18.10.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil23.09.2015

Heiz­kosten­rück­zahlung führt nicht immer zur Kürzung von Hartz IVKeine Anrechnung des Guthabens als Einkommen bei vorheriger Ansparung der Beträge aus Regelleistungen

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass Rückzahlungen aufgrund zu hoher Heiz­kosten­voraus­zahlungen unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu geringeren SGB II-Leistungen führen. Zwar sehe das Gesetz auf den ersten Blick eine leistungs­min­dernde Anrechnung solcher Guthaben vor, wenn sie an Arbeits­lo­sengeld II-Empfänger ausgekehrt werden. Das Landes­so­zi­al­gericht hat nun aber klargestellt, dass dies nicht der Fall ist, wenn das Guthaben zuvor aus der Regelleistung angespart wurde oder durch geliehenes Geld zustande gekommen ist.

Im zugrun­de­lie­genden Fall erhielt eine Frau aus dem im Landkreis Leer Leistungen nach dem SGB II. Der Abschlag, den die Frau ihrem Energie­ver­sorger im konkret betroffenen Jahr 2011 für die Belieferung mit Erdgas zur Beheizung ihrer Wohnung zu zahlen hatte, betrug seinerzeit 115 Euro monatlich. Der beklagte Landkreis hielt diese Kosten für unangemessen hoch und übernahm Heizkosten nur in Höhe von 68,40 Euro, sodass eine Deckungslücke von 46,60 Euro monatlich bestand. Um die Abschläge trotzdem vollständig erbringen zu können, lieh die Frau sich nach ihren Angaben bei einem Bekannten Geld. Aus der Jahres­a­b­rechnung des Energie­ver­sorgers für das Jahr 2011 ergab sich später, dass tatsächlich Heizkosten in Höhe von 968,04 Euro entstanden waren. Da die Frau insgesamt 1.380 Euro im Voraus gezahlt hatte, kehrte der Energie­ver­sorger die überzahlten 411,96 Euro im Januar 2012 an die Frau aus, die damit - so ihr Vorbringen im Klageverfahren - ihrem Bekannten das geliehene Geld zurückzahlte. Der Landkreis rechnete das vom Energie­ver­sorger ausgekehrte Guthaben im Februar 2012 leistungs­mindernd an und berief sich dazu auf eine gesetzliche Vorgabe in § 22 Abs. 3 SGB II.

LSG verneint Minderung der Leistungen für Unterkunft und Heizung

Das Sozialgericht Aurich hat die Entscheidung des beklagten Landkreises aufgehoben. Die Rückzahlung des Heizkos­ten­vor­schusses sei nicht leistungs­mindernd zu berücksichtigen. Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen bestätigte hat das Urteil des Sozialgerichts. Das ausgekehrte Guthaben beruhe auf dem Teil der Vorauszahlung, der von der Klägerin über ein Darlehn finanziert worden sei. Da von der Rückzahlung nicht der vom Beklagten getragene Anteil in Höhe von 68,40 Euro betroffen sei - dieser war vollständig verbraucht worden -, dürfe im vorliegenden Fall eine Minderung der Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht durchgeführt werden.

Bei bedarfs­be­zogener Betrachtung muss über Darlehn selbst finanzierter Anteil des Heizkos­ten­gut­habens außer Betracht bleiben

Das Landes­so­zi­al­gericht führte weiter aus, dass der Geset­zes­wortlaut zwar nicht unterscheide, ob das Guthaben beim Energie­ver­sorger durch Zahlungen des Leistungs­trägers nach dem SGB II oder aber durch eigene Leistung des Hartz IV-Empfängers zustande gekommen sei. Eine solche Unterscheidung nach dem Herkommen der Überzahlung sei jedoch erforderlich. Das Gericht knüpft dabei daran an, dass das Gesetz vom Wortlaut her am Bedarf für Unterkunft und Heizung ansetze, dem die Rückzahlungen der Energie­ver­sorger zuzuordnen sein sollen. Der Bedarf umfasse jedoch nur die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, vorliegend die vom Landkreis gewährten 68,40 Euro. Bei einer solchen bedarfs­be­zogenen Betrachtung müsse daher der Anteil des Heizkos­ten­gut­habens außer Betracht bleiben, der von der Klägerin selbst über das Darlehn finanziert worden sei. Dieses Ergebnis stimme mit dem Gesetzeszweck überein, wonach den kommunalen Trägern Guthaben zugutekommen sollten, die wesentlich mit ihren Beiträgen aufgebracht worden seien. Letzteres könne im Fall der Klägerin gerade nicht festgestellt werden.

Hartz IV-Empfänger kann nicht zur eigenmächtigen Kürzung überhöhter Beiträge verpflichtet werden

Das Gericht weist in der Begründung seiner Entscheidung weiter darauf hin, dass eine bei Weitem überhöhte Abschlags­for­derung praktisch zu einer Kürzung der Leistungen im Monat nach der Jahres­a­b­rechnung führen würde. Nach Überzeugung des Gerichts kann ein Hartz IV-Empfänger nicht darauf verwiesen werden, überhöhte Abschläge eigenmächtig zu kürzen und damit vertragsbrüchig zu handeln, was mit dem Risiko weiterer Kosten und einer Energie­lie­fe­rungs­sperre verbunden wäre.

Leistungs­min­dernde Anrechnung der Rückzahlung als Einkommen unzulässig

Auch komme eine leistungs­min­dernde Anrechnung der Rückzahlung als Einkommen nicht in Betracht. Wenn der Leistungs­be­rechtigte eine höhere Heizkos­ten­vor­aus­zahlung z.B. aus der Regelleistung "angespart habe" bzw. aufgebracht habe, dürfe ihm dies nicht bei der Rückzahlung leistungs­mindernd vorgehalten werden. Denn an andere Stelle des Gesetzes werde gerade erwartet, dass der Leistungs­emp­fänger aus der Regelleistung auch Ansparungen bilde.

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der seit 01.04.2011 geltenden Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954), zitiert nach Juris

§ 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. [...]

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushalt­s­energie beziehen, bleiben außer Betracht.

Erläuterungen

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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