21.11.2024
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Bundesgerichtshof Beschluss01.02.2017

Paritätisches Wechselmodell zur Betreuung des Kindes auch gegen den Willen eines Elternteils möglichKindeswohl bleibt jedoch entscheidender Maßstab bei Anordnung eines Umgangsrechts

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass und unter welchen Voraussetzungen das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils gegen den Willen des anderen Elternteils ein sogenanntes paritätisches Wechselmodell, also die etwa hälftige Betreuung des Kindes durch beide Eltern, als Umgangsregelung anordnen darf.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die geschiedenen Eltern ihres im April 2003 geborenen Sohnes. Sie sind gemeinsam sorgeberechtigt. Der Sohn hält sich bislang überwiegend bei der Mutter auf. Im Mai 2012 trafen die Eltern eine Umgangsregelung, nach welcher der Sohn den Vater alle 14 Tage am Wochenende besucht. Im vorliegenden Verfahren erstrebt der Vater die Anordnung einer Umgangsregelung in Form eines paritätischen Wechselmodells. Er will den Sohn im wöchentlichen Turnus abwechselnd von Montag nach Schulschluss bis zum folgenden Montag zum Schulbeginn zu sich nehmen. Das Amtsgericht hat den Antrag des Vaters zurückgewiesen. Dessen Beschwerde ist vor dem Oberlan­des­gericht ohne Erfolg geblieben.

Kind hat Recht auf Umgang mit jedem Elternteil

Auf die hiergegen eingelegte Rechts­be­schwerde des Vaters hat der Bundes­ge­richtshof den Beschluss des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Nach § 1684 Abs. 1 BGB* hat das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB kann das Familiengericht über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln.

Gesetzgeber Residenzmodell nicht als gesetzliches Leitbild festlegen

Das Gesetz enthält keine Beschränkung des Umgangsrechts dahingehend, dass vom Gericht angeordnete Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreu­ungs­an­teilen der Eltern führen dürfen. Vom Geset­zes­wortlaut ist vielmehr auch eine Betreuung des Kindes durch hälftige Aufteilung der Umgangszeiten auf die Eltern erfasst. Zwar orientiert sich die gesetzliche Regelung am Residenzmodell, also an Fällen mit überwiegender Betreuung durch einen Elternteil bei Ausübung eines begrenzten Umgangsrechts durch den anderen Elternteil. Dies besagt aber nur, dass der Gesetzgeber die praktisch häufigste Gestaltung als tatsächlichen Ausgangspunkt der Regelung gewählt hat, nicht hingegen, dass er damit das Residenzmodell als gesetzliches Leitbild festlegen wollte, welches andere Betreu­ungs­modelle ausschließt. Dass ein Streit über den Lebens­mit­telpunkt des Kindes auch die elterliche Sorge und als deren Teilbereich das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht betrifft, spricht jedenfalls bei Bestehen des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern nicht gegen die Anordnung des Wechselmodells im Wege einer Umgangsregelung. Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung steht vielmehr mit dem gemeinsamen Sorgerecht im Einklang, zumal beide Eltern gleich­be­rechtigte Inhaber der elterlichen Sorge sind und die im Wechselmodell praktizierte Betreuung sich als entsprechende Sorge­rechts­ausübung im gesetzlich vorgegebenen Rahmen hält.

Paritätisches Wechselmodell setzt bestehende Kommunikations- und Koope­ra­ti­o­ns­fä­higkeit der Eltern voraus

Entscheidender Maßstab der Anordnung eines Umgangsrechts ist neben den beiderseitigen Elternrechten allerdings das Kindeswohl, das vom Gericht nach Lage des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen ist. Das Wechselmodell ist anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreu­ungs­mo­dellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Wechselmodell gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind stellt, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich auf zwei hauptsächliche Leben­s­um­ge­bungen ein- bzw. umzustellen hat. Das paritätische Wechselmodell setzt zudem eine bestehende Kommunikations- und Koope­ra­ti­o­ns­fä­higkeit der Eltern voraus. Dem Kindeswohl entspricht es dagegen regelmäßig nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, diese Voraussetzungen erst herbeizuführen. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konflikt­be­lastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlver­standenen Interesse des Kindes. Wesentlicher Aspekt ist zudem der vom Kind geäußerte Wille, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht beizumessen ist.

Persönliche Anhörung des Kindes bei Gericht grundsätzlich erforderlich

Das Familiengericht ist im Umgangs­rechts­ver­fahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes. Im vorliegenden Fall hatte das Oberlan­des­gericht eine persönliche Anhörung des Kindes nicht durchgeführt, weil es zu Unrecht davon ausgegangen war, dass eine auf ein Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung nach der gesetzlichen Regelung nicht möglich sei. Das Verfahren ist daher zur Nachholung der Kindesanhörung und zur erneuten Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen worden.

* § 1684 BGB Umgang des Kindes mit den Eltern

(1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.

(2) Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Entsprechendes gilt, wenn sich das Kind in der Obhut einer anderen Person befindet.

(3) Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln. Es kann die Beteiligten durch Anordnungen zur Erfüllung der in Absatz 2 geregelten Pflicht anhalten. [...]

(4) [... ]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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