15.11.2024
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Dokument-Nr. 17536

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Beschluss23.11.2013Oberlandesgericht Hamm1 VAs 116/13 bis 1 VAs 120/13 und 1 VAs 122/13
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss23.11.2013

Staats­an­walt­schaft darf Zivilgericht auch im Rahmen von Kron­zeugen­regelungen bei Kartell­ver­stößen Akteneinsicht gewährenOLG Hamm stärkt Einsichtsrecht von Zivilgerichten in Akten über Kartell­ordnungs­widrigkeiten

Die aktenführende Staats­an­walt­schaft darf einem Zivilgericht, das über einen mit einem Kartellverstoß begründeten Schadens­ersatz­anspruch zu entscheiden hat, geschäftliche Informationen über Kartellanten, die sich aus den zu einer Kartell­ordnungs­widrigkeit geführten Akten ergeben, im Wege der Akteneinsicht zugänglich machen. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm unter Zurückweisung entge­gen­ste­hender Anträge der Kartellanten.

Die antrag­stel­lenden Kartellanten des zugrunde liegenden Falls, in Deutschland ansässige Firmen, gerieten in den Verdacht, durch wettbe­wer­bs­widrige Absprachen den Bausektor betreffende Märkte in Europa untereinander aufgeteilt zu haben. Um die wegen Kartell­ver­stößen zu erwartenden Geldbußen zu reduzieren, stellten sie Anträge nach so genannten Kronzeu­gen­re­ge­lungen, mit denen sie wettbe­wer­bs­widrige Ansprachen einräumten. In den Kronzeu­gen­re­ge­lungen wird die Vertraulichkeit der geschäftlichen Informationen zugesichert, die bei einer Antragstellung gemacht werden. Für in Deutschland in der Zeit von 1995 bis 2003 begangene Kartellverstöße wurden gegen die Kartellanten schließlich Geldbußen in Höhe von über 250 Mio. Euro verhängt.

Landgericht Berlin beantragt bei der Staats­an­walt­schaft Düsseldorf Akteneinsicht in dort geführte Kartell­ord­nungs­wid­rig­keits­ver­fahren

In Deutschland ansässige Baufirmen nehmen die Kartellanten nunmehr in einem beim Landgericht Berlin anhängigen Zivilprozess auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht Berlin hat die Akten eines bei der Staats­an­walt­schaft Düsseldorf geführten Kartell­ord­nungs­wid­rig­keits­ver­fahrens einschließlich der dort aktenkundigen Angaben zu den Kronzeu­ge­n­an­trägen und Bußgel­dent­schei­dungen zur Einsicht angefordert, weil die klagenden Firmen dies zur Beweisführung hinsichtlich der illegalen Kartellabsprachen beantragt hätten und ihnen ein weitergehender Vortrag zu den geheim­ge­hal­tenden Kartell­ab­sprachen nicht möglich sei.

Kartellanten widersprechen beantragter Akteneinsicht

Dem Akten­ein­sichts­gesuch haben die Kartellanten u. a. unter Hinweis auf die in den Kronzeu­gen­re­ge­lungen zugesicherte Vertraulichkeit widersprochen und - als die aktenführende Staats­an­walt­schaft angekündigt hat, dem Landgericht Berlin die beantragte Akteneinsicht zu gewähren - einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Akten­ein­sichts­gesuch einer Justizbehörde unterliegt weniger strengen Regeln

Das Oberlan­des­gericht Hamm hat die Anträge der Kartellanten zurückgewiesen. Auf der Grundlage der die Akteneinsicht regelnden Vorschriften der §§ 474 ff Straf­pro­zess­ordnung habe sich die aktenführende Staats­an­walt­schaft zu Recht für die Gewährung der Akteneinsicht entschieden. Als Zivilgericht könne das Landgericht Berlin um die Akteneinsicht ersuchen, die nach der gesetzlichen Bestimmung in der Regel zu gewähren sei. Im Unterschied zum Akten­ein­sichts­gesuch einer Partei unterliege das für Zwecke der Rechtspflege gestellte Akten­ein­sichts­gesuch einer Justizbehörde weniger strengen Regeln. Die Prüfung, ob die Kenntnis des Akteninhalts für die anfordernde Stelle erforderlich sei, obliege dabei der anfordernden und nicht der ersuchten Stelle. Die aktenführende Staats­an­walt­schaft prüfe lediglich, ob das Übermitt­lungs­er­suchen im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liege, was im vorliegenden Fall zu bejahen sei. Weitergehende Nachforschungen habe sie als ersuchte Behörde grundsätzlich nicht anzustellen. Demgegenüber habe das Landgericht Berlin nach Übersendung der Akten in eigener Verantwortung zu prüfen, inwieweit die durch die Akteneinsicht erlangten Daten im Zivilprozess unter Berück­sich­tigung schützenswerter Interessen der dort verklagten Kartellanten zu verwenden seien.

Den Kartellanten zustehendes Recht auf Schutz ihrer Geschäfts- und Betrie­bs­ge­heimnisse rechtfertigt nicht Versagen der Akteneinsicht an das Landgericht

Eine weitergehende Prüfungspflicht der Staats­an­walt­schaft als der übermittelnden Stelle habe auch nicht aufgrund eines besonderen Anlasses bestanden. Ein solcher ergebe sich nicht aus der einem Kartellanten im Rahmen der Kronzeu­gen­re­gelung zugesicherten Vertraulichkeit. Diese mache die offenbarten geschäftlichen Informationen nicht zu einer ungewöhnlichen Art von Daten. Die in den Kronzeu­ge­n­an­trägen herausgegebenen Informationen stellten letztendlich nichts anderes dar, als eine selbst­be­lastende Einlassung der an den Ordnungs­wid­rig­keiten Beteiligten. Dass sie im Rahmen einer Kronzeu­gen­re­gelung gemacht worden seien, verleihe ihnen eine besondere Bedeutung, verändere aber die Information als solche nicht. Das den Kartellanten grundsätzlich zustehende Recht auf Schutz ihrer Geschäfts- und Betrie­bs­ge­heimnisse sowie auf informationelle Selbst­be­stimmung rechtfertige es nicht, bereits die Akteneinsicht an das Landgericht zu versagen. Diese Rechts­po­si­tionen seien bei einer zu gewährenden Akteneinsicht nahezu immer betroffen. Die im vorliegenden Fall in Frage stehenden geschäftlichen Informationen seien knapp 10 Jahre alt und nach der Einschätzung des Senats als wirtschaftlich nicht mehr sensibel einzustufen. Gegenteiliges werde von den Kartellanten auch nicht konkret vorgetragen. Im Übrigen stellten Tatsachen, aus denen sich ein Kartellverstoß ergebe, keine Geschäfts- und Betrie­bs­ge­heimnisse dar, die schützenswert seien.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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