15.11.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil28.09.2016

Wettermoderator Kachelmann hat Anspruch auf Schadenersatz wegen falschen Verge­wal­ti­gungs­vorwurfsEx-Geliebte muss bei Unter­su­chungshaft entstandene Kosten erstatten

Die beklagte Ex-Geliebte des bekannten Wetter­mo­de­rators Kachelmann wurde verurteilt Schadenersatz für Kosten, die dadurch entstanden sind, dass er aufgrund eines von ihr erhobenen Verge­wal­ti­gungs­vorwurfs in Unter­su­chungshaft genommen wurde, zu leisten. Dies hat das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main mitgeteilt.

Im hier vorliegenden Fall hatte die Beklagte den Kläger am 9.2.2010 mit der Behauptung angezeigt, sie am Tag zuvor in ihrer Wohnung vergewaltigt zu haben, indem er ihr ein Küchenmesser an den Hals gedrückt und unter Todesdrohungen zum Geschlechts­verkehr gezwungen habe. Infolgedessen erließ das Amtsgericht Mannheim Haftbefehl wegen Fluchtgefahr gegen den Kläger, der hierauf am 20.3.2010 auf der Rückreise aus Kanada am Frankfurter Flughafen festgenommen wurde. Auf die Haftbeschwerde K.s hob das OLG Karlsruhe den Haftbefehl am 29.7.2010 auf. Bis dahin hatte sich Kachelmann knapp vier Monate in Untersuchungshaft befunden. In dem anschließenden Strafverfahren vor dem Landgericht Mannheim wurde K. im Mai 2011 freigesprochen, weil die von der Beklagten behauptete Vergewaltigung nicht bewiesen werden konnte.

Kachelmann begehrt u.a. Koste­n­er­stattung für Sachverständige

Mit der vorliegenden Klage fordert Kachelmann von der Beklagten Ausgleich eines Teils des Schadens, der ihm durch die Unter­su­chungshaft entstanden ist. K. macht geltend, dass er zur Verteidigung im Haftbe­schwer­de­ver­fahren mehrere Sachverständige habe beauftragen müssen, um die Glaubwürdigkeit der Beklagten sowie die von ihr vorgezeigten Verletzungen zu entkräften. Insoweit hat der Kläger mit der Klage zunächst Kostenerstattung in Höhe von rund 13.400 € verlangt. In der Berufung hat er die Klage bis auf rund 7.100 € zurückgenommen.

LG: Kein Anspruch auf Koste­n­er­stattung wegen fehlender Voraussetzung für Schaden­er­satz­an­spruch wegen Freiheits­be­raubung

Das Landgericht Frankfurt am Main wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, zwar sei Kachelmann durch die Anzeigen der Beklagten in Unter­su­chungshaft genommen worden - die Beklagte habe ihn also der Freiheit beraubt, indem sie staatliche Organe zum amtlichen Eingreifen veranlasst habe. Voraussetzung für einen Schaden­er­satz­an­spruch wegen Freiheits­be­raubung in mittelbarer Täterschaft sei jedoch, dass es sich um eine wahrheits­widrige Anzeige gehandelt habe. Der Beklagten könnte aber nicht vorgeworfen werden, dass sie Kachelmann vorsätzlich wahrheitswidrig einer Vergewaltigung bezichtigt habe mit dem Ziel, diesen seiner Freiheit zu berauben. Es sei möglich, dass die Beklagte durch "nicht intentionale Verfälschungs- und Verzer­rungs­effekte" subjektiv der festen Überzeugung gewesen sei, Opfer einer Vergewaltigung gewesen zu sein, obwohl dies objektiv nicht der Fall war.

OLG: Schaden­er­satz­pflicht wegen wissentlich unwahrer Strafanzeige

Gegen die Klageabweisung hat K. Berufung eingelegt. Das OLG hat eine Beweisaufnahme durch Einholung eines rechts­me­di­zi­nischen Sachver­stän­di­gen­gut­achtens angeordnet, insbesondere zu der Frage, ob sich die Beklagte die im Zuge der Strafanzeige festgestellten Verletzungen selbst zugefügt haben kann.

Mit dem heutigen Urteil hat das OLG die Entscheidung des Landgerichts abgeändert und Kachelmann den begehrten Schadenersatz zugesprochen, soweit er die Klage nicht zurückgenommen hat. Die Beklagte habe sich gegenüber dem Kläger schaden­er­satz­pflichtig gemacht, weil sie wissentlich eine unwahre Strafanzeige erstattet und so - wie von ihr beabsichtigt - die Anordnung der Unter­su­chungshaft gegen Kachelmann herbeigeführt habe. Hierdurch habe sich die Beklagte der Freiheits­be­raubung schuldig gemacht. Die erlittene Freiheits­ent­ziehung beruhe zwar unmittelbar auf dem Haftbefehl; die Beklagte müsse sich jedoch das staatliche Handeln im Wege der mittelbaren Täterschaft zurechnen lassen, da sie die Ermitt­lungs­be­hörden durch die wahrheits­widrige Anzeige und falsche Aussagen vorsätzlich getäuscht habe. Die Überzeugung, dass die Beklagte Kachelmann vorsätzlich der Wahrheit zuwider der Vergewaltigung bezichtigt habe, gründe sich auf das Ergebnis der in der Berufung durchgeführten Beweisaufnahme. Hiernach habe sich die Behauptung des Klägers bestätigt, die Beklagte habe sich die festgestellten Verletzungen selbst zugefügt.

Keine Übereinstimmung der Verletzungen mit geschildertem Verge­wal­ti­gungs­ge­schehen

So spreche das Verletzungsbild in der Gesamtschau und unter Berück­sich­tigung der Schilderungen der Beklagten nach den Feststellungen des Instituts für Rechtsmedizin des Univer­si­täts­kli­nikums Frankfurt am Main für eine Selbst­bei­bringung. Bedeutsam sei ferner, dass die Schilderungen der Beklagten zum angeblichen Verge­wal­ti­gungs­ge­schehen nicht mit den Verletzungen in Übereinstimmung zu bringen seien und ihre Aussagen für sich genommen erhebliche Plausi­bi­li­täts­de­fizite aufwiesen. Zudem habe die Beklagte im Ermitt­lungs­ver­fahren unstreitig teilweise falsch ausgesagt.

OLG schließt "Autosuggestion" der Beklagten aus

Die Beklagte habe auch mit direktem Vorsatz gehandelt. Aus den Gesamtumständen ergebe sich, dass es ihr gerade darauf angekommen sie, die Verhaftung des Klägers herbeizuführen. Für ausgeschlossen hielt das OLG, dass bei der Beklagten eine "Autosuggestion" vorlag, die dazu geführt habe, dass sie nur glaubte, vergewaltigt worden zu sein. Die entsprechende Annahme des Landgerichts sei nicht nur spekulativ, sondern nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, wonach sich die Beklagte die Verletzungen selbst zufügte, auch widerlegt.

Erläuterungen
Hintergrundinformation

Das Zivilgericht ist grundsätzlich nicht an Feststellungen aus rechtkräftigen Strafurteilen gebunden. Die im Strafprozess getroffenen Feststellungen können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung und Überzeu­gungs­bildung des Zivilgerichts berücksichtigt werden, sofern sich eine Partei auf das Strafurteil beruft. Das Zivilgericht darf die Feststellungen jedoch nicht ungeprüft übernehmen, sondern muss sie einer eigenen kritischen Prüfung innerhalb der Beweiswürdigung unterziehen.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ ra-online

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