18.10.2024
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Oberlandesgericht Celle Urteil20.05.2008

Kein Verstoß gegen Obhutspflicht, wenn Kind ohne Helm auf Fahrrad transportiert wirdMutter haftet nicht für Behand­lungs­kosten nach Unfall

Eine Mutter trifft keine Mitschuld an einem Unfall, wenn sie es zugelassen hat, dass ihr bei dem Umfall verletzte 5-jähriger Sohn ohne Fahrradhelm in einem Kindersitz transportiert wurde. Dies haben das Landgericht Hannover und das Oberlan­des­gericht Celle entschieden. Der Mutter kann nicht der Vorwurf gemacht werden, grob fahrlässig gehandelt zu haben. Zwar sei das Bewusstsein um die Gefährlichkeit von Fahrradfahrten ohne Schutzhelm gestiegen, meinten die Richter, trotzdem könne aus dem Nichttragen eines Helms kein Vorwurf gemacht werden, weil es keine gesetzliche Helmpflicht gebe.

Die Klägerin machte Schadensersatz gegen einen Fahrradfahrer aus Hannover, der am 27.03.2003 auf dem Überweg über die Gleise der von der Klägerin betriebenen Stadtbahn stürzte und dabei ein Kind verletzte. Der damals 17-jährige Fahrradfahrer fuhr mit seinem Mountainbike zunächst auf dem Radweg der Stöckener Straße parallel zum Gleisbett. Auf dem an seinem Lenker befestigten Fahrradsitz hatte er einen 5-jährigen Jungen bei sich. An dem Fußgän­ge­r­überweg 250 Meter südlich der Hogrefestraße wollte der Fahrradfahrer die Gleise überqueren. Er übersah die sich dem Überweg nähernde Stadtbahn der Linie 5, obwohl an dem Überweg entsprechende Hinweisschilder aufgestellt waren. Ob es zu einer Berührung zwischen dem Fahrrad und der Stadtbahn kam, ließ sich nicht mehr klären. Jedenfalls fiel das Fahrrad um, und das im Körbchen sitzende Kind mit dem Kopf auf den Asphaltboden. Das Kind leidet noch heute an den Folgen eines Schädelbruchs.

Versicherung machte der Mutter einen Mitver­schul­dens­vorwurf und zahlte nur 2/3 der Kosten

Die Stadt­bahn­be­treiberin zahlte seit dem Unfall umfangreiche Behand­lungs­kosten an die Kranken­ver­si­cherung des Kindes. Diese von ihr verauslagten Kosten machte die Stadtbahn wiederum gegenüber der Haftpflichtversicherung des Fahrradfahrers geltend. Die Haftpflicht­ver­si­cherung übernahm jedoch lediglich 2/3 der Kosten, weil sie der Auffassung war, die Mutter des verletzten Kindes hätte ihrem Jungen einen Helm aufsetzen müssen und sei deswegen auch für den Schaden verantwortlich. Diesen bislang nicht ersetzten Schaden in Höhe von 23.722,27 € hat die Klägerin nunmehr von dem Fahrradfahrer verlangt, weiterhin die Schäden, für die sie aufgrund des Unfalls künftig noch in Anspruch genommen wird.

Richter: Nichtragen eines Helms kann der Mutter nicht vorgeworfen werden - keine gesetzliche Helmpflicht

Das Landgericht Hannover hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Der Radfahrer habe alle in Betracht kommenden Verkehrsregeln außer Acht gelassen und insbesondere das Vorfahrtsrecht der Stadtbahn missachtet. Dadurch sei es zu den Verletzungen des Kindes gekommen. Die Mutter des Kindes treffe dagegen kein Verschulden an dem Unfall. Weder im Jahre 2003 noch heute habe keine Helmpflicht bestanden. Obwohl seitdem das Bewusstsein um die Gefährlichkeit von Fahrradfahrten ohne Schutzhelm gestiegen sei, könne aus dem Nichttragen eines Helms kein Vorwurf gemacht werden, weil es keine gesetzliche Pflicht gebe. Da den Fahrradfahrer deswegen das Allein­ver­schulden an dem Unfall treffe, habe er die geltend gemachten Schäden zu ersetzen.

Richter: Keine grobe Fahrlässigkeit

Das Oberlan­des­gericht Celle hat dieses Urteil bestätigt. Es sei nicht grob fahrlässig, ein Kind in einem Fahrradsitz ohne Fahrradhelm zu transportieren oder von Dritten mitnehmen zu lassen. Allerdings müssten Eltern im Rahmen der ihnen obliegenden Obhutspflicht auch die Gesundheit des Kindes schützen. Auch Verbände wie die Deutsche Verkehrswacht und der ADAC empföhlen Radfahrern, stets mit Helm zu fahren. Darüber hinaus sei wissen­schaftlich belegt, dass Schutzhelme bestimmte Kopfver­let­zungen verhindern können. Dennoch könne der Mutter des Jungen kein Mitverschulden angelastet werden, da vorliegend auf die bislang nicht bestehende gesetzliche Helmpflicht abzustellen sei. Bislang habe sich trotz der vorgenannten Empfehlungen und Studien keine allgemeine Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Eigenschutzes zur Vermeidung von Verletzungen herausgebildet. Die Schaffung einer gesetzlichen Helmpflicht werde auch nicht ernsthaft diskutiert. In der Rechtsprechung würde deswegen bislang Fahrradfahren ohne Helm nur in seltenen Ausnahmefällen zum Anlass genommen, einem Geschädigten ein Mitverschulden anzulasten, beispielsweise bei Rennfahrern. Diese wenigen Fälle hätten darüber hinaus immer den Fahrradfahrer selbst, nicht jedoch ein mittrans­por­tiertes Kind betroffen. Angesichts dieser Umstände könne einem Elternteil kein Vorwurf groben Verschuldens gemacht werden, wenn der Transport eines Kindes in einem Fahrradsitz ohne Helm gestattet werde.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des LG Hannover vom 04.09.2008

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