21.11.2024
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Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil17.07.2013

Umarmen eines Kollegen ist kein zwingender Grund für fristlose Kündigung wegen sexueller BelästigungNicht jede Berührung hat einen sexuellen Hintergrund

Umarmt ein Mann einen Berufskollegen für einige Sekunden von hinten, indem er dabei dessen Bauch umfasst und sich an ihn presst, muss das nicht zwangsläufig einen sexuellen Hintergrund haben. Dies entschied das Landes­arbeits­gericht Baden-Württemberg und hob damit die fristlose Kündigung eines Vertrie­bs­in­ge­nieurs wieder auf. Nach Auslegung des Gerichts hätte der Arbeitgeber wegen der nur wenige Sekunden dauernden Umarmung zunächst eine Abmahnung aussprechen müssen.

Der entschiedene Fall betraf einen Mitte 40 Jahre alten Vertrie­bs­in­genieur eines großen Maschi­nen­bau­un­ter­nehmens, das ihm nach 13-jähriger Betrie­bs­zu­ge­hö­rigkeit wegen angeblicher sexueller Belästigung fristlos gekündigt hatte. Der Betrieb begründete seine Entscheidung damit, dass der Angestellte als Teilnehmer an einer Vertrie­bs­kon­ferenz anlässlich eines gemeinsamen Abendessens der Konfe­renz­teil­nehmer einen Mitarbeiter einer Tochter­ge­sell­schaft gegen 21.15 Uhr sexuell belästigt habe. Während dieser mit anderen Konfe­renz­teil­nehmern stehend im Gespräch vertieft war, habe ihn der Vertrie­bs­in­genieur auf dem Weg zur Toilette zunächst mit der Hand in der Magengegend angefasst und dann auf dem Rückweg von hinten mit den Armen auf Höhe der Magengegend umschlungen und sich an ihn gepresst. Letzteres habe den Kollegen derart angewidert und abgestoßen, dass er sich einen Monat später mit einer E-Mail an den Vorgesetzten des Fummlers gewandt habe.

Gesetzgeber sieht sexuelle Belästigungen nicht als "absoluten" Kündigungsgrund an

Die Richter des Landes­a­r­beits­ge­richts Baden-Württemberg betonten zunächst, dass eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz grundsätzlich für den Ausspruch einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung geeignet sein kann. Soweit der Arbeitgeber im vorliegenden Fall aber meinte, dass ein solches Verhalten stets eine Kündigung rechtfertigt, da es sich um ein gravierendes Fehlverhalten handele, sei dies nicht richtig. Denn auch der Gesetzgeber werte eine sexuelle Belästigung im Allgemeinen Gleich­be­hand­lungs­gesetz (AGG) zwar als Verletzung vertraglicher Pflichten. Gleichwohl sehe er sexuelle Belästigungen nicht als "absoluten" Kündigungsgrund an, sondern führe in § 12 Abs. 3 AGG als Reakti­o­ns­mög­lich­keiten auf einen solchen Pflichtverstoß zunächst beispielsweise die Abmahnung oder Versetzung und nur als letztes der dort aufgeführten Mittel die Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses an. Ob ein solches Verhalten eine außer­or­dentliche oder ordentliche Kündigung rechtfertigen könne, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab - unter anderem von seinem Umfang und seiner Intensität, erläuterte das Gericht.

Ausspruch einer außer­or­dent­lichen oder auch ordentlichen Kündigung ohne vorherige Abmahnung hier unver­hält­nismäßig

Vorliegend habe es sich allenfalls um einen einmaligen Pflichtverstoß des gefeuerten Mitarbeiters mit geringer Intensität gehandelt, der den Ausspruch einer außer­or­dent­lichen oder auch ordentlichen Kündigung ohne vorherige Abmahnung unver­hält­nismäßig erscheinen lasse. Soweit der Arbeitgeber schildert, dass der Mitarbeiter den Kollegen auf dem Weg zur Toilette mit der Hand in der Magengegend berührt habe, könne schon nicht von einer sexuellen Belästigung ausgegangen werden. Hier sei ein sexueller Bezug auch deshalb nicht erkennbar, weil der vermeintlich belästigte Kollege in seiner Beschwerde-E-Mail ausgeführt hatte, dass ihn dies §niemals wirklich störte". Er habe das so aufgefasst, dass der Vertrie­bs­in­genieur ihn damit darauf habe hinweisen wollen, dass er übergewichtig sei. Auch das Umschlingen mit den Armen in Höhe der Magengegend und das Anpressen nach der Rückkehr von der Toilette sei nicht gravierend, wenn man berücksichtige, dass sich dies in einer geselligen Runde abgespielt habe, befanden die Richter.

Handlung des Angestellten war nicht mit ernsthafter Anfeindung, Erniedrigung oder Provokation verbunden

Dabei unterstellte das Gericht zu Gunsten des Arbeitgebers einen sexuellen Bezug. Das Opfer hatte in der E-Mail aber nur davon gesprochen, dass er über diese „Belästigung“ wirklich nicht begeistert gewesen sei. Wenn man aber einen sexuellen Bezug der Belästigung annehmen wollte, wäre diese von einem so geringen Ausmaß und geringer Schwere, dass als verhält­nis­mäßige Reaktion des Arbeitgebers der Ausspruch einer außer­or­dent­lichen oder ordentlichen Kündigung ohne vorangegangene Abmahnung nicht in Betracht komme, schluss­fol­gerten die Stuttgarter Richter. Es handele sich um einen einmaligen Vorfall mit geringer Einwirkung auf einen anderen Arbeitnehmer. Eine ernsthafte Anfeindung, Erniedrigung oder Provokation sei damit nicht verbunden gewesen. Es handele sich um einen Vorfall von der Dauer weniger Sekunden, bei dem offenkundig nicht einmal Worte gefallen seien, entschied das Gericht. Im Übrigen habe sich der Kollege der von ihm als unangenehm empfundenen Situation ohne Schwierigkeiten sofort entziehen können.

Quelle: Rechtsanwaltskammer des Saarlandes/ra-online

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