21.11.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 21260

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Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil03.11.2014

Abschreckende Einladung eines schwer­be­hin­derten Bewerbers zum Vor­stellungs­gespräch durch öffentlichen Arbeitgeber begründet Ent­schädigungs­anspruchVermutete Benachteiligung wegen Behinderung bei Mitteilung der geringen Erfolgsaussicht der Bewerbung

Erhält ein schwer­be­hin­derter Bewerber von einem öffentlichen Arbeitgeber eine Einladung zu einem Vor­stellungs­gespräch und wird ihm aber zugleich mitgeteilt, dass seine Bewerbung nach der "Papierform" nur eine geringe Erfolgsaussicht hat, begründet dies die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Dem Bewerber steht in einem solchen Fall ein Ent­schädigungs­anspruch in Höhe eines Brutto­mo­nats­gehalts zu. Dies geht aus einer Entscheidung des Landes­arbeits­gerichts Baden-Württemberg hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Juli 2013 bewarb sich ein mit einem Grad der Behinderung von 100 % schwer­be­hin­derter Mann bei einem Landkreis für eine Stelle als Projektmanager. Nachdem der Landkreis den Eingang der Bewerbung bestätigte, erhielt der schwer­be­hinderte Bewerber eine E-Mail. In der wurde er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Zugleich hieß es aber, dass mehrere Bewerber den Erwartungen stärker entsprachen als die Bewerbung des Schwer­be­hin­derten. Der Bewerber sollte daher mitteilen, ob er trotz der geringen Erfolgsaussicht ein Bewerbungsgespräch wünscht und die doch längere Anreise auf sich nehmen will. Der Bewerber sah sich durch diese E-Mail diskriminiert und erhob daher Klage auf Zahlung einer Entschädigung.

Arbeitsgericht Pforzheim gab Zahlungsklage des schwer­be­hin­derten Bewerbers statt

Das Arbeitsgericht Pforzheim gab der Klage des schwer­be­hin­derten Bewerbers auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe eines Brutto­mo­nats­gehalts statt. Ihm gegenüber sei nämlich zum Ausdruck gebracht worden, dass er lediglich geringe Erfolgs­aus­sichten habe und das Bewer­bungs­ge­spräch daher nur eine Formalie sei. Damit habe keine nach § 82 Satz 2 SGB IX erforderliche neutrale Einladung zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch vorgelegen. Eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung sei daher zu vermuten gewesen. Gegen diese Entscheidung legte der Landkreis Berufung ein.

Landes­a­r­beits­gericht bejahte ebenfalls Benachteiligung aufgrund der Behinderung

Das Landes­a­r­beits­gericht Baden-Württemberg bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies daher die Berufung des Landkreises zurück. Dem Bewerber habe nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung der Entschä­di­gungs­an­spruch zugestanden. Er sei unmittelbar im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt worden, weil er im Laufe des Bewer­bungs­ver­fahrens eine weniger günstige Behandlung erfuhr, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

Schwer­be­hin­derter Bewerber muss grundsätzlich zum Vorstel­lungs­ge­spräch eingeladen werden

Ein öffentlicher Arbeitgeber sei nach § 82 Satz 2 SGB IX grundsätzlich verpflichtet, so das Landes­a­r­beits­gericht weiter, schwer­be­hinderte Bewerber zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch einzuladen. Dies gelte selbst dann, wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewer­bungs­un­terlagen die Meinung gebildet hat, dass der schwer­be­hinderte Bewerber nicht in die nähere Auswahl komme. Denn durch das Vorstel­lungs­ge­spräch solle dem Bewerber die Möglichkeit gegeben werden, den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung persönlich zu überzeugen. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, so liege darin eine weniger günstige Behandlung. So habe der Fall hier gelegen.

Unzulässigkeit einer abschreckenden Einladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch

Zwar sei der Bewerber zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch eingeladen worden, so das Landes­a­r­beits­gericht. Zugleich sei ihm aber mitgeteilt bzw. signalisiert worden, dass seine Bewerbung geringe Erfolgs­aus­sichten habe und er den Landkreis daher von seiner Eignung nicht mehr überzeugen könne. Dadurch habe der Landkreis den Schutzzweck des § 82 Satz 2 SGB IX unterlaufen. Die E-Mail habe der Bewerber nur als Abschreckung verstehen können. Der aus Fürsorgegründen berechtigte Gedanke des Landkreises, dem Bewerber die lange Anreise für ein voraussichtlich erfolgloses Bewer­bungs­ge­spräch zu ersparen, habe keine Rolle gespielt.

Öffentlicher Arbeitgeber darf sich kein Vorstel­lungs­ge­spräch mit Schwer­be­hin­derten ersparen

Das Landes­a­r­beits­gericht gab zu bedenken, dass sich öffentliche Arbeitgeber keine Vorstel­lungs­ge­spräche mit schwer­be­hin­derten Bewerbern dadurch ersparen dürfen, dass sie Mitteilungen über die voraus­sichtliche Erfolgsaussicht ihrer Bewerbung versenden. Vielmehr dürfen öffentliche Arbeitgeber ein Bewer­bungs­ge­spräch nur dann ablehnen, wenn dem schwer­be­hin­derten Bewerber die Eignung offensichtlich fehlt (§ 81 Satz 3 SGB IX). Dies sei hier nicht der Fall gewesen.

Quelle: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, ra-online (vt/rb)

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