hamm erklärte die Auslieferung des Verfolgten nach Italien für zulässig. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auslieferung seien erfüllt, entschied das Gericht. Die Verurteilung des Verfolgten wegen derselben Taten durch bosnische Gerichte stehe der Auslieferung nicht entgegen. Das im Grundgesetz verankerte Verbot der Doppel­be­strafung gelte nur für die Strafverfolgung durch deutsche Gerichte. Nach dem Schengener Durch­füh­rungs­über­ein­kommen und nach der EU-Grundrechte-Charta sei einem Schengener Vertragsstaat und einem Mitglied der europäischen Union nur dann die erneute Verfolgung und Bestrafung der Straftat eines Straftäters untersagt, wenn gegen den Täter wegen derselben Tat bereits in einem der Vertragsstaaten ein rechtskräftiges Urteil ergangen sei. Das gelte nicht für die Urteile der Gerichte in Bosnien-Herzegowina, weil Bosnien-Herzegowina weder Vertragsstaat des Schengener Durch­füh­rungs­über­ein­kommens noch Mitgliedstaat der Europäischen Union sei. Auf das 1. Zusatzprotokoll des Europäischen Auslie­fe­rungs­über­ein­kommens könne insoweit nicht abgestellt werden, weil weder Deutschland noch Italien dieses Zusatzprotokoll ratifiziert hätten. Schließlich sei ein grenz­über­schrei­tendes Verbot der Doppel­be­strafung auch keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die einem Auslie­fe­rungs­ver­fahren entgegenstehe.

In Italien drohende lebenslange Haftstrafe macht Auslieferung ebenfalls nicht unzulässig

Dass dem Verfolgten in Italien im Falle seiner Verurteilung eine zeitige Freiheitsstrafe bis zu 30 Jahren oder eine lebenslange Freiheitsstrafe mit der sich anschließenden Straf­voll­streckung drohe, mache seine Auslieferung ebenfalls nicht unzulässig. Das verstoße nicht gegen unabdingbare Grundsätze des deutschen Verfas­sungs­rechts. Angesichts der Schwere der dem Verfolgten zur Last gelegten Straftaten (u.a. Mord) könne die in Italien drohende Strafe nicht als unerträglich hart oder unmenschlich angesehen werden. Nach Auskunft der italienischen Behörden habe der Verfolgte zudem auch bei einer Verurteilung zur lebenslangen Freiheitsstrafe nach italienischem Recht grundsätzlich die Chance, wieder in Freiheit zu gelangen. Darüber hinaus werde die in Bosnien-Herzegowina wegen derselben Taten bereits verbüßte Haftzeit im Rahmen der italienischen Straf­voll­streckung angerechnet.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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