Dokument-Nr. 28321
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- Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil19.07.2018, 979 OWi
- Verkehrsüberwachung durch private Dienstleister unzulässigOberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss06.11.2019, 2 Ss-OWi 942/19
- Geschwindigkeitsmessung und Auswertung der Messdaten durch privaten Dienstleister ist unzulässigOberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss26.04.2017, 2 Ss-OWi 295/17
Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss03.01.2020
Überwachung des ruhenden Verkehrs durch "private Dienstleister" gesetzeswidrigErmittelte Beweise unterliegen absolutem Verwertungsverbot
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in einer Grundsatzentscheidung die Überwachung des ruhenden Verkehrs durch "private Dienstleister" für gesetzeswidrig erklärt. Die so ermittelten Beweise unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot.
Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main (Stadt Frankfurt) hatte als Ortspolizeibehörde wegen unerlaubten Parkens im eingeschränkten Halteverbot gegen den Betroffenen ein Verwarngeld von 15 Euro verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Frankfurt am Main das Verwarngeld durch Urteil vom 19. Juli 2018 bestätigt. Die Feststellungen zu dem Parkverstoß beruhen auf der Angabe des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen H.. Dieser war der Stadt Frankfurt durch die Firma W. überlassen und von der Stadt als "Stadtpolizist" bestellt worden. Die Tätigkeit übte der Zeuge in Uniform aus. Der Betroffene wandte sich erfolgreich gegen seine Verurteilung.
OLG erklärt Einsatz "privater Dienstleister" zur Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs für gesetzeswidrig
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschied, dass das Verfahren einzustellen sei, da die zugrundeliegenden Beweise einem absoluten Beweisverwertungsverbot unterlägen. Der Einsatz "privater Dienstleister" zur Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs sei gesetzeswidrig. Das Recht, Ordnungswidrigkeiten zu ahnden, sei ausschließlich dem Staat - hier konkret der Polizei - zugewiesen. Dieses im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte staatliche Gewaltmonopol beziehe sich auf die gesamte Verkehrsüberwachung, d.h. sowohl den fließenden als auch den ruhenden Verkehr.
Ministerium verweist auf Einsatz von Leiharbeitskräften eines privaten Dienstleisters zur Kontrolle des ruhenden Verkehrs
Das Oberlandesgericht hatte zunächst das Innenministerium gebeten, die Rechtsstruktur des Vorgehens der Stadt Frankfurt mitzuteilen. Nach Rücksprache mit der Stadt Frankfurt erklärte das Ministerium, dass die Stadt Frankfurt für die Kontrolle des ruhenden Verkehrs Leiharbeitskräfte eines privaten Dienstleisters auf Basis einer Stundenvergütung einsetze. Die von der privaten Firma überlassenen Leiharbeitskräfte würden "unter dem Einsatz des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sowie einer physisch-räumlichen und organisatorischen Integration in die Gemeindeverwaltung" durch "das Regierungspräsidium Darmstadt gem. § 99 Abs. 3 Nr. 4e HSOG zu Hilfspolizeibeamtin und -beamten bestellt" (Stellungnahme der Stadt Frankfurt vom 20.05.2019). Gemäß § 99 Abs. 2 S.1 HSOG hätten Hilfspolizeibeamte im Rahmen ihrer Aufgaben die Befugnisse von Polizeivollzugsbeamten. Diese umfassenden Rechte seien einzelvertraglich wieder beschränkt. Das Innenministerium teilte zudem mit, dass neben der Stadt Frankfurt auch weitere Kommunen in Hessen Aufgaben bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs an Leiharbeitskräfte übertragen hätten und diese jeweils zu Hilfspolizeibeamten bestellt worden seien. Diese Leiharbeitskräfte trügen in einigen Kommunen Uniformen, aber nicht in allen.
Überwachung des ruhenden Verkehrs darf nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden
Dieses Vorgehen erklärte das Oberlandesgericht nun für gesetzeswidrig. Die der Stadt Frankfurt als Polizeibehörde gesetzlich zugewiesene Verpflichtungen, den ruhenden Verkehr zu überwachen und Verstöße zu ahnden, seien hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürften diese Aufgaben nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben sei unzulässig. Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden sei gesetzeswidrig.
Aufgabe der Überwachung des ruhenden Verkehrs darf nicht auf Dritte übertragen werden
Es gebe keine vom Parlament erlassene Ermächtigungsgrundlage, die die Stadt Frankfurt berechtigte, die Aufgabe der Überwachung des ruhenden Verkehrs auf Dritte zu übertragen. Ein über die Arbeitnehmerüberlassung entliehener Mitarbeiter werde nicht "Bediensteter" der Stadt Frankfurt und könne deshalb auch nicht durch einen hoheitlichen Bestellungsakt "Stadtpolizist" werden. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz diene dazu, den Missbrauch von Arbeitnehmerüberlassung im privatwirtschaftlichen Bereich einzudämmen. Ein Wirtschaftsunternehmen (und nicht der Staat) dürfe kurzfristige auftretende Tätigkeitsspitze durch die kurzfristige Hinzuziehung fremder Arbeitskräfte ausgleichen, wobei entscheidend sei, dass der entliehene Arbeitnehmer im verleihenden Unternehmen verbleibe.
