Der entschiedene Fall betraf einen Mitte 40 Jahre alten Vertriebsingenieur eines großen Maschinenbauunternehmens, das ihm nach 13-jähriger Betriebszugehörigkeit wegen angeblicher sexueller Belästigung fristlos gekündigt hatte. Der Betrieb begründete seine Entscheidung damit, dass der Angestellte als Teilnehmer an einer Vertriebskonferenz anlässlich eines gemeinsamen Abendessens der Konferenzteilnehmer einen Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft gegen 21.15 Uhr sexuell belästigt habe. Während dieser mit anderen Konferenzteilnehmern stehend im Gespräch vertieft war, habe ihn der Vertriebsingenieur auf dem Weg zur Toilette zunächst mit der Hand in der Magengegend angefasst und dann auf dem Rückweg von hinten mit den Armen auf Höhe der Magengegend umschlungen und sich an ihn gepresst. Letzteres habe den Kollegen derart angewidert und abgestoßen, dass er sich einen Monat später mit einer E-Mail an den Vorgesetzten des Fummlers gewandt habe.
Die Richter des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg betonten zunächst, dass eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz grundsätzlich für den Ausspruch einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung geeignet sein kann. Soweit der Arbeitgeber im vorliegenden Fall aber meinte, dass ein solches Verhalten stets eine Kündigung rechtfertigt, da es sich um ein gravierendes Fehlverhalten handele, sei dies nicht richtig. Denn auch der Gesetzgeber werte eine sexuelle Belästigung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwar als Verletzung vertraglicher Pflichten. Gleichwohl sehe er sexuelle Belästigungen nicht als "absoluten" Kündigungsgrund an, sondern führe in § 12 Abs. 3 AGG als Reaktionsmöglichkeiten auf einen solchen Pflichtverstoß zunächst beispielsweise die Abmahnung oder Versetzung und nur als letztes der dort aufgeführten Mittel die Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Ob ein solches Verhalten eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung rechtfertigen könne, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab - unter anderem von seinem Umfang und seiner Intensität, erläuterte das Gericht.
Vorliegend habe es sich allenfalls um einen einmaligen Pflichtverstoß des gefeuerten Mitarbeiters mit geringer Intensität gehandelt, der den Ausspruch einer außerordentlichen oder auch ordentlichen Kündigung ohne vorherige Abmahnung unverhältnismäßig erscheinen lasse. Soweit der Arbeitgeber schildert, dass der Mitarbeiter den Kollegen auf dem Weg zur Toilette mit der Hand in der Magengegend berührt habe, könne schon nicht von einer sexuellen Belästigung ausgegangen werden. Hier sei ein sexueller Bezug auch deshalb nicht erkennbar, weil der vermeintlich belästigte Kollege in seiner Beschwerde-E-Mail ausgeführt hatte, dass ihn dies §niemals wirklich störte". Er habe das so aufgefasst, dass der Vertriebsingenieur ihn damit darauf habe hinweisen wollen, dass er übergewichtig sei. Auch das Umschlingen mit den Armen in Höhe der Magengegend und das Anpressen nach der Rückkehr von der Toilette sei nicht gravierend, wenn man berücksichtige, dass sich dies in einer geselligen Runde abgespielt habe, befanden die Richter.
Dabei unterstellte das Gericht zu Gunsten des Arbeitgebers einen sexuellen Bezug. Das Opfer hatte in der E-Mail aber nur davon gesprochen, dass er über diese „Belästigung“ wirklich nicht begeistert gewesen sei. Wenn man aber einen sexuellen Bezug der Belästigung annehmen wollte, wäre diese von einem so geringen Ausmaß und geringer Schwere, dass als verhältnismäßige Reaktion des Arbeitgebers der Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung ohne vorangegangene Abmahnung nicht in Betracht komme, schlussfolgerten die Stuttgarter Richter. Es handele sich um einen einmaligen Vorfall mit geringer Einwirkung auf einen anderen Arbeitnehmer. Eine ernsthafte Anfeindung, Erniedrigung oder Provokation sei damit nicht verbunden gewesen. Es handele sich um einen Vorfall von der Dauer weniger Sekunden, bei dem offenkundig nicht einmal Worte gefallen seien, entschied das Gericht. Im Übrigen habe sich der Kollege der von ihm als unangenehm empfundenen Situation ohne Schwierigkeiten sofort entziehen können.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 27.12.2013
Quelle: Rechtsanwaltskammer des Saarlandes/ra-online