23.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss10.05.2016

OLG Hamm präzisiert Anforderungen für Zeitschrif­ten­verbot für StrafgefangeneFür Zeitschrif­ten­verbot muss Verbreitung der Zeitschrift auch in Freiheit mit Strafe oder Geldbuße bedroht sein

Die Justiz­vollzugs­anstalt kann einem Strafgefangenen den Bezug einer Zeitschrift generell verbieten, wenn die Verbreitung der Zeitschrift mit Strafe oder Geldbuße bedroht und daher auch in Freiheit verboten ist. Im Übrigen kann die Justiz­vollzugs­anstalt einem Gefangenen einzelne Ausgaben einer Zeitschrift oder Teile von Zeitschriften vorenthalten, wenn die Zeitschrift z.B. aufgrund des Inhalts ihrer Artikel die Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder das Vollzugsziel erheblich gefährdet. Unter Hinweis auf diese Rechtslage hat das Oberlan­des­ge­richts Hamm den Bescheid einer Justiz­vollzugs­anstalt und die diesen Bescheid bestätigende Entscheidung der Straf­vollstreckungs­kammer des Landgerichts Bochum aufgehoben.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der im Jahre 1977 geborene Betroffene verbüßt eine Haftstrafe in einer im Ruhrgebiet gelegenen Justiz­voll­zugs­anstalt. Seit Anfang des Jahres 2015 bezog der Betroffene die acht Mal jährlich erscheinende Zeitschrift "gefangenen info". Diese Zeitschrift entwickelte sich aus der Zeitschrift "Angehörigen Info", die wiederum aus der zu Zeiten inhaftierter RAF-Terroristen gegründeten Zeitschrift "Hungerstreik Info" hervorgegangen ist. In der etwa 20 bis 30-seitigen Zeitschrift "gefangenen info" werden regelmäßig Themen wie (Solidaritäts-) Hungerstreiks, "Isolationshaft", Unterbringungen im "Bunker", Maßnahmen einzelner Justiz­voll­zugs­an­stalten und/oder bestimmter Bediensteter, Haftbedingungen, Missstände, Prozessberichte sowie die Straf­tat­be­stände über die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen (§§ 129 ff StGB) erörtert.

Justiz­voll­zugs­anstalt spricht sich gegen Zulassung der Zeitschrift in ihrer Anstalt aus

Nach Prüfung mehrerer Ausgaben der Zeitschrift sprach sich die Justiz­voll­zugs­anstalt im Mai 2015 generell gegen die Zulassung der Zeitschrift in ihrer Anstalt aus. Die Ausgabe der Zeitschrift für August 2015 händigte die Justiz­voll­zugs­anstalt dem Betroffenen nicht mehr aus, sondern nahm sie zu seiner Habe. Zur Begründung ihres dem Betroffenen erteilten Bescheides wies sie im vorliegenden Verfahren darauf hin, dass der Betroffene den Bezug der Zeitschrift zuvor nicht beantragt habe. Außerdem habe die Überprüfung früherer Zeitschrif­ten­ex­emplare ergeben, dass diese Ausgaben zum Teil unrichtige Darstellungen von Anstalts­ver­hält­nissen sowie sehr subjektiv und zum Teil diffamierend verfasste Darstellungen verschiedener Entscheidungen einzelner Justiz­voll­zugs­an­stalten und/oder dort beschäftigter Personen enthielten. Diese Darstellungen könnten das Erreichen des Vollzugsziels bei den zum Leserkreis der Zeitschrift zählenden Gefangenen erschweren oder verhindern. Des Weiteren könnte die Sicherheit und/oder Ordnung der Anstalt durch Schilderungen und Aufrufe zum (Solidarität-) Hungerstreik, zum Auflehnen gegen das System, durch die Schilderung von subkulturellen Handlungen (Handybesitz und Drogenkonsum) sowie von Fluchtversuchen mittels Geiselnahme gefährdet sein.

Den vom Betroffenen gegen den ablehnenden Bescheid der Justiz­voll­zugs­anstalt gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung verwarf die Straf­voll­stre­ckungs­kammer des Landgerichts Bochum als unbegründet.

Justiz­voll­zugs­anstalt muss über Aushändigung eines eingehaltenen Zeitschrif­ten­ex­emplars neu entscheiden

Gegen die Entscheidung der Straf­voll­stre­ckungs­kammer hat der Betroffene erfolgreich Rechts­be­schwerde eingelegt. Das Oberlan­des­ge­richts Hamm hat die angefochtene Entscheidung und den zu Grunde liegenden Bescheid der Justiz­voll­zugs­anstalt aufgehoben. Das Gericht hat die Justiz­voll­zugs­anstalt angewiesen, über die Aushändigung des eingehaltenen Zeitschrif­ten­ex­emplars an den Betroffenen unter Beachtung seiner Rechts­auf­fassung erneut zu entscheiden.

Verstoß der Inhalte eines Druck­e­r­zeug­nisses gegen Strafgesetze nicht ausreichend für Bezugsverbot

Die mit dem Bescheid der Justiz­voll­zugs­anstalt ausgesprochene Anhal­te­ver­fügung könne nicht auf ein generelles Verbot des Bezugs der Zeitschrift gestützt werden, so das Gericht. Die Ausübung des Grundrechts der Infor­ma­ti­o­ns­freiheit durch Strafgefangene regle das nordrhein-westfälische Straf­voll­zugs­gesetz. Nach dem Gesetz könne ein Strafgefangener grundsätzlich frei wählen, welche Zeitung oder Zeitschrift er beziehen wolle, soweit deren Verbreitung nicht mit Strafe oder Geldbuße bedroht und daher auch in Freiheit verboten sei. Insoweit reiche es nicht aus, wenn nur der Inhalt des Druck­e­r­zeug­nisses gegen Strafgesetze verstoße, vielmehr müsse die Verbreitung der Zeitschrift mit Strafe oder Geldbuße bedroht sein. Nur unter diesen Voraussetzungen, die die Justiz­voll­zugs­anstalt in Bezug auf die streit­ge­gen­ständliche Zeitschrift nicht festgestellt habe, könne der Bezug einer Zeitschrift generell ausgeschlossen werden.

Gründe für generellen Bezugs­aus­schluss nicht gegeben

Die von der Justiz­voll­zugs­anstalt im vorliegenden Fall aufgeführten Gründe der erheblichen Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt sowie des Vollzugsziels rechtfertigten nur die Vorenthaltung von einzelnen Ausgaben oder Teilen von Zeitschriften oder Zeitungen, nicht aber einen generellen Bezugs­aus­schluss. Gebe es keinen Grund für einen generellen Bezugs­aus­schluss, sei daher jede Einzelausgabe einer Zeitschrift dahingehend zu überprüfen, ob durch sie oder Teile davon im Falle einer Aushändigung das Vollzugsziel oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährdet würden. Im Hinblick auf den fehlenden Antrag der Zeitschrift gebiete u.a. die Fürsorgepflicht der Anstalt, dem Gefangenen die Möglichkeit zu geben, den Antrag noch nachträglich zustellen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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