Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juli 2013 bewarb sich ein mit einem Grad der Behinderung von 100 % schwerbehinderter Mann bei einem Landkreis für eine Stelle als Projektmanager. Nachdem der Landkreis den Eingang der Bewerbung bestätigte, erhielt der schwerbehinderte Bewerber eine E-Mail. In der wurde er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Zugleich hieß es aber, dass mehrere Bewerber den Erwartungen stärker entsprachen als die Bewerbung des Schwerbehinderten. Der Bewerber sollte daher mitteilen, ob er trotz der geringen Erfolgsaussicht ein Bewerbungsgespräch wünscht und die doch längere Anreise auf sich nehmen will. Der Bewerber sah sich durch diese E-Mail diskriminiert und erhob daher Klage auf Zahlung einer Entschädigung.
Das Arbeitsgericht Pforzheim gab der Klage des schwerbehinderten Bewerbers auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe eines Bruttomonatsgehalts statt. Ihm gegenüber sei nämlich zum Ausdruck gebracht worden, dass er lediglich geringe Erfolgsaussichten habe und das Bewerbungsgespräch daher nur eine Formalie sei. Damit habe keine nach § 82 Satz 2 SGB IX erforderliche neutrale Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorgelegen. Eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung sei daher zu vermuten gewesen. Gegen diese Entscheidung legte der Landkreis Berufung ein.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies daher die Berufung des Landkreises zurück. Dem Bewerber habe nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung der Entschädigungsanspruch zugestanden. Er sei unmittelbar im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt worden, weil er im Laufe des Bewerbungsverfahrens eine weniger günstige Behandlung erfuhr, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.
Ein öffentlicher Arbeitgeber sei nach § 82 Satz 2 SGB IX grundsätzlich verpflichtet, so das Landesarbeitsgericht weiter, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Dies gelte selbst dann, wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen die Meinung gebildet hat, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht in die nähere Auswahl komme. Denn durch das Vorstellungsgespräch solle dem Bewerber die Möglichkeit gegeben werden, den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung persönlich zu überzeugen. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, so liege darin eine weniger günstige Behandlung. So habe der Fall hier gelegen.
Zwar sei der Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, so das Landesarbeitsgericht. Zugleich sei ihm aber mitgeteilt bzw. signalisiert worden, dass seine Bewerbung geringe Erfolgsaussichten habe und er den Landkreis daher von seiner Eignung nicht mehr überzeugen könne. Dadurch habe der Landkreis den Schutzzweck des § 82 Satz 2 SGB IX unterlaufen. Die E-Mail habe der Bewerber nur als Abschreckung verstehen können. Der aus Fürsorgegründen berechtigte Gedanke des Landkreises, dem Bewerber die lange Anreise für ein voraussichtlich erfolgloses Bewerbungsgespräch zu ersparen, habe keine Rolle gespielt.
Das Landesarbeitsgericht gab zu bedenken, dass sich öffentliche Arbeitgeber keine Vorstellungsgespräche mit schwerbehinderten Bewerbern dadurch ersparen dürfen, dass sie Mitteilungen über die voraussichtliche Erfolgsaussicht ihrer Bewerbung versenden. Vielmehr dürfen öffentliche Arbeitgeber ein Bewerbungsgespräch nur dann ablehnen, wenn dem schwerbehinderten Bewerber die Eignung offensichtlich fehlt (§ 81 Satz 3 SGB IX). Dies sei hier nicht der Fall gewesen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.07.2015
Quelle: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, ra-online (vt/rb)