18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 32911

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Urteil26.04.2023Oberlandesgericht Frankfurt am Main13 U 69/22
Vorinstanz:
  • Landgericht Darmstadt, Urteil03.02.2022, 27 O 119/21
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil26.04.2023

Kein Schmerzensgeld wegen überzogener Angst vor Krebs wegen verunreinigten MedikamentNur minimal höheres Krebsrisiko ist nicht per se als Schaden zu werten

Erhöht die Einnahme eines verunreinigten Arzneimittels das Risiko, an Krebs zu erkranken, um ,02 %, ist es nicht generell geeignet, psychische Belastungen in Form von Ängsten und Albträumen zu verursachen. Das allgemeine Lebensrisiko einer Krebserkrankung liegt für Frauen in Deutschland bei 43,5 %. Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigte mit veröf­fent­lichter Entscheidung, dass die Klägerin von der Arznei­mittel­herstellerin kein Schmerzensgeld verlangen kann, soweit sie seit Kenntnis der Verunreinigung an der Angst leide, an Krebs zu erkranken.

Die Klägerin erhielt seit vielen Jahren blutdruck­senkende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan. Die Beklagte stellt Medikamente mit diesem Wirkstoff her. 2018 rief die Beklagte alle Chargen mit diesem Wirkstoff zurück, da es beim Wirkstoff-Hersteller produk­ti­o­ns­bedingt zu Verun­rei­ni­gungen mit N-Nitros­odi­me­thylamin (NDMA) gekommen war. NDMA ist von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU als „wahrscheinlich krebserregend“ bei Menschen eingestuft worden. Nach dem Beurtei­lungs­bericht der Europäischen Arznei­mit­te­l­agentur ist das theoretisch erhöhte Lebenszeit-Krebsrisiko aufgrund möglicher Verun­rei­ni­gungen mit NDMA bei täglicher Einnahme der Höchstdosis über ein Zeitraum von 6 Jahren um ,02 % erhöht. Das allgemeine Lebens­zei­trisiko für Frauen, an Krebs zu erkranken, wird für Deutschland mit 43,5 % angegeben. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld von mindestens 21.500 € in Anspruch. Sie behauptet, seit Kenntnis des Rückrufs unter der psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken, zu leiden.

OLG: Krankheitswert unterhalb der Erheb­lich­keits­schwelle

Das Landgericht Darmstadt hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Klägerin habe bereits keine „erhebliche“ Verletzung ihrer Gesundheit nachgewiesen, bestätigte das OLG die Entscheidung des LG. Der sich aus den Angaben der Klägerin ergebende Krankheitswert liege unterhalb der Erheb­lich­keits­schwelle. Die Klägerin berufe sich darauf, dass sie bereits das Wort “krebserregend“ beunruhige. Tagsüber denke sie oft an die ungewisse gesundheitliche Zukunft; nachts plagten sie Albträume. Diese Schilderungen seien ungenau, pauschal und belegten keine behand­lungs­be­dürftige Gesund­heits­ver­letzung.

Gesund­heits­be­ein­träch­tigung nicht infolge der Arznei­mit­te­leinnahme

Die Haftung der Beklagten scheide auch aus, da die Gesund­heits­be­ein­träch­tigung nicht „infolge“ der Arznei­mit­te­leinnahme aufgetreten sei. Das Arzneimittel selbst sei - auch nach dem Vortrag der Klägerin - nicht geeignet, die hier beklagten Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gungen in Form der Ängste und Albträume zu verursachen. Auslöser der psychischen Folgen sei vielmehr die Kenntnis von der Verunreinigung gewesen, wonach die Klägerin mit einem geringfügig erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Krebserkrankung rechnen müsse. Diese anzunehmende Risikoerhöhung verbleibe aber in einem Rahmen, „der nicht in relevanter Weise über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt und damit generell bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, die behaupteten psychischen und physischen Folgen auszulösen“, begründet das OLG weiter, „die nur ganz geringfügige Erhöhung des Krebsrisikos durch die Verunreinigung des Arzneimittels gegenüber dem allgemeinen Risiko, an Krebs zu erkranken, ist nicht per se als Schaden zu werden, ebenso wie eine Verunreinigung des Arzneimittels an sich, die auch folgenlos bleiben kann“. Die individuelle Risikoein­schätzung der Klägerin sei hier nicht objektiv nachvollziehbar.

Krebsfälle in Familie können der Beklagten nicht zugerechnet werden

Darüber hinaus lägen auch andere schadens­ver­ur­sa­chende Umstände vor. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, dass ihre Ängste, an Krebs zu erkranken, dadurch verursacht würden, dass ihre Mutter, ihr Bruder und die Cousine an Krebs verstorben seien. „Überzogene Reaktionen auf die Nachricht, dass ein eingenommenes Medikament möglicherweise Verun­rei­ni­gungen enthält, die möglicherweise krebserregend sind, können der Beklagten nicht zugerechnet werden“, schloss das OLG.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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