03.12.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss03.01.2020

Überwachung des ruhenden Verkehrs durch "private Dienstleister" gesetzeswidrigErmittelte Beweise unterliegen absolutem Verwer­tungs­verbot

Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main hat in einer Grund­satz­entscheidung die Überwachung des ruhenden Verkehrs durch "private Dienstleister" für gesetzeswidrig erklärt. Die so ermittelten Beweise unterliegen einem absoluten Verwer­tungs­verbot.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Oberbür­ger­meister der Stadt Frankfurt am Main (Stadt Frankfurt) hatte als Ortspo­li­zei­behörde wegen unerlaubten Parkens im eingeschränkten Halteverbot gegen den Betroffenen ein Verwarngeld von 15 Euro verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Frankfurt am Main das Verwarngeld durch Urteil vom 19. Juli 2018 bestätigt. Die Feststellungen zu dem Parkverstoß beruhen auf der Angabe des in der Haupt­ver­handlung vernommenen Zeugen H.. Dieser war der Stadt Frankfurt durch die Firma W. überlassen und von der Stadt als "Stadtpolizist" bestellt worden. Die Tätigkeit übte der Zeuge in Uniform aus. Der Betroffene wandte sich erfolgreich gegen seine Verurteilung.

OLG erklärt Einsatz "privater Dienstleister" zur Verkehrs­über­wachung des ruhenden Verkehrs für gesetzeswidrig

Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main entschied, dass das Verfahren einzustellen sei, da die zugrun­de­lie­genden Beweise einem absoluten Beweisverwertungsverbot unterlägen. Der Einsatz "privater Dienstleister" zur Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs sei gesetzeswidrig. Das Recht, Ordnungs­wid­rig­keiten zu ahnden, sei ausschließlich dem Staat - hier konkret der Polizei - zugewiesen. Dieses im Rechts­s­taats­prinzip verwurzelte staatliche Gewaltmonopol beziehe sich auf die gesamte Verkehrs­über­wachung, d.h. sowohl den fließenden als auch den ruhenden Verkehr.

Ministerium verweist auf Einsatz von Leiha­r­beits­kräften eines privaten Dienstleisters zur Kontrolle des ruhenden Verkehrs

Das Oberlan­des­gericht hatte zunächst das Innen­mi­nis­terium gebeten, die Rechtsstruktur des Vorgehens der Stadt Frankfurt mitzuteilen. Nach Rücksprache mit der Stadt Frankfurt erklärte das Ministerium, dass die Stadt Frankfurt für die Kontrolle des ruhenden Verkehrs Leiha­r­beits­kräfte eines privaten Dienstleisters auf Basis einer Stunden­ver­gütung einsetze. Die von der privaten Firma überlassenen Leiha­r­beits­kräfte würden "unter dem Einsatz des Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­ge­setzes sowie einer physisch-räumlichen und organi­sa­to­rischen Integration in die Gemein­de­ver­waltung" durch "das Regie­rungs­prä­sidium Darmstadt gem. § 99 Abs. 3 Nr. 4e HSOG zu Hilfs­po­li­zei­beamtin und -beamten bestellt" (Stellungnahme der Stadt Frankfurt vom 20.05.2019). Gemäß § 99 Abs. 2 S.1 HSOG hätten Hilfs­po­li­zei­beamte im Rahmen ihrer Aufgaben die Befugnisse von Polizei­voll­zugs­beamten. Diese umfassenden Rechte seien einzel­ver­traglich wieder beschränkt. Das Innen­mi­nis­terium teilte zudem mit, dass neben der Stadt Frankfurt auch weitere Kommunen in Hessen Aufgaben bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs an Leiha­r­beits­kräfte übertragen hätten und diese jeweils zu Hilfs­po­li­zei­beamten bestellt worden seien. Diese Leiha­r­beits­kräfte trügen in einigen Kommunen Uniformen, aber nicht in allen.

Überwachung des ruhenden Verkehrs darf nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden

Dieses Vorgehen erklärte das Oberlan­des­gericht nun für gesetzeswidrig. Die der Stadt Frankfurt als Polizeibehörde gesetzlich zugewiesene Verpflichtungen, den ruhenden Verkehr zu überwachen und Verstöße zu ahnden, seien hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermäch­ti­gungs­grundlage dürften diese Aufgaben nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­gesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben sei unzulässig. Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfs­po­li­zei­beamten der Ortspo­li­zei­be­hörden sei gesetzeswidrig.

Aufgabe der Überwachung des ruhenden Verkehrs darf nicht auf Dritte übertragen werden

Es gebe keine vom Parlament erlassene Ermäch­ti­gungs­grundlage, die die Stadt Frankfurt berechtigte, die Aufgabe der Überwachung des ruhenden Verkehrs auf Dritte zu übertragen. Ein über die Arbeit­neh­mer­über­lassung entliehener Mitarbeiter werde nicht "Bediensteter" der Stadt Frankfurt und könne deshalb auch nicht durch einen hoheitlichen Bestellungsakt "Stadtpolizist" werden. Das Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­gesetz diene dazu, den Missbrauch von Arbeit­neh­mer­über­lassung im privat­wirt­schaft­lichen Bereich einzudämmen. Ein Wirtschafts­un­ter­nehmen (und nicht der Staat) dürfe kurzfristige auftretende Tätig­keitsspitze durch die kurzfristige Hinzuziehung fremder Arbeitskräfte ausgleichen, wobei entscheidend sei, dass der entliehene Arbeitnehmer im verleihenden Unternehmen verbleibe.

