23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen einen Vertrag, der gerade unterzeichnet wird und davor die ilhouetten von zwei Personen.
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil29.05.2019

Respektloses Verhalten gegenüber Mitarbeitern: Grobe Pflicht­ver­let­zungen der Betreuerin einer schwerst­be­hin­derten Person rechtfertigen Kündigung eines HeimplatzesStabiles Vertrauens­verhältnis zwischen Mitarbeitern und zu betreuender Person sowie deren Angehörigen unabdingbare Voraussetzung für Vertrags­er­füllung

Schwere Pflicht­ver­let­zungen der Betreuerin rechtfertigen unter besonderen Umständen die außer­or­dentliche Kündigung eines Heimvertrags, auch wenn dies zu einer erheblichen Belastung für die betreute behinderte Person führen kann. Bei der Abwägung steht dem gebotenen Eintreten für die Rechte und Interessen der schwerst­be­hin­derten Person das Erfordernis der Kooperation mit der Einrichtung und des Unterlassens unsachlich respektlosen Verhaltens zu den Mitarbeitern gegenüber. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Falls ist ein gemeinnütziger Rechtsträger und betreibt eine Wohneinrichtung für Menschen mit geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderungen in Frankfurt am Main. Die Beklagte ist geistig und körperlich behindert und wird von ihrer Mutter gesetzlich betreut. Die Beklagte hat einen hohen Pflegebedarf und wohnt in der Wohneinrichtung der Klägerin. Bereits kurz nach Einzug bat die Klägerin, bestehende Konflikte im Gespräch zu klären, und stellte andernfalls eine fristlose Kündigung in Aussicht. Die Betreuerin wies die Vorwürfe zurück und beanstandete ihrerseits die Betreuung und Pflege. Eine Einigung kam nicht zustande. Die Klägerin kündigte nachfolgend den Vertrag aus wichtigem Grund. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin die Herausgabe des von der Beklagten bewohnten Zimmers.

OLG hält Fortsetzung des Heimvertrages aufgrund schuldhafter gröblicher Verletzung vertraglicher Pflichten seitens der Betreuerin für unzumutbar

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main Erfolg. Der Klägerin könne die Fortsetzung des Heimvertrages aufgrund der schuldhaften gröblichen Verletzung der vertraglichen Pflichten seitens der Beklagten bzw. ihrer Betreuerin nicht mehr zugemutet werden, so das Oberlan­des­gericht. Dabei sei der Beklagten das Verhalten ihrer Betreuerin zuzurechnen (§§ 278, 1902 BGB). Der Heimvertrag enthalte die Nebenpflicht, das Erbringen der Leistungen durch die Klägerin zu ermöglichen und hierbei zu kooperieren. Diese Verpflichtung treffe praktisch nicht die Beklagte selbst, der ein anderes Verhalten gerade nicht vorwerfbar wäre, sondern ihre Betreuerin, die für sie die vertraglichen Handlungen übernehme. Die Nebenpflicht bedeute zwar nicht, dass die Beklagte bzw. ihre Betreuerin nicht ihre eigenen Vorstellungen über die Behandlung verfolgen und deren Umsetzung erwarten dürften. Die Klägerin müsse sich auch jederzeit bei begründetem Anlass Beschwerden der Betreuer stellen. Die Beklagte als schwer­be­hin­derter Mensch, die sich nicht selbst helfen kann, sei existenziell darauf angewiesen, dass sich andere ihrer annehmen und ihre Rechte wahren. Eine Pflicht­ver­letzung bei der Wahrnehmung der Interessen der Beklagten komme deshalb nur unter besonderen Umständen in Betracht. Diese lägen hier allerdings vor.

Erreichung eines Vertragszwecks setzt unabdingbare Bereitschaft aller Beteiligten zur Kooperation voraus

Die Betreuerin habe sich nicht auf eine Inter­es­sen­wahr­nehmung beschränkt, sondern dabei zugelassen, dass ihr Lebensgefährte wiederholt in nicht hinnehmbarer Weise gegenüber dem Personal aufgetreten sei. Sie sei jedoch verpflichtet gewesen, in ausreichender Weise mäßigend auf ihren Lebensgefährten einzuwirken. Dieser habe die Mitarbeiter der Klägerin insgesamt persönlich herabgewürdigt - unter anderem durch Bezeichnungen wie "Idioten" und "Saftladen" -, sich respektlos verhalten, sie gemaßregelt und es zuletzt sogar darauf angelegt, sie im Vorbeigehen zu rempeln, so das Gericht. Er habe laut Gericht unmotiviert geschrien und geflucht und dabei in emotionaler Weise mit einem Publikmachen über das Fernsehen und mit juristischen Schritten gedroht. Insgesamt habe er eine beängstigende Atmosphäre geschaffen. Schlich­tungs­ge­spräche seien erfolglos verlaufen. Es sei laut Gericht keine Bereitschaft zu erkennen gewesen, das erkennbar bestehende erhebliche Problem im Umgang miteinander in irgendeiner Weise selbst mit zu lösen. Zur Erreichung des Vertragszwecks gehöre aber eine unabdingbare Bereitschaft aller Beteiligten zur Kooperation; dies setze jedenfalls ein Mindestmaß an gegenseitigem Verständnis voraus, entschied das Gericht.

Erforderliches Mindestmaß eines gebotenen Vertrau­ens­ver­hält­nisses nicht mehr gegeben

Bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Interessen sei zu berücksichtigen, dass die Kündigung sich für die Beklagte selbst als erhebliche Belastung auswirken werde. Andererseits erfordere aber gerade die Betreuung und Pflege der Beklagten als in hohem Maße verant­wor­tungsvolle und mit emotionalen Belastungen verbundene Tätigkeit ein stabiles Vertrau­ens­ver­hältnis zwischen den Mitarbeitern der Klägerin und der Beklagten sowie ihren Angehörigen. Dieses erforderliche Mindestmaß eines gebotenen Vertrau­ens­ver­hält­nisses bestehe aber seit geraumer Zeit nicht mehr. Es sei auch nicht erkennbar, dass dies in absehbarer Zeit wieder­her­ge­stellt werden könne. In Hinblick auf die Schwierigkeiten, einen angemessenen anderen Heimplatz zu finden, wurde eine Räumungsfrist bis zum 31. Dezember 2019 bestimmt.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online (pm/kg)

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