23.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss28.07.2015

Untergebrachter im Maßregelvollzug hat Recht auf Selbst­ver­sorgungZwingende Verpflichtung zum Anschluss an bereits bestehende "Selbst­versorger­gruppe" besteht nicht

Ein im Maßregelvollzug Untergebrachter hat grundsätzlich das Recht, sich selbst zu versorgen. Er ist nicht zwingend verpflichtet, sich einer in der Maß­regel­vollzugs­klinik bereits bestehenden "Selbst­versorger­gruppe" anzuschließen. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 1989 geborene Betroffene befindet sich im Maßregelvollzug nach § 63 StGB in der LWL-Klinik Herne. Er wendet sich gegen die ihm von der Klinikleitung untersagte Gründung einer eigenen "Selbst­ver­sor­ger­gruppe", gegebenenfalls auch in der Form einer "Einzel-Selbst­ver­sor­ger­gruppe". Die Klinikleitung hat zur Begründung ihrer Entscheidung darauf verwiesen, dass in der Klinik eine Selbst­ver­sor­ger­gruppe bereits bestehe, an der der Betroffene teilnehmen könne. Diese diene der Förderung der sozialen Kompetenz des Einzelnen. Das therapeutische Konzept sehe vor, dass eine regelmäßige und gezielte Beteiligung und Unterstützung durch Klinikpersonal stattfinde. So solle Untergebrachten mit Problemen, sich in der Gruppe zurechtzufinden, geholfen werden. Der Betroffene hat demgegenüber gemeint, sich bei der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten der bestehenden Gruppe nicht anschließen zu müssen. Er habe das Recht, seinen Koch- oder Tischpartner selbst auszusuchen.

Selbst­ver­sorgung darf nur zur Abwendung schwerwiegender Störungen des geordneten Zusammenlebens untersagt werden

Nach der Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Hamm war die Entscheidung der Klinikleitung, dem Betroffenen die Gründung einer "(Einzel-)Selbst­ver­sor­ger­gruppe" zu versagen, ermes­sens­feh­lerhaft. Das Begehren des Betroffenen richte sich letztendlich darauf, eine Selbst­ver­sorgung (allein oder gemeinsam mit anderen) durchführen zu können, ohne den Einschränkungen der bereits vorhandenen "Selbst­ver­sor­ger­gruppe" unterworfen zu sein, die u.a. in einer Beaufsichtigung durch das Anstalts­personal und einer Verpflichtung zur gemeinsamen Einnahme von Mahlzeiten bestünden. Mit der von der Klinikleitung gegebenen Begründung habe die beantragte Erlaubnis nicht versagt werden dürfen. Nach dem einschlägigen Maßre­gel­voll­zugs­gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen könne eine Selbst­ver­sorgung nur untersagt werden, wenn dies zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung des geordneten Zusammenlebens oder der Sicherheit unerlässlich sei. Eine derartige Situation sei bislang nicht festgestellt.

Unterbringung im Maßregelvollzug dient ausschließlich präventiven Zwecken

Zu vermeiden sei auch ein Wertungs­wi­der­spruch von in der Behandlung im Maßregelvollzug nach § 63 StGB Untergebrachter zu den im Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung nach § 66 StGB untergebrachten Straftätern. Bei beiden Formen der Unterbringung beruhe der Freiheitsentzug nur auf einer Gefähr­lich­keits­prognose, nicht aber auf dem Beweis begangener Straftaten. Den Betroffenen werde im Interesse der Allgemeinheit gleichsam ein Sonderopfer auferlegt. Das habe den Gesetzgeber dazu bewogen, den Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung so zu gestalten, dass die Belastungen für den Untergebrachten möglichst gering gehalten würden. Nach den Vorgaben des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts habe der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen, dass im Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung über den unabdingbaren Entzug der "äußeren" Freiheit hinaus weitere Belastungen möglichst vermieden würden. Nach diesen Grundsätzen sei auch die Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 63 StGB zu gestalten. Auch dieser Freiheitsentzug diene ausschließlich präventiven Zwecken. Zudem betreffe er u.a. Untergebrachte, die die Anlasstaten im Zustand der Schul­d­un­fä­higkeit begangen hätten, also - anders als Siche­rungs­ver­wahrte - nicht die Möglichkeit hatten, das Unrecht ihrer Handlung zu erkennen oder entsprechend dieser Einsicht zu handeln.

Untersagung eigenständiger Gruppen zur therapeutischer Teilnahme an "offizieller" Selbst­ver­sor­ger­gruppe zulässig

Das Oberlan­des­gericht hat aber darauf hingewiesen, dass nach § 63 StGB Untergebrachten nicht immer zwingend die Selbst­ver­sorgung zu genehmigen ist. Neben den oben genannten Sicher­heit­s­a­spekten bzw. Aspekten des geordneten Zusammenlebens, kann auch die therapeutische Notwendigkeit einer Teilnahme an einer "offiziellen" Selbst­ver­sor­ger­gruppe geeignet sein, eine eigenständige Selbst­ver­sorgung zu untersagen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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