15.11.2024
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Landgericht München I Urteil10.11.2010

Vorwurf der Mafia-Zugehörigkeit: Verlag verletzt mit Buch "Mafia-Export" Gebot der zurückhaltenden Verdacht­be­rich­t­er­stattungVor Veröf­fent­li­chungen sind regelmäßig Stellungnahmen der Betroffenen einzuholen

Ein Münchener Verlag hat ein Buch über (angebliche) Mafia-Mitglieder mit rufschädigenden und unrichtigen Tatsa­chen­be­haup­tungen veröffentlicht. Dies wurde nun vom Landgericht München I untersagt.

Es gibt Organisationen, denen man öffentlich nicht zugerechnet werden möchte - und zwar unabhängig davon, ob man tatsächlich dazugehört; die Mafia ist so eine Organisation. Deshalb liest keiner gerne seinen Namen in einem Buch über die Machenschaften der italienischen Mafia, jedenfalls dann nicht, wenn man dort als Mafioso erscheint. So geschehen in dem Ende September 2010 vom Riemann Verlag veröf­fent­lichten Buch "Mafia-Export". Die zwei derart ins Licht der Öffentlichkeit Gezerrten beantragten daraufhin beim Landgericht München I einstweiligen Rechtsschutz gegen bestimmte - ihre Person betreffende - Behauptungen, insbesondere die Behauptung der Zugehörigkeit zu bestimmten Mafia-Clans.

Gericht erkennt rufschädigende Tatsa­chen­be­haup­tungen

Die für das Äußerungsrecht zuständige 9. Zivilkammer sah darin rufschädigende und unrichtige Tatsa­chen­be­haup­tungen und untersagte diese. Zur Begründung der Entscheidung heißt es unter anderem:

Erläuterungen
"Zwar dürfen die Medien infolge ihres durch Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) weitreichend geschützten Auftrages bereits über den Verdacht einer Straftat berichten, wenn ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, der für den Wahrheitsgehalt der Information spricht und ihr damit "Öffent­lich­keitswert" verleiht. Dabei sind allerdings vor dem Hintergrund des durch Art. 1, 2 GG geschützten Persön­lich­keits­rechts des Betroffenen die Anforderungen an die Sorgfalts­pflicht umso höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird. ... Auch müssen die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente benannt werden. Vor der Veröf­fent­lichung ist regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. ... Andererseits dürfen die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt und die Wahrheits­pflicht nicht überspannt und insbesondere nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungs­freiheit leidet. Stets ist zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit abzuwiegen, wobei das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Allgemeinheit regelmäßig dann vorrangig ist, wenn die dargestellten Sorgfalts­an­for­de­rungen eingehalten sind. Von Bedeutung ist insoweit auch, ob der in Anspruch Genommene vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat."

Verlag stützt sich auf eidesstattliche Versicherung eines italienischen Staatsanwalts und Bundes­kri­mi­nal­amt­be­richte

Der Verlag stützte seine Vorwürfe unter anderem auf eine eidesstattliche Versicherung eines italienischen Staatsanwalts und auf Berichte des Bundes­kri­mi­nalamts. Damit - so die Richter der 9. Zivilkammer - ließen sich die weitreichenden Vorwürfe jedoch nicht belegen. Wie der italienische Staatsanwalt zu der Einschätzung komme, die beiden Kläger seien Mafia-Mitglieder, bleibe vollkommen offen. Die Authentizität der Bereiche des BKA sei fraglich, zumal zumindest Einzelpunkte darin unstreitig unrichtig seien, so dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, der Rest - im Wesentlichen pauschale Anschuldigungen - sei richtig. Es fehle auch daran, dass der Autor die Richtigkeit dieser Behauptungen durch eine Eigenrecherche verifiziert hätte. Zurückhaltung sei auch insofern geboten gewesen, als bislang weder deutsche noch italienische Behörden und Gerichte die im Raum stehenden Indizien für ausreichend hielten, um eine Verurteilung als hinreichend wahrscheinlich anzusehen.

Gebot der zurückhaltenden Verdachts­be­rich­t­er­stattung verletzt

"Statt einer objektiven Darstellung des verfah­rens­mäßigen Stands der Dinge wird durch die angegriffene Veröf­fent­lichung der Eindruck erweckt, als würden die im Raum stehenden Indizien zur der Annahme ausreichen, der Verfü­gungs­kläger sei tatsächlich ´Ndranghetista. Die Verfü­gungs­be­klagte verletzt hierdurch nicht nur das Gebot der zurückhaltenden Verdacht­be­rich­t­er­stattung, sondern maßt sich an, anstelle der gebotenen Offenlegung des Verfah­rens­standes dem Leser Schluss­fol­ge­rungen nahe zu legen, in Bezug auf die offensichtlich längst geklärt ist, dass den hierfür zuständigen Behörden die dargelegten Indizien nicht ausreichen."

Quelle: Landgericht München I/ ra-online

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