18.10.2024
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Dokument-Nr. 13311

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Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht Beschluss04.04.2012

Lotsenbericht: Pflicht eines Seelotsen zum Bericht über einen Schiffsunfall trotz Gefahr der straf­recht­lichen SelbstbelastungLotsenbericht nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Seelotsgesetz kann nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Selbst­be­las­tungs­freiheit verweigert werden

Ein Seelotse hat die gesetzliche Berichts- und Auskunfts­pflicht nach einem Schiffsunfall auch dann zu erfüllen, wenn er Informationen preisgeben muss, die Anhaltspunkte für von ihm begangene Straftaten bieten. Dies hat das Nieder­säch­sische Oberver­wal­tungs­gericht entschieden.

Im April 2011 ereignete sich auf der Weser im Bereich der Vegesacker Kurve ein Schiffsunfall. In Folge eines Überholvorgangs kollidierte ein Schiff mit einem Schwimmdock. Das Dock wurde von seinem Liegeplatz gerissen und trieb zeitweise auf der Weser. Das Fahrwasser war bis zur Bergung gesperrt. Am Dock und an dem kollidierenden Schiff entstanden erhebliche Sachschäden. Gegen die Kapitäne und die Seelotsen der beteiligten Schiffe wird wegen des Verdachts der Gefährdung des Schiffsverkehrs strafrechtlich ermittelt. Die Wasser- und Schiff­fahrts­di­rektion Nordwest als Aufsichts­behörde für das Seelotswesen im Lotsrevier Weser I forderte die beteiligten Seelotsen auf, einen Lotsenbericht nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Seelotsgesetz vorzulegen.

Seelotse verweigert Bericht über Schiffsunfall

Der Seelotse eines der beteiligten Schiffe, der Antragsteller in dem entschiedenen Verfahren ist, hat diesen Bericht verweigert. Es bestehe die Gefahr, dass er sich selbst belaste und der Bericht von den Straf­ver­fol­gungs­organen beschlagnahmt und in dem gegen ihn geführten Strafverfahren verwertet werde. Seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die gesetzliche Berichts- und Auskunfts­pflicht hat das Verwal­tungs­gericht Oldenburg mit Beschluss vom 1. März 2012 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat der 8. Senat mit dem genannten Beschluss zurückgewiesen.

Seelotse muss Lotsenbericht anfertigen und kann sich nicht auf den Grundsatz der Selbst­be­las­tungs­freiheit berufen

Nach Auffassung des Senats stellt die mit der gesetzlichen Berichts- und Auskunfts­pflicht des Seelotsen verbundene Einschränkung des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit ("nemo tenetur se ipsum accusare") zwar einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte allgemeine Persön­lich­keitsrecht des Seelotsen dar. Dieser Eingriff ist aber verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt. Die straf­ver­fah­rens­rechtliche Selbst­be­las­tungs­freiheit und die sich aus dem Seelotsgesetz ergebenden Berichts- und Auskunfts­pflichten können dort, wo der Seelotse bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Berichts- und Auskunfts­pflichten Informationen preisgeben muss, die Anhaltspunkte für von ihm begangene Straftaten bieten, kollidieren. Der Seelotse gerät in eine Zwangslage, entweder seine Berichts- und Auskunfts­pflichten zu verletzen oder sich einer Straftat bezichtigen zu müssen. Wegen dieser Folge greift die durch den Erlass einer vollziehbaren Ordnungs­ver­fügung erzwingbare Berichts- und Auskunfts­pflicht in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht des Berichts- und Auskunfts­pflichtigen ein. Das Grundgesetz gebietet aber keinen lückenlosen Schutz gegen Selbst­be­zich­ti­gungen. Der Grund­recht­s­eingriff kann vielmehr verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt sein. Eine solche Rechtfertigung hat der Senat hier bejaht.

Bericht zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Seeschiff­fahrt­verkehrs notwendig

Die Behörden der Wasser- und Schiff­fahrts­ver­waltung des Bundes sind zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie zur Verhütung der von der Seeschifffahrt ausgehenden Gefahren und schädlicher Umwelt-einwirkungen auf die vom Seelotsen gewonnenen Erkenntnisse angewiesen. Wäre dieser berechtigt, die Erfüllung der Berichts- und Auskunfts­pflicht für die Dauer eines gegen ihn laufenden Straf-verfahrens zu verweigern, könnte die Aufgabe der Gefahrenabwehr nicht mehr effektiv erfüllt wer-den. Im Übrigen ist der Seelotse vor einer Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse im Straf- und Ordnungs­wid­rig­kei­ten­ver­fahren geschützt.

Sperrerklärung und Verwer­tungs­verbot

Die Wasser- und Schiff­fahrts­di­rektion ist nicht berechtigt, die Erkenntnisse in solchen Verfahren zu verwenden oder an die Straf­ver­fol­gungs­organe weiterzuleiten. Einer etwaigen Beschlagnahme des Berichts durch die Straf­ver­fol­gungs­organe wird durch eine straf­pro­zessuale Sperrerklärung begegnet. Gelangen gleichwohl derartige Erkenntnisse an die Straf­ver­fol­gungs­organe, besteht ein verfas­sungs­recht­liches Verwer­tungs­verbot.

Der Beschluss des Senats im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ist unanfechtbar.

Quelle: ra-online, Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (pm/pt)

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