Die antragstellenden Kartellanten des zugrunde liegenden Falls, in Deutschland ansässige Firmen, gerieten in den Verdacht, durch wettbewerbswidrige Absprachen den Bausektor betreffende Märkte in Europa untereinander aufgeteilt zu haben. Um die wegen Kartellverstößen zu erwartenden Geldbußen zu reduzieren, stellten sie Anträge nach so genannten Kronzeugenregelungen, mit denen sie wettbewerbswidrige Ansprachen einräumten. In den Kronzeugenregelungen wird die Vertraulichkeit der geschäftlichen Informationen zugesichert, die bei einer Antragstellung gemacht werden. Für in Deutschland in der Zeit von 1995 bis 2003 begangene Kartellverstöße wurden gegen die Kartellanten schließlich Geldbußen in Höhe von über 250 Mio. Euro verhängt.
In Deutschland ansässige Baufirmen nehmen die Kartellanten nunmehr in einem beim Landgericht Berlin anhängigen Zivilprozess auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht Berlin hat die Akten eines bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf geführten Kartellordnungswidrigkeitsverfahrens einschließlich der dort aktenkundigen Angaben zu den Kronzeugenanträgen und Bußgeldentscheidungen zur Einsicht angefordert, weil die klagenden Firmen dies zur Beweisführung hinsichtlich der illegalen Kartellabsprachen beantragt hätten und ihnen ein weitergehender Vortrag zu den geheimgehaltenden Kartellabsprachen nicht möglich sei.
Dem Akteneinsichtsgesuch haben die Kartellanten u. a. unter Hinweis auf die in den Kronzeugenregelungen zugesicherte Vertraulichkeit widersprochen und - als die aktenführende Staatsanwaltschaft angekündigt hat, dem Landgericht Berlin die beantragte Akteneinsicht zu gewähren - einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
Das Oberlandesgericht Hamm hat die Anträge der Kartellanten zurückgewiesen. Auf der Grundlage der die Akteneinsicht regelnden Vorschriften der §§ 474 ff Strafprozessordnung habe sich die aktenführende Staatsanwaltschaft zu Recht für die Gewährung der Akteneinsicht entschieden. Als Zivilgericht könne das Landgericht Berlin um die Akteneinsicht ersuchen, die nach der gesetzlichen Bestimmung in der Regel zu gewähren sei. Im Unterschied zum Akteneinsichtsgesuch einer Partei unterliege das für Zwecke der Rechtspflege gestellte Akteneinsichtsgesuch einer Justizbehörde weniger strengen Regeln. Die Prüfung, ob die Kenntnis des Akteninhalts für die anfordernde Stelle erforderlich sei, obliege dabei der anfordernden und nicht der ersuchten Stelle. Die aktenführende Staatsanwaltschaft prüfe lediglich, ob das Übermittlungsersuchen im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liege, was im vorliegenden Fall zu bejahen sei. Weitergehende Nachforschungen habe sie als ersuchte Behörde grundsätzlich nicht anzustellen. Demgegenüber habe das Landgericht Berlin nach Übersendung der Akten in eigener Verantwortung zu prüfen, inwieweit die durch die Akteneinsicht erlangten Daten im Zivilprozess unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen der dort verklagten Kartellanten zu verwenden seien.
Eine weitergehende Prüfungspflicht der Staatsanwaltschaft als der übermittelnden Stelle habe auch nicht aufgrund eines besonderen Anlasses bestanden. Ein solcher ergebe sich nicht aus der einem Kartellanten im Rahmen der Kronzeugenregelung zugesicherten Vertraulichkeit. Diese mache die offenbarten geschäftlichen Informationen nicht zu einer ungewöhnlichen Art von Daten. Die in den Kronzeugenanträgen herausgegebenen Informationen stellten letztendlich nichts anderes dar, als eine selbstbelastende Einlassung der an den Ordnungswidrigkeiten Beteiligten. Dass sie im Rahmen einer Kronzeugenregelung gemacht worden seien, verleihe ihnen eine besondere Bedeutung, verändere aber die Information als solche nicht. Das den Kartellanten grundsätzlich zustehende Recht auf Schutz ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertige es nicht, bereits die Akteneinsicht an das Landgericht zu versagen. Diese Rechtspositionen seien bei einer zu gewährenden Akteneinsicht nahezu immer betroffen. Die im vorliegenden Fall in Frage stehenden geschäftlichen Informationen seien knapp 10 Jahre alt und nach der Einschätzung des Senats als wirtschaftlich nicht mehr sensibel einzustufen. Gegenteiliges werde von den Kartellanten auch nicht konkret vorgetragen. Im Übrigen stellten Tatsachen, aus denen sich ein Kartellverstoß ergebe, keine Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse dar, die schützenswert seien.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.01.2014
Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online