Kein Ermächtigungsgrundlage für Verkehrsüberwachung durch "Stadtpolizisten"
Das Regierungspräsidium Darmstadt habe für die vorliegend vorgenommene Bestellung einer Privatperson zu einem "Stadtpolizisten" auch keine Zuständigkeit. Sie ergebe sich insbesondere nicht aus § 99 Abs. 3 Nr. 4 HSOG. § 99 HSOG erfülle vielmehr nicht die Voraussetzungen für eine Ermächtigungsnorm und könne als Landespolizeigesetz diese auch nicht erfüllen. § 99 HSOG regele lediglich die Frage einer möglichen landesspezifischen Umsetzung bei der Durchführung ("Wie"), wenn dies in einer Ermächtigungsgrundlage vorgesehen wäre ("Ob"). Für die Verkehrsüberwachung fehle jedoch diese Ermächtigungsgrundlage. Mit Hilfe des Polizeirechts der Länder könne eine verfassungsrechtlich verankerte und in Bundesgesetzen geregelte Kompetenz-, Regelungs- und Sanktionierungszuweisung nicht umgangen oder außer Kraft gesetzt werden.
Behörde darf für (polizeiliche) Tätigkeiten eigene Bedienstete und Bedienstete nachgeordneter Behörden als "Hilfspolizeibeamte" bestellen
§ 99 Abs. 3 HSOG sei nach Sinn und Zweck der Vorschrift und gemäß der gesetzgeberischen Konstruktion vor dem Hintergrund seines eng auszulegenden Ausnahmecharakters zu Art. 33 Abs. 4 GG so aufgebaut, dass die jeweilige Behörde für die ihr übertragenen (polizeilichen) Tätigkeiten jeweils eigene Bedienstete und Bedienstete der jeweils nachgeordneten Behörden als "Hilfspolizeibeamte" bestellen könne. Die Stadt Frankfurt könne daher nach § 99 Abs. 3 HSOG für die eigene "Stadtpolizei" "eigene Bedienstete" bestellen. Das habe sie indes nicht getan.
Verkehrsüberwachung wurde irreführend von privatem Dienstleister im strafbewehrten Gewand einer Polizeiuniform durchgeführt
Stattdessen habe sie die Verkehrsüberwachung den privaten Dienstleister im strafbewehrten Gewand einer Polizeiuniform durchführen lassen. Es sei nach Außen der täuschende Schein der Rechtstaatlichkeit aufgebaut worden, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, so das Gericht. Tatsächlich seien diese aber durch einen "privaten Dienstleister" durchgeführt worden, der im Ergebnis durch Verwarngelder finanziert werde, deren zu Grunde liegende Verstöße er selbst erhebe.
Erläuterungen:
In Frankfurt wurden 2018 über 700.000 Parkverstöße geahndet mit einem Sanktionswert von über 10 Mio. Euro. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist laut der Beschlussbegründung das erste Oberlandesgericht, welches sich mit der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes "privater Dienstleister" im Bereich der Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs befasst.
Den Einsatz sogenannter "privater Dienstleister" bei der Überwachung des fließenden Verkehrs hatte das Oberlandesgericht bereits grundsätzlich für gesetzeswidrig erklärt (Grundsatzentscheidungen vom 26.04.2017 - 2 Ss-Owi 295/17; Beschluss vom 06.11.2019 - 2 Ss-OWi 942/19; Beschluss vom 27.11.2019 - 2 Ss-OWi 1092/19).
Art. 33 Grundgesetz [Staatsbürgerliche Rechte]
´
(1) [...]
(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
§ 99 HSOG Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte
(1) 1 Zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Gefahrenabwehr oder zur hilfsweisen Wahrnehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben können Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte bestellt werden; in den Landkreisen und Gemeinden können sie die Bezeichnung Ordnungspolizeibeamtin oder Ordnungspolizeibeamter führen. 2 Die Bestellung ist widerruflich.
(2) [...]
(3) 1 Zu Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamten können bestellen
1. die kreisfreien Städte und Landkreise eigene Bedienstete,
2. die Polizeibehörden eigene Bedienstete,
3. die Landräte eigene Bedienstete und Bedienstete kreisangehöriger Gemeinden,
4. die Regierungspräsidien
a) Bedienstete sonstiger Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts,
b) Privatforstbedienstete, die als Forstschutzbedienstete amtlich bestätigt worden sind, und, soweit in sonstigen Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, Bedienstete von Unternehmen, die dem öffentlichen Verkehr dienen,
c) amtlich verpflichtete Fischereiaufseherinnen und Fischereiaufseher,
d) sonstige Bedienstete des Landes,
e) andere Personen.
2 Bestellungen von Bediensteten kreisangehöriger Gemeinden sowie Bestellungen nach Satz 1 Nr. 4 Buchst. a bis c erfolgen auf Antrag.
(4) [...]
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.01.2020
Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online (pm/kg)
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