Im zugrunde liegenden Fall machte die Klägerin Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte parkten mit ihren Fahrzeugen aus einander gegenüberliegenden Parkplätzen aus. Dabei kam es zu dem Unfall. Das Amtsgericht Saarbrücken gab der Klägerin teilweise recht. Sie habe Anspruch auf den hälftigen Schadenersatz, da sowohl die Klägerin als auch der Beklagte gleichermaßen an dem Unfall schuld seien. Dagegen richtete sich die Berufung der Klägerin.
Das Landgericht Saarbrücken entschied zu Gunsten der Klägerin. Ihr stehe ein Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten zu. Dieser habe nämlich den Unfall durch einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO verursacht.
Zunächst führte das Landgericht aus, dass hier das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) zu beachten sei. Der ebenfalls in Betracht kommende § 9 Abs. 5 StVO finde keine unmittelbare Anwendung, da er für Parkplätze nicht gelte.
Weiter führte es aus, dass der Beklagte gegen das Rücksichtsnahmegebot verstieß. Denn auf Parkplätzen sei stets mit ausparkenden und rückwärts fahrenden Fahrzeugen zu rechnen. Der Kraftfahrer müsse so vorsichtig fahren, dass er jederzeit anhalten könne. Das gelte insbesondere wegen der besonderen Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens für den rückwärtsfahrenden Verkehrsteilnehmer. Diesen Anforderungen habe der Beklagte nicht genügt.
Der Klägerin konnte nach Auffassung des Landgerichts kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen werden. Zwar spreche die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass ein rückwärts Fahrender den Unfall verschulde, wenn der Zusammenstoß in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren geschehe (sog. Anscheinsbeweis). Komme aber der Rückwärtsfahrer vor dem Unfall zum Stehen, schließe die typische Lebenserfahrung ein Verschulden an dem Unfall aus. Denn es bestehe die ernsthafte Möglichkeit, dass der Rückwärtsfahrer in Erfüllung seiner Verkehrspflichten rechtzeitig angehalten habe und nur der im Fahren befindliche Unfallgegner den Unfall verschuldet habe.
Dieses Ergebnis gelte zumindest in Bezug auf Parkplätze. Denn dort beschränke sich die Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens darauf, dass der rückwärts Fahrende wegen seines eingeschränkten Gesichtsfeldes nach hinten andere Verkehrsteilnehmer schlechter erkenne und auf drohende Gefahren deshalb schlechter reagieren könne. Diese Gefahr verwirkliche sich jedoch nicht, wenn der rückwärts Fahrende vor dem Zusammenstoß zum Stehen komme.
Die Sorgfaltspflicht gemäß § 1 Abs. 2 StVO gebiete es, so das Landgericht, dass der eigene Ausparkvorgang zurückgestellt werde, wenn der andere Verkehrsteilnehmer mit dem Ausparken begonnen habe. Wollen beide gleichzeitig Ausparken und erkennen die Ausparkenden das, haben sie sich zu verständigen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.11.2012
Quelle: Landgericht Saarbrücken, ra-online (vt/rb)