21.11.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 33197

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Urteil27.07.2023Oberlandesgericht Frankfurt am Main1 U 6/21
Vorinstanz:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil25.11.2020, 2-04 O 448/19
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil27.07.2023

Unterbringung eines Kindes in Kinderheim wegen eines Sorge­rechtss­treits der getrennt­le­benden Eltern nur bei Gefährdung des Kindeswohls in hohem MaßePflichtwidrig andauernde Fremd­un­ter­bringung eines Kindes stellt einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeits­recht dar

Die Fremd­un­ter­bringung eines Kindes wegen seiner Belastung durch den zwischen seinen getrennt­le­benden Eltern schwelenden Sorge­rechtss­treits ist regelmäßig unver­hält­nismäßig. Wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits­rechts sprach das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.000 € zu.

Der Kläger nimmt die beklagte Stadt Frankfurt am Main auf Schadensersatz wegen seiner Unterbringung in einem Kinderheim in Anspruch. Die getrennt­le­benden Eltern des Klägers stritten über das Sorgerecht. Der damals sechsjährige Kläger lebte bei seiner Mutter und hatte regelmäßig Umgang mit seinem Vater. Der Vater informierte das Jugendamt, dass der Kläger ihm mitgeteilt habe, von der Mutter geschlagen worden zu sein; das Jugendamt erhielt auch ein entsprechendes ärztliches Attest. Daraufhin nahm das Jugendamt den Kläger in Obhut und brachte den Kläger in einem Kinderheim unter. Das Familiengericht übertrug dem Jugendamt das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht. Die Eltern widerriefen knapp drei Wochen nach der Unterbringung ihre zunächst erteilte Zustimmung. Knapp vier Monate später wurde der famili­en­ge­richtliche Beschluss vorläufig ausgesetzt und der Kläger kehrte zu seiner Mutter zurück. Nachfolgend hob das OLG im Sorge­rechts­ver­fahren den Beschluss auf und übertrug das Sorgerecht auf den Vater. Dort lebt der Kläger seitdem. Der Kläger begehrt Entschädigung wegen der erlittenen Trennung von seinen Eltern. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Andauernde Fremd­un­ter­bringung des Kindes war pflichtwidrig

Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG teilweise Erfolg. Die Stadt als Trägerin des Jugendamtes wurde verurteilt, wegen Verletzung seines allgemeinen Persön­lich­keits­rechts an den Kläger 3.000 € zu zahlen und für künftige Schäden einzustehen. Zwar stelle die Inobhutnahme keine schuldhafte Amtspflicht­ver­letzung dar. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass das Jugendamt den Sachverhalt unzureichend ermittelt oder durch eine fehlerhafte Antragsstellung die gerichtliche Entscheidung maßgeblich beeinflusst habe. Darüber hinaus liege die Verantwortung für die Entscheidung über das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht allein beim Familiengericht. Zum Zeitpunkt der Übertragung des Aufent­halts­be­stim­mungs­rechts auf das Jugendamt hätten die Eltern der Übertragung auch zugestimmt. Pflichtwidrig habe aber die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht auch nach Ablauf einer kurzen Zeitspanne weiterhin zugunsten einer Fremdunterbringung ausgeübt.

Unterbringung beim Vater statt im Heim

Die Fremd­un­ter­bringung eines Kindes aus Anlass eines tiefgreifenden Eltern­kon­fliktes sei nur dann gerechtfertigt, „wenn der permanente Elternkonflikt das Kindeswohl in hohem Maße und mit hoher Wahrschein­lichkeit gefährdet“. Zu berücksichtigen sei dabei stets der Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz. „Die Folgen der Fremd­un­ter­bringung dürften für das Kind nicht gravierender sein als die Folgen eines Verbleibs in der Herkunfts­familie“, stellte das OLG klar. Hier könne die Inobhutnahme und Unterbringung in einem Kinderheim abgesehen von einer kurzen Übergangszeit nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Kläger von seiner Mutter geschlagen wurde. Der Gefahr erneuter Misshandlungen habe vielmehr dadurch begegnet werden können, dass der Kläger bis zur endgültigen Entscheidung über das Sorgerecht bei seinem Vater untergebracht wurde. Ein solcher sofortiger Ortswechsel habe mit entsprechenden Unter­stüt­zungs­leis­tungen auch begleitet werden können.

Sorge­rechtsstreit rechtfertigt regelmäßig keine andauernde Fremd­un­ter­bringung

Der heftige und langwierige Streit der Eltern über das Sorge- und Umgangsrecht rechtfertige dagegen angesichts der mit der Fremd­un­ter­bringung einhergehenden Belastungen nicht deren Fortdauer. „Kindern, die in einem hochkon­flikt­haften Streit zwischen den Elternteilen, die sie beide lieben, hineingezogen werden, sei nicht damit gedient, dass sie mit der Folge einer nachhaltigen Beein­träch­tigung ihre Beziehung zu beiden Elternteilen außerhalb der Familie untergebracht würden“, untermauerte das OLG dies unter Verweis auf famili­en­ge­richtliche Rechtsprechung. Die ursprüngliche Herausnahme aus der Familie sei lediglich als kurzfristige Maßnahme veranlasst gewesen, in deren Verlauf eine Beruhigung eintreten sollte. Eine längere, monatelange Trennung von den Eltern habe der Kläger dagegen nicht als Entlastung von dem elterlichen Konflikt erleben können, sondern als ungerecht­fertigte Folge dessen, dass er sich über die Misshandlungen durch seine Mutter beschwert habe.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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