18.10.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil22.08.2013

Ent­schädigungs­anspruch eines zum Vor­stellungs­gespräch nicht eingeladenen Schwer­be­hin­derten: Nachträgliche Einladung zum Bewer­bungs­ge­spräch heilt nicht Verstoß gegen § 82 Abs. 2 SGB IXNichteinladung eines Schwer­be­hin­derten begründet eine unmittelbare Benachteiligung

Wird ein Schwer­be­hin­derter zu einem Vor­stellungs­gespräch nicht eingeladen, so kann ein Verstoß gegen § 82 Abs. 2 SGB IX und damit eine Diskriminierung vorliegen. Dem Schwer­be­hin­derten kann in einem solchen Fall ein Ent­schädigungs­anspruch zustehen. Eine nachträgliche Einladung zu einem Bewer­bungs­ge­spräch kann die Diskriminierung nicht heilen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­arbeits­gerichts hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein schwer­be­hin­derter Indus­trie­kaufmann bewarb sich im Mai 2010 auf eine offene Stelle im öffentlichen Dienst. Er erhielt nachfolgend jedoch, ohne zuvor zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein, ein Ableh­nungs­schreiben. Der Bewerber hielt dies angesichts seiner Schwerbehinderung für diskriminierend und verlangte Zahlung einer Entschädigung in Höhe von etwa 5.800 €. Der Arbeitgeber teilte dem Bewerber daraufhin mit, dass das Absageschreiben auf ein Büroversehen beruht habe und lud ihn zu einem weiteren Vorstel­lungs­ge­spräch ein. Der Bewerber hielt jedoch an seinem Entschä­di­gungs­an­spruch fest und erhob daher Klage.

Arbeitsgericht gab Klage statt, Landes­a­r­beits­gericht wies sie ab

Während das Arbeitsgericht der Klage noch stattgab, wies das Hessische Landes­a­r­beits­gericht die Klage auf Berufung des beklagten Landes zurück. Seiner Ansicht nach, haben die Voraussetzungen für einen Entschä­di­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG gefehlt. Zwar habe der Arbeitgeber gegen die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch verstoßen (§ 82 Abs. 2 SGB IX), diesen Verstoß habe er jedoch durch die nachträgliche Einladung zu einem Bewerbungsgespräch geheilt. Gegen diese Entscheidung legte der Bewerber Revision in.

BAG verneinte Heilung des Verstoßes gegen die Einla­dungs­pflicht

Das Bundes­a­r­beits­gericht vertrat die Auffassung, dass ein Verstoß gegen die Einla­dungs­pflicht schwer­be­hin­derter Bewerber (§ 82 Abs. 2 SGB IX) nicht geheilt werden könne. Er könne nicht rückgängig und damit ungeschehen gemacht werden. Die nachträgliche Einladung habe daher die ursprüngliche Nichteinladung nicht rechtlich unbeachtlich gemacht. Denn weder das AGG noch das SGB IX sehe eine solche Heilung oder eine damit verbundene rückwirkende Unbeacht­lichkeit des Verstoßes ausdrücklich vor.

Keine analoge Anwendung anderer Heilungs­vor­schriften

Eine analoge, also entsprechende, Anwendung der Heilungs­vor­schriften aus dem Sozialrecht sei nicht in Betracht gekommen, so das Bundes­a­r­beits­gericht weiter. Zwar habe der Gesetzgeber im SGB IX vereinzelt und gezielt Heilungs­vor­schriften bzw. Nachbes­se­rungs­mög­lich­keiten geschaffen. Dies gelte jedoch nicht für § 82 Abs. 2 SGB IX. Daher habe keine ungeplante Regelungslücke vorgelegen.

Nachträgliche Einladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch begründet geringere Chancen und Missbrauchs­gefahr

Eine nachträgliche Einladung zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch gebe dem schwer­be­hin­derten Bewerber nach Einschätzung des Bundes­a­r­beits­ge­richts zudem nicht dieselben Chancen einer Einstellung wie eine ursprüngliche Einladung. Es sei nicht zu erwarten, dass der Bewerber unbefangen in ein nachgeholtes Gespräch geht oder dass sich der Arbeitgeber durch das Sich-zur-Wehr-Setzen des nicht­ein­ge­ladenen Bewerbers unbeeinflusst bleibt. Hinzu komme eine erhebliche Missbrauchs­gefahr. Denn ein Arbeitgeber könne sich bewusst eine Hintertür offen lassen. Er könne nämlich zunächst die Bewerbung eines Schwer­be­hin­derten unberück­sichtigt lassen und erst auf Beschwerde dessen eine Einladung aussprechen und somit einer Inanspruchnahme auf Entschädigung entgehen.

Urteil des Hessischen Landes­a­r­beits­ge­richts war aufzuheben

Das Bundes­a­r­beits­gericht hob das Urteil des Hessischen Landes­a­r­beits­ge­richts auf und wies es zur Neuentscheidung zurück. Denn das Landes­a­r­beits­gericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob ein Zusammenhang zwischen der Nichteinladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch und der Behinderung des Bewerbers bestand. Es habe geklärt werden müssen, ob das beklagte Land eine Benachteiligung widerlegt bzw. entkräftet hat (§ 22 AGG).

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)

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