21.11.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss29.01.2020

Anordnung des paritätischen Wechselmodells unterfällt ausschließlich dem SorgerechtEinstweilige Anordnungen von Amts wegen in Sorge­rechts­verfahren nur bei festgestellter Kindes­wohl­gefährdung möglich

Die Anordnung des paritätischen Wechselmodells betrifft das Sorge-, nicht das Umgangsrecht. Deswegen ist eine einstweilige Anordnung, mit der ein paritätisches Wechselmodell angeordnet wird, anfechtbar. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt am Main hervor.

Im zugrunde liegenden Fall hatten sich die Eltern der betroffenen Kinder im Rahmen gegenläufiger Sorge- und Umgangsanträge im Jahr 2018 auf das sogenannte paritätische Wechselmodell geeinigt. Die seinerzeit ein Jahr bzw. fünf Jahre alten Kinder wechselten seither mehrfach während der Woche zwischen den Eltern. Im Sommer 2019 beantragte die Mutter vor dem Familiengericht eine Abänderung der Vereinbarung und eine Anordnung des sogenannten Residenzmodells, bei dem die Kinder bei regelmäßigen Umgängen überwiegend von ihr betreut werden. Die Beteiligten behandelten das Verfahren als Umgangs­ver­fahren (in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs zur Zulässigkeit der umgangs­recht­lichen Anordnung eines Wechselmodells). Die Eltern konnten sich in diesem Haupt­sa­che­ver­fahren nicht auf eine Betreuungsform einigen. Derzeit wird in diesem Verfahren ein Gutachten zu der Frage eingeholt, welche Betreuungsform mit dem Wohl der Kinder am besten vereinbar wäre.

Familiengericht leitet einstweiliges Anord­nungs­ver­fahren als Umgangs­ver­fahren ein

Das Familiengericht hat wegen der fehlenden Einigung außerdem von Amts wegen das hier gegenständliche einstweilige Anord­nungs­ver­fahren als Umgangs­ver­fahren eingeleitet. Es ordnete an, dass die Eltern nunmehr die Kinder wochenweise abwechselnd betreuen und ging dabei davon aus, dass diese Anordnung in Anbetracht der fehlenden Anfechtbarkeit von einstweiligen Anordnungen zum Umgang unanfechtbar bis zum Abschluss des Haupt­sa­che­ver­fahrens gelten wird.

OLG: Anordnung des paritätischen Wechselmodells betrifft nicht nur Umgangsregelung

Mit ihrem Rechtsmittel machte die Mutter nunmehr erfolgreich geltend, dass diese Einschätzung unrichtig und damit eine Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung zulässig ist. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main betonte in seiner Entscheidung, dass die Anordnung des paritätischen Wechselmodells eine sorgerechtliche Regelung enthält und nicht nur eine Umgangsregelung trifft. Entscheidungen über den Lebens­mit­telpunkt des Kindes - oder die paritätische Aufteilung eines Lebens­mit­tel­punktes - fielen unter das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht, nicht unter das Umgangsrecht, so das Oberlan­des­gericht. Der Gesetzgeber habe ersichtlich mit "Umgang" eine den "Bezie­hungs­erhalt gewährende Besuchsregelung" gemeint. Die elterliche Sorge, die sich auf das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht erstrecke, beinhalte dagegen eine Aufent­halts­lösung, die einen überwiegend betreuenden Elternteil schaffe. Auch aus der Geset­zes­ge­schichte folge, dass der Gesetzgeber zwischen einem betreuenden Elternteil und einem "nur" umgangs­be­rech­tigten Elternteil Entscheidungen getroffen habe, die den unter­schied­lichen Regelungsgehalt beider rechtlichen Kategorien abbilden.

OLG widerspricht Rechtsprechung des BGH

Das Oberlan­des­gericht widersprach damit der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs, der trotz breit geäußerter Kritik daran festhalte, dass das Wechselmodell über eine Umgangsregelung angeordnet werden könne. Die Auswirkungen dieser nach Ansicht des Oberlan­des­ge­richts unrichtigen Einordnung zeigten sich besonders deutlich in dem vorliegenden Verfahren: Sie habe zur Folge, dass einstweilige Anordnungen unanfechtbar wären, obwohl sie für Monate - wenn nicht Jahre - elementare Lebens­be­din­gungen für Kinder und Eltern festschrieben. Dies betreffe faktisch unabänderlich nicht nur die persönlichen Belange, sondern auch Unter­halts­fragen, das Recht auf staatliche Unter­halts­vor­schüsse, Melde­ver­hältnisse etc.

Einordnung in Umgangsrecht würde zu unerwünschter Erweiterung staatlicher Eingriffs­be­fugnisse führen

Die Einordnung in das Umgangsrecht führe auch zu einer vom Gesetzgeber unerwünschten Erweiterung staatlicher Eingriffs­be­fugnisse. Grundsätzlich sei das in Art. 6 GG verwurzelte Erziehungsrecht der Eltern zu respektieren. Einstweilige Anordnungen von Amts wegen könnten in Sorge­rechts­ver­fahren deswegen nur bei einer festgestellten Kindeswohlgefährdung ergehen. Diese Eingriffs­schwelle würde untergraben, wenn das paritätische Wechselmodell als Umgangslösung gedacht und von Amts wegen angeordnet werden könne.

Kindes­wohl­ge­fährdung im vorliegenden Fall nicht erkennbar

Der Beschluss des Famili­en­ge­richts wurde aufgehoben, weil kein Elternteil eine Abänderung der ursprünglich getroffenen Vereinbarung im Eilverfahren beantragt hatte und das Oberlan­des­gericht keinerlei Anhaltspunkte für eine Kindes­wohl­ge­fährdung erkennen konnte. Die Eltern hatten sich ohnehin für die Zeit des schwebenden Verfahrens auf eine leicht geänderte und mit weniger Wechseln verbundene Betreuung der Kinder geeinigt.

Erläuterungen

Erläuterungen: BGH zur Möglichkeit, nach § 1684 BGB auch eine Umgangsregelung mit jeweils der Hälfte der Zeit beim Vater und der Mutter zu treffen: BGH, Beschluss vom 1.2.2017 - XII ZB 601/15 Offengelassen vom 1. Familiensenat des OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.10.2018 - 1 UF 74/18, siehe Presse­mit­teilung Nr. 54/18 vom 14.11.2018 § 57 FamFG Rechtsmittel 1Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen sind nicht anfechtbar. 2Dies gilt nicht in Verfahren nach § FAMFG § 151 Nummer 6 und 7 und auch nicht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Erörterung • 1. über die elterliche Sorge für ein Kind, • 2. ... entschieden hat. § 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. (2) ... § 1671 BGB Übertragung der Alleinsorge bei Getrenntleben der Eltern (1) 1Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. 2Dem Antrag ist stattzugeben, soweit • 1. der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, das Kind hat das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung, oder

2. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. • (2) ...

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online (pm/kg)

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