24.11.2024
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil10.05.2016

Hartz IV: Fahrerkabine eines offenen Pritschenwagens stellt keine geeignete Unterkunft darJobcenter muss Kosten für Leben in Pritschenwagen können nicht übernehmen

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass ein Empfänger von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende, sogenanntes "Hartz IV"), der in der Fahrerkabine eines offenen Pritschenwagens nächtigt, dafür keine Kosten der Unterkunft geltend machen kann.

Der klagende 60-jährige Leistungs­emp­fänger des zugrunde liegenden Streitfalls lebt im Bodenseeraum und ist seit einigen Jahren ohne festen Wohnsitz. Er nächtigte nach eigenen Angaben seit 2010 in einem Pritschenwagen. Das zuständige Jobcenter ging zunächst davon aus, es handle sich um eine Art Wohnmobil mit geschlossenem Überbau und erstattete dem Kläger die Kosten der Kfz-Haftpflicht­ver­si­cherung sowie eine Heizkos­ten­pau­schale für die vorhandene Standheizung. Ende 2013 besichtigte das Jobcenter das Fahrzeug und weigerte sich sodann, dem Kläger dafür Unterkunftskosten zu zahlen. In dem offenen Wagen sei ein Mindestmaß an Privatsphäre nicht gewährleistet. Es fehle an der Vergleich­barkeit mit einer privaten Wohnung, die einen längeren Aufenthalt ermögliche.

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, dass der deutsche Sozialstaat ihm sein menschen­würdiges Existenzminimum verweigere.

Wichtige Aspekte der Privatsphäre wie Hygiene oder ungestörter Kleidungs­wechsel unmöglich

Das Sozialgericht Konstanz wies die Klage in erster Instanz ab. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg gab dem Jobcenter in zweiter Instanz ebenfalls Recht. Der offene Pritschenwagen stelle keine Unterkunft im Sinne des SGB II dar, für die Kosten übernommen werden könnten. Das Fahrzeug sei lediglich mit einem geschlossenen einreihigen Fahrerhaus ausgestattet, das eine Sitzbank mit drei Sitzplätzen beinhalte. Eine Rückbank existiere nicht, und die Ladefläche sei offen. Wichtige Aspekte der Privatsphäre wie Hygiene oder ungestörter Kleidungs­wechsel sowie ein gewisses Maß an Komfort seien mangels Ausstattung und Platz (insbesondere mangels Möglichkeit zum Stehen) sowie aufgrund deutlicher Einsehbarkeit des Innenbereichs nicht einmal annähernd wie in einer Wohnung möglich. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber die Leistungen im SGB II zur Deckung der notwendigen Bedarfe nicht in verfas­sungs­widriger Weise zu niedrig bemessen.

Sozial­ge­setzbuch (SGB) II - Grundsicherung für Arbeitsuchende

§ 19 Absatz 1 Satz 1 und 3 SGB II:

1 Erwerbsfähige Leistungs­be­rechtigte erhalten Arbeits­lo­sengeld II. [...]

3 Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung.

§ 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II:

Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

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