18.10.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss15.01.2016

Sozia­l­leis­tungen für EU-Bürger: Schulbesuch des Kindes löst keinen Anspruch auf SGB II Leistungen ausEU-Bürger darf auch bei eventuellem Aufent­haltsrecht durch Schulbesuch von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden, dass der Schulbesuch eines bulgarischen Kindes kein dem Leistungs­aus­schluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entge­gen­ste­hendes Aufent­haltsrecht vermittelt und insofern keine Grund­sicherungs­leistungen zu gewähren sind.

Im zu entscheidenden Fall war das im Jahre 2005 geborene Kind zusammen mit seiner allein­er­zie­henden Mutter Anfang 2014 aus deren Heimatland Bulgarien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und lebt seitdem - zusammen mit zwei weiteren im Bundesgebiet geborenen Kindern - in Bremen. Seit März 2014 besucht es hier eine allge­mein­bildende Schule. Nachdem ein von der Mutter ausgeübtes befristetes Arbeits­ver­hältnis als Zimmermädchen im September 2014 wieder beendet worden war und die Familie in Anwendung des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – (FreizügG/EU) zunächst noch für ein halbes Jahr Grund­si­che­rungs­leis­tungen erhalten hatte, lehnte der zuständige bremische SGB II-Leistungsträger die Weitergewährung dieser Leistungen ab.

Das Sozialgericht Bremen verpflichtete den Leistungsträger im Wege einer einstweiligen Anordnung, der Familie vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­ter­haltes zu gewähren.

Leistungs­aus­schluss erstreckt sich auch auf wirtschaftlich passive Unionsbürger

Auf die Beschwerde des Leistungs­trägers hin hat das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen den zusprechenden Beschluss des Sozialgerichts aufgehoben und den Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz abgelehnt. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II seien nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II Ausländer und ihre Familien­an­ge­hörigen, deren Aufent­haltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Der Leistungs­aus­schluss erstrecke sich auch auf Unionsbürger die kein anderes Aufent­haltsrecht haben oder wirtschaftlich passiv sind. Der Leistungs­aus­schluss erstrecke sich erst Recht auf Unionsbürger, die hier - wie die Antragsteller des vorliegenden Verfahrens - keine Erwer­b­s­tä­tigkeit (mehr) ausüben. Dies sei nunmehr höchst­rich­terlich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 15. September 2015 entschieden; die für das Rechtsgebiet des SGB II zuständigen Senate des Bundes­so­zi­al­ge­richts haben sich dem in ihrer neuesten Rechtsprechung angeschlossen.

Schulbesuch des Kindes begründet keinen Anspruch auf SGB II Leistungen

Das Landes­so­zi­al­gericht erläuterte, dass der Schulbesuch des Kindes keinen Anspruch auf SGB II Leistungen auslöse. Es bestehe durch den Schulbesuch kein Aufent­haltsrecht der Antragsteller, das dem Leistungs­aus­schluss nach § 7 Abs. 1 S.2 Nr. 2 SGB II entgegenstehe. Die Voraussetzungen für ein anderes, zu einer Gewährung von Leistungen nach dem SGB II führendes Aufent­haltsrecht nach dem FreizügG/EU oder dem Aufent­halts­gesetz lägen nicht vor. Zwar hätten Kinder von EU-Bürgern, die ein Aufent­haltsrecht als Wander­a­r­beit­nehmer haben, Anspruch auf den Schulbesuch in dem Land, in dem die Eltern als Wander­a­r­beit­nehmer tätig sind und daher auch ein Aufent­haltsrecht. In der Folge dürften auch die Eltern - für die Zeit des Schulbesuches der Kinder - in diesem Land bleiben auch wenn sie nicht mehr als Wander­a­r­beit­nehmer tätig sind. Dies führe aber nicht dazu, dass die Familie dann einen Anspruch auf SGB II Leistungen habe.

Schulbesuch des Kindes ist Folge und nicht Ursache der Einreise und Arbeitsaufnahme des Elternteils

Weiter führte das Landes­so­zi­al­gericht aus, dass selbst wenn ein solches Aufent­haltsrecht der Antragsteller bestehe, sei kein Anspruch auf SGB II Leistungen gegeben. Zu berücksichtigen sei, dass nur ein Aufent­haltsrecht nach dem FreizügG/EU bzw. nach einem subsidiär anwendbaren Aufent­halts­gesetz dem Leistungs­aus­schluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegenstehe. Ein aus dem Schulbesuch resultierendes Aufent­haltsrecht stehe damit der Annahme, dass die Kindesmutter sich hier lediglich zur Arbeitsuche aufhalte, nicht entgegen. Der Schulbesuch des Kindes sei Folge und nicht Ursache der Einreise und Arbeitsaufnahme des Elternteils. Es würde dem Sinn und Zweck der Vorschriften des FreizügG/EU und des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zuwider laufen, wenn nach Wegfall des anspruchs­be­grün­denden Lebens­sach­ver­haltes (hier: Arbeit­neh­m­er­status der Kindesmutter) ein Lebens­sach­verhalt (hier: Schulbesuch des Kindes) anspruchs­be­gründend sein solle, der für sich allein genommen bei Einreise keinen anderweitigen Aufent­halts­status begründet hätte. Denn es handele sich insoweit allenfalls um "ein abgeleitetes Recht vom abgeleiteten Recht". Einem solchen könne keine aufent­halts­rechtliche Schutzwirkung zukommen, die bei der Auslegung der abschließenden Regelungen des FreizügG/EU zu beachten wäre und entgegen dem Willen des Gesetzgebers zu Leistungen nach dem SGB II berechtige.

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954 )- Fassung vom: 20.12.2011 - zitiert nach juris

Erläuterungen

§ 7 Leistungs­be­rechtigte

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht haben,

2. erwerbsfähig sind,

3. hilfebedürftig sind und

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungs­be­rechtigte).

Ausgenommen sind

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeit­neh­me­rinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizü­gig­keits­ge­setzes/EU freizü­gig­keits­be­rechtigt sind, und ihre Familien­an­ge­hörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufent­haltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familien­an­ge­hörigen,

3. Leistungs­be­rechtigte nach § 1 des Asylbe­wer­ber­leis­tungs­ge­setzes.

Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufent­halt­stitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufent­halts­ge­setzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.

Aufent­halts­rechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) [...]

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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