18.10.2024
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Sie sehen eine Einbauküche in einer Wohnung.

Dokument-Nr. 419

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Entscheidung21.04.2005BundesgerichtshofIII ZR 293/04
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Bundesgerichtshof Entscheidung21.04.2005

Bundes­ge­richtshof entscheidet über vertragliche Kündi­gungs­gründe beim Betreuten Wohnen

Die Beklagte, ein mit dem Bayerischen Roten Kreuz verbundenes Unternehmen, unterhält in München in einer Wohnungs­ei­gen­tums­anlage einen Senioren-Wohnsitz. Sie hat die hierfür erforderlichen Wohnungen von mehr als 200 Wohnungs­ei­gen­tümern zum Zweck des Betriebs eines "Senioren-Wohnheimes" angemietet und darf im Rahmen dieser Zweckbestimmung die Eigen­tums­woh­nungen an Dritte weitervermieten. Die (jetzt 81-jährige) Klägerin bewohnt aufgrund eines mit der Beklagten geschlossenen „Pensi­ons­vertrags“ mit Wirkung vom 1. Mai 2001 ein aus zwei Zimmern, Kochnische, Bad/WC, Diele und Balkon bestehendes, abgesehen von einer Einbauküche unmöbliert überlassenes Appartement von 47 m² Größe. Zu den im Vertrag beschriebenen Grund- und Service­leis­tungen, für die monatlich ein „Netto-Pensionspreis“ von 2.295 DM zu entrichten ist, gehören neben der Nutzung des Appartements das Recht zur Mitbenutzung aller Gemein­schaft­s­ein­rich­tungen, eine Notruf­be­reit­schaft rund um die Uhr durch hauseigenes Fachpersonal, erste Hilfe zu jeder Tages- und Nachtzeit sowie bei vorübergehender Erkrankung pflegerische Betreuung durch das Pflegepersonal der Beklagten im Appartement bis zu zehn Tagen pro Jahr. Hinzu treten eine Reihe weiterer Beratungs- und Betreu­ungs­dienste und angebote. An zusätzlich zu entgeltenden Leistungen nimmt die Klägerin das Mittagessen und die Reinigung ihres Appartements in Anspruch. Es unterliegt nach dem Vertrag ihrer Entscheidung, ob sie im Bedarfsfall für die Erbringung von gesondert zu vergütenden Pflege­leis­tungen den hauseigenen oder fremde Dienste in Anspruch nimmt. Der auf Lebenszeit des Bewohners abgeschlossene Vertrag enthält in § 19 Regelungen zur Kündigung, die an die Kündi­gungs­be­stim­mungen des Heimgesetzes angelehnt sind.

Die Beklagte teilte den Bewohnern im Juni 2002 mit, sie wolle die vertragliche Laufzeit der Mietver­hältnisse mit den Eigentümern nicht verlängern, was bedeute, daß der Betrieb des Senioren-Wohnsitzes zum 31. Dezember 2005 auslaufen werde. Die Wohnungen würden somit zum 1. Januar 2006 an die Eigentümer zurückgegeben. Zugleich wies sie darauf hin, sie und das Bayerische Rote Kreuz betrieben mehrere Häuser, in die die Bewohner ohne großen Aufwand umziehen könnten. Der Umzug werde von ihr organisiert, und die Bewohner würden insoweit tatkräftig unterstützt. Als Grund für ihre Entscheidung wurde angegeben, der Weiterbetrieb des Senioren-Wohnsitzes erfordere die Erfüllung weitreichender behördlicher Auflagen und die Tätigung von Investitionen, die wirtschaftlich nicht verkraftet werden könnten. Die Beklagte hat den Pensionsvertrag mit der Klägerin noch nicht gekündigt.

