18.10.2024
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Oberlandesgericht Celle Beschluss25.05.2010

Aufrecht­er­haltung einer Siche­rungs­ver­wahrung auch nach Ablauf der 10-Jahresfrist zulässigEntscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwingt nicht zur Entlassung von Siche­rungs­ver­wahrten

Eine Siche­rungs­ver­wahrung darf auch in so genannten Altfällen nach Ablauf der 10-Jahresfrist fortbestehen bleiben. Das entschied das Oberlan­des­gericht Celle und ist damit das erste Obergericht, das die Auffassung vertritt, das am 10. Mai 2010 rechtskräftig gewordene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 verpflichte nicht zu einer automatischen Freilassung von Siche­rungs­ver­wahrten nach Fristablauf.

Im konkreten Fall war der 59jährige Untergebrachte im Jahre 1987 wegen schweren Raubes und wegen versuchten schweren Raubes zu einer 15jährigen Gesamt­frei­heits­strafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Die Straf­voll­stre­ckungs­kammer hatte im März 2010 angeordnet, dass die Vollstreckung der Siche­rungs­ver­wahrung auch nach 10jährigem Siche­rungs­ver­wah­rungs­vollzug fortzusetzen sei, da von dem Untergebrachten nach wie vor die Gefahr ausgehe, Straftaten zu begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Diese Entscheidung ist vom Gericht bestätigt worden.

Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass die 1998 getroffene Neuregelung im deutschen Strafrecht, wonach die Siche­rungs­ver­wahrung auch nach Ablauf von 10 Jahren noch vollstreckt werden kann, wenn von dem Untergebrachten weiterhin erhebliche Gefahren ausgehen, in so genannten Altfällen gegen das in der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention geregelte Rückwir­kungs­verbot (Art. 7) sowie das Recht auf Freiheit (Art. 5) verstößt (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil v. 17.12.2009 - 19359/04 -). Für die Gerichte stellt sich jetzt die Frage, welche Konsequenzen diese Entscheidung für zahlreiche Parallelfälle hat, in denen die Siche­rungs­ver­wahrung vor 1998 angeordnet worden ist, als noch eine Höchstgrenze von 10 Jahren galt, bei denen aber nach neuem Recht die Fortdauer der Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet wurde, weil von den Tätern nach wie vor eine erhebliche Gefährlichkeit ausgeht. Nach Presse­be­rich­t­er­stat­tungen haben andere Gerichte aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bereits erste Freilassungen von Siche­rungs­ver­wahrten verfügt.

Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte widerspricht eindeutigem Willen des deutschen Gesetzgebers und zwingt nicht zur Entlassung der Untergebrachten

Nach Ansicht des Oberlan­des­ge­richts Celle muss die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretene Rechts­auf­fassung keinesfalls zur schematischen Entlassung der Untergebrachten führen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Bindungswirkung von Urteilen des Eurpäischen Gerichtshofs für Menschenrechte führt das Gericht aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretene Auslegung dem eindeutigen Willen des deutschen Gesetzgebers und dem Wortlaut der deutschen Vorschriften widerspricht und daher nicht zur Entlassung der Untergebrachten zwingt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte im Jahr 2004 die Vereinbarkeit der streitigen Regelung mit dem auch im Grundgesetz verankerten Rückwir­kungs­verbot und dem Freiheits­grundrecht des Untergebrachten erklärt.

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Der Betroffene kann hiergegen lediglich Verfas­sungs­be­schwerde einlegen.

Hinweis:

§ 67 d Abs. 3 des Straf­ge­setz­buches (StGB) lautet:

Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungs­aufsicht ein.

Quelle: ra-online, Oberlandesgericht Celle

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