18.10.2024
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Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil27.10.2016

Agentur für Arbeit muss Schwer­be­hin­dertem Ausbildung zum Webdesigner finanzierenZukünftige potentielle Leistungs­fä­higkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch Sachver­ständigen­gutachten belegt

Das Landes­so­zi­al­gericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass Die beklagte Bundesagentur für Arbeit muss einem schwer­be­hin­derten Menschen, der wegen seiner Erkrankung seinen Computer nur noch mit den Augen steuern kann, eine berufliche Ausbildung zum Webdesigner (Fernstudium) finanzieren, wenn noch die Chance einer beruflichen Tätigkeit besteht und sie andere geeignete Maßnahmen nicht benennen kann.

Der 1981 geborene Kläger leidet an einer Muskel­dys­trophie Typ Duchenne mit Geh- und Stehunfähigkeit sowie einer respi­ra­to­rischen Insuffizienz mit der Notwendigkeit unterstützender Beatmung, ohne dass eine vollständige Beatmung oder eine assistierte Beatmung erforderlich wäre. Außerdem besteht bei ihm eine Schlu­ck­un­fä­higkeit und es ist eine Magensonde gelegt. Es sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteils­aus­gleiche "G", "aG", "B" und "H" bzw. die Pflegestufe II festgestellt. Der Kläger hat einen Haupt­schul­ab­schluss erreicht, er beschäftigt sich seit dem Jahr 1999 mit Computern. Im Februar 2014 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Gefördert werden sollte ein Fernkurs zum Webdesigner, der rund 2.900 Euro kostet. Nachdem der ärztliche Dienst der Beklagten zu dem Ergebnis gelangt war, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine ausreichenden Tätigkeiten mehr leisten könne, lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.

Gutachter hält Tätigkeit als Webdesigner vom heimischen Arbeitsplatz aus für möglich

Der Kläger erhob daraufhin Klage vor dem Sozialgericht Koblenz. Dieses holte ein Sachverständigengutachten ein, wonach der Kläger in der Lage ist, den Computer sicher und zügig mit den Augen zu steuern. Die Tätigkeit als Webdesigner hielt der Gutachter vom heimischen Arbeitsplatz aus für täglich vier bis knapp über sechs Stunden für möglich. Der Kläger sei hochintelligent und sehr motiviert. Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für den Fernlehrgang zu übernehmen. Der Kläger habe als behinderter Mensch einen Anspruch auf die Förderung. Gefördert werden könnten nicht nur Ausbildungen, die zu einer abhängigen Beschäftigung in einem Betrieb führen, sondern auch solche, bei denen im Anschluss ein Beruf als Selbständiger ausgeübt werde. Dies sei dem Kläger nach dem Gutachten möglich, wobei auch eine abhängige Beschäftigung nicht völlig ausgeschlossen sei. Hiergegen hat die Beklagte Berufung beim Landes­so­zi­al­gericht eingelegt. Zwar müsse nach dem Sachver­stän­di­gen­gut­achten davon ausgegangen werden, dass der Kläger Arbeiten von wirtschaft­lichem Wert leisten könne. Es müsse aber berücksichtigt werden, dass er mit der Augensteuerung nicht so schnell arbeiten könne wie ein nicht behinderter Mensch. Daher könne er nicht mindestens drei Stunden täglich den Beruf des Webdesigners unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben. Eine Ausbildung, die nur zu einer selbständigen Tätigkeit führe, könne nicht gefördert werden.

LSG bejaht Leistungs­an­spruch des Klägers

Das Landes­so­zi­al­gericht Rheinland-Pfalz hat die durch die Beklagte eingelegte Berufung zurückgewiesen. Der Kläger könne als schwer­be­hin­derter Mensch grundsätzlich entsprechende Leistungen beanspruchen. Hier sei durch das Sachver­stän­di­gen­gut­achten seine zukünftige potentielle Leistungs­fä­higkeit auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt. Gerade die Tätigkeit als Webdesigner könne regelmäßig von zu Hause ausgeübt werden ("home office"). Der Kläger könne telefonisch ohne wesentliche Einschränkung kommunizieren und den Computer auch hinreichend schnell mit den Augen steuern, so dass eine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit möglich sei. Da die Beklagte keine günstigere und in gleicher Weise geeignete Ausbil­dungs­mög­lichkeit habe benennen können, müsse sie die angestrebte Ausbildung finanzieren.

Quelle: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

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