Auf die von der Klägerin erhobene Feststel­lungsklage hat das Amtsgericht der Beklagten eine an das Heimgesetz angelehnte Kündi­gungs­mög­lichkeit versagt und gemeint, die in dem Pensionsvertrag insoweit geregelten Kündi­gungs­gründe verstießen gegen §§ 543, 569 Abs. 5 BGB. Dabei ist das Amtsgericht davon ausgegangen, daß das Schwergewicht des Vertrags, der das sog. Betreute Wohnen betrifft, mietvertraglich sei. Das Landgericht, das diese Frage offengelassen hat, hat die Klage abgewiesen, weil weder mietver­tragliche, dienst­ver­tragliche noch heimver­tragliche Regelungen eine Kündigung generell ausschlössen. Es hat die Revision zugelassen, weil die Frage von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob in Pensi­ons­ver­trägen der vorliegenden Art Kündi­gungs­mög­lich­keiten vorgesehen werden könnten, die sich an das Heimgesetz anlehnten. Mit ihrer Revision hat die Klägerin zunächst die Wieder­her­stellung des amtsge­richt­lichen Urteils begehrt. Während des Revisi­ons­ver­fahrens hat sie selbst den Pensionsvertrag mit der Beklagten gekündigt. Sie bewohnt das Appartement jetzt aufgrund eines mit dem Eigentümer geschlossenen Mietvertrags weiter und beschafft sich die bisher von der Beklagten erbrachten Dienste von Dritten. Mit Rücksicht auf diese Kündigung haben die Parteien in der mündlichen Revisi­ons­ver­handlung die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

In der hiernach nur noch veranlaßten Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits, die unter Berück­sich­tigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu ergehen hatte, hat der III. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs die vertragliche Vereinbarung von Kündi­gungs­mög­lich­keiten, die sich an das Heimgesetz anlehnen, für zulässig erachtet. Dabei mußte er mangels hinreichender Feststellungen in den Vorinstanzen offen lassen, ob auf den Pensionsvertrag nicht schon deshalb das Heimgesetz anzuwenden ist, weil der Senioren-Wohnsitz als Heim anzusehen ist. Allerdings bestand nach der Revisi­ons­ver­handlung kein Zweifel daran, daß das in dem nicht aufgegliederten Pensionspreis enthaltene Entgelt für die Betreu­ungs­pau­schale nicht von untergeordneter Bedeutung war. Der III. Zivilsenat hat deshalb befunden, eine allein mietrechtliche Betrachtung der Vertrags­be­ziehung werde der Bedeutung der mit der Betreuung zusam­men­hän­genden Vertrag­s­elemente nicht gerecht. Das zeige sich etwa bei einer Beendigung des Zwischen­miet­ver­hält­nisses. Daß hier der Eigentümer des Wohnraums in das Mietverhältnis eintrete, sei eine angemessene Lösung für die Nutzung der Wohnung, entspreche aber nicht den Erwartungen des Mieters für die verabredeten Betreu­ungs­leis­tungen. Nehme die Betreuung bei der vertraglichen Gestaltung keine untergeordnete Rolle ein, bestünden keine Bedenken gegen eine Kündi­gungs­mög­lichkeit bei einer Veränderung des Gesund­heits­zu­stands des Bewohners, wenn eine fachgerechte Betreuung nicht mehr möglich sei – hier stünden die Grenzen eines Betreuten Wohnens ohnehin in Frage – und bei einer Einstellung oder wesentlichen Veränderung des Betriebs des Senioren-Wohnsitzes. Zu dieser Kündi­gungs­mög­lichkeit hat der III. Zivilsenat ausgeführt, sie stehe keineswegs im freien Belieben des Betreibers, sondern sei nur gerechtfertigt, wenn die Fortsetzung des Vertrags für diesen eine unzumutbare Härte darstellen würde. In diesem Zusammenhang sei das Interesse des Vertrags­partners, in der gewählten Einrichtung auf Dauer bleiben zu können, zu berücksichtigen. Zugleich sei zu beachten, daß mit einer solchen Kündi­gungs­mög­lichkeit die Pflicht verbunden sei, dem Bewohner eine angemessene anderweitige Unterkunft und Betreuung zu zumutbaren Bedingungen nachzuweisen und die Kosten des Umzugs in angemessenem Umfang zu tragen. Ob die Voraussetzungen für eine solche Kündigung hier vorlagen, war nicht Gegen-stand der Klage. Da sich die Klägerin mit ihrem Rechts­s­tandpunkt einer alleinigen Anwendbarkeit der mietrechtlichen Kündi­gungs­be­stim­mungen für Wohnraum nicht durchsetzen konnte, hat der III. Zivilsenat die Kosten des Revisi­ons­ver­fahrens ihr auferlegt.

Vorinstanzen: AG München - 453 C 21545/02 ./. LG München I - 31 S 15357/03

Quelle: Pressemitteilung Nr. 61/05 des BGH vom 21.04.2005

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