18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen die Ausrüstung eines Polizisten.
ergänzende Informationen

Kammergericht Berlin Urteil27.07.2020

Heimliches Abstreifen des Kondoms - Stealthing - ist als sexueller Übergriff strafbarHeimliches Abstreifen des Kondoms beim Geschlechts­verkehr ist strafbar

Das Berliner Kammergericht hat die Verurteilung eines Mannes zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe wegen sogenannten "Stealthing" bestätigt. Danach ist das heimliche Abstreifen des Kondoms während des ursprünglich einver­nehm­lichen Geschlechts­verkehrs zumindest dann als sexueller Übergriff gemäß § 177 Absatz 1 StGB strafbar, wenn der Täter das Opfer nicht nur gegen dessen Willen ohne Kondom penetriert, sondern im weiteren Verlauf des ungeschützten Geschlechts­verkehrs in den Körper des Opfers ejakuliert.

Das Berliner Kammergericht bestätigte mit seinem Revisionsurteil die vorhergehenden Entscheidungen des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts Berlin. Der Angeklagte war zunächst vom Amtsgericht Tiergarten wegen sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Absatz 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden. Das Landgericht Berlin setzte die Strafe im Berufungs­ver­fahren auf sechs Monate Freiheitsstrafe herunter, bestätigte aber die Rechts­auf­fassung des erstin­sta­nz­lichen Urteil weitgehend. Das Kammergericht schloss sich der Argumentation der Vorinstanzen an.

Sex war einvernehmlich - aber nur mit Kondom

Täter und geschädigtes Opfer - ein Polizist und eine junge Polizei­an­wärterin - hatten sich auf der Online-Dating-Seite "Lovoo" kennengelernt und zu einem Treffen in der Wohnung des Täters verabredet. Dort kamen sie sich körperlich näher und hatten schließlich einver­nehm­lichen Sex miteinander. Vor dem Geschlechtsverkehr hatte die Polizei­an­wärterin dem Angeklagten mehrfach sehr deutlich gesagt, dass sie auf keinen Fall Geschlechts­verkehr ohne Kondom haben wolle. Schließlich kam es zum vaginalen Geschlechts­verkehr mit Kondom. Im Verlauf des Geschlechts­verkehrs zog der Angeklagte jedoch mehrfach seinen Penis aus der Vagina und entfernte bei einer dieser Gelegenheiten heimlich das Kondom. Danach drang er erneut in die Frau ein und vollzog den Geschlechts­verkehr ungeschützt ohne Kondom bis hin zum Samenerguss. Aufgrund des früheren wiederholten Insistierens der jungen Frau war ihm dabei bewusst, dass der ungeschützte Geschlechts­verkehr ohne Kondom sowie die Ejakulation in die Vagina gegen den Willen der Frau erfolgte.

Heimliches Abstreifen des Kondoms (Stealthing) gegen den Willen des Partners ist sexueller Übergriff

Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei dieser Art von Stealthing - dem Fortsetzen des ursprünglich einver­nehm­lichen Geschlechts­verkehrs nach heimlichem Abstreifen des Kondoms und der Ejakulation in das Opfer, obwohl dieses nur mit Safer Sex unter Nutzung eines Kondoms einverstanden war - um einen sexuellen Übergriff gemäß § 177 Absatz 1 StGB. Die Tat wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft.

Sexuelle Selbst­be­stimmung ist strafrechtlich geschütztes Rechtsgut

Fraglich war, ob Stealthing in dieser Weise den Straftatbestand des sexuellen Übergriffs erfüllen kann. Denn mit dem penetrierenden Geschlechts­verkehr als solchem war das Opfer einverstanden. Dazu führt das Kammergericht aus, dass das von § 177 StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbst­be­stimmung die Freiheit der Person, über Zeitpunkt, Art, Form und Partner sexueller Betätigung nach eigenem Belieben zu entscheiden