Kein Ermäch­ti­gungs­grundlage für Verkehrs­über­wachung durch "Stadtpolizisten"

Das Regie­rungs­prä­sidium Darmstadt habe für die vorliegend vorgenommene Bestellung einer Privatperson zu einem "Stadtpolizisten" auch keine Zuständigkeit. Sie ergebe sich insbesondere nicht aus § 99 Abs. 3 Nr. 4 HSOG. § 99 HSOG erfülle vielmehr nicht die Voraussetzungen für eine Ermäch­ti­gungsnorm und könne als Landes­po­li­zei­gesetz diese auch nicht erfüllen. § 99 HSOG regele lediglich die Frage einer möglichen landes­s­pe­zi­fischen Umsetzung bei der Durchführung ("Wie"), wenn dies in einer Ermäch­ti­gungs­grundlage vorgesehen wäre ("Ob"). Für die Verkehrs­über­wachung fehle jedoch diese Ermäch­ti­gungs­grundlage. Mit Hilfe des Polizeirechts der Länder könne eine verfas­sungs­rechtlich verankerte und in Bundesgesetzen geregelte Kompetenz-, Regelungs- und Sankti­o­nie­rungs­zu­weisung nicht umgangen oder außer Kraft gesetzt werden.

Behörde darf für (polizeiliche) Tätigkeiten eigene Bedienstete und Bedienstete nachgeordneter Behörden als "Hilfs­po­li­zei­beamte" bestellen

§ 99 Abs. 3 HSOG sei nach Sinn und Zweck der Vorschrift und gemäß der gesetz­ge­be­rischen Konstruktion vor dem Hintergrund seines eng auszulegenden Ausnah­me­cha­rakters zu Art. 33 Abs. 4 GG so aufgebaut, dass die jeweilige Behörde für die ihr übertragenen (polizeilichen) Tätigkeiten jeweils eigene Bedienstete und Bedienstete der jeweils nachgeordneten Behörden als "Hilfs­po­li­zei­beamte" bestellen könne. Die Stadt Frankfurt könne daher nach § 99 Abs. 3 HSOG für die eigene "Stadtpolizei" "eigene Bedienstete" bestellen. Das habe sie indes nicht getan.

Verkehrs­über­wachung wurde irreführend von privatem Dienstleister im strafbewehrten Gewand einer Polizeiuniform durchgeführt

Stattdessen habe sie die Verkehrs­über­wachung den privaten Dienstleister im strafbewehrten Gewand einer Polizeiuniform durchführen lassen. Es sei nach Außen der täuschende Schein der Recht­staat­lichkeit aufgebaut worden, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, so das Gericht. Tatsächlich seien diese aber durch einen "privaten Dienstleister" durchgeführt worden, der im Ergebnis durch Verwarngelder finanziert werde, deren zu Grunde liegende Verstöße er selbst erhebe.

Erläuterungen:

In Frankfurt wurden 2018 über 700.000 Parkverstöße geahndet mit einem Sanktionswert von über 10 Mio. Euro. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main ist laut der Beschluss­be­gründung das erste Oberlan­des­gericht, welches sich mit der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes "privater Dienstleister" im Bereich der Verkehrs­über­wachung des ruhenden Verkehrs befasst.

Den Einsatz sogenannter "privater Dienstleister" bei der Überwachung des fließenden Verkehrs hatte das Oberlan­des­gericht bereits grundsätzlich für gesetzeswidrig erklärt (Grund­sat­z­ent­schei­dungen vom 26.04.2017 - 2 Ss-Owi 295/17; Beschluss vom 06.11.2019 - 2 Ss-OWi 942/19; Beschluss vom 27.11.2019 - 2 Ss-OWi 1092/19).

Art. 33 Grundgesetz [Staats­bür­gerliche Rechte]

´

(1) [...]

(4) Die Ausübung hoheits­recht­licher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

§ 99 HSOG Hilfs­po­li­zei­be­am­tinnen und Hilfs­po­li­zei­beamte

(1) 1 Zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Gefahrenabwehr oder zur hilfsweisen Wahrnehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben können Hilfs­po­li­zei­be­am­tinnen und Hilfs­po­li­zei­beamte bestellt werden; in den Landkreisen und Gemeinden können sie die Bezeichnung Ordnungs­po­li­zei­beamtin oder Ordnungs­po­li­zei­beamter führen. 2 Die Bestellung ist widerruflich.

(2) [...]

(3) 1 Zu Hilfs­po­li­zei­be­am­tinnen und Hilfs­po­li­zei­beamten können bestellen

1. die kreisfreien Städte und Landkreise eigene Bedienstete,

2. die Polizeibehörden eigene Bedienstete,

3. die Landräte eigene Bedienstete und Bedienstete kreis­an­ge­höriger Gemeinden,

4. die Regie­rungs­prä­sidien

a) Bedienstete sonstiger Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts,

b) Privat­forst­be­dienstete, die als Forst­schutz­be­dienstete amtlich bestätigt worden sind, und, soweit in sonstigen Rechts­vor­schriften nichts anderes bestimmt ist, Bedienstete von Unternehmen, die dem öffentlichen Verkehr dienen,

c) amtlich verpflichtete Fische­rei­auf­se­he­rinnen und Fische­rei­aufseher,

d) sonstige Bedienstete des Landes,

e) andere Personen.

2 Bestellungen von Bediensteten kreis­an­ge­höriger Gemeinden sowie Bestellungen nach Satz 1 Nr. 4 Buchst. a bis c erfolgen auf Antrag.

(4) [...]

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online (pm/kg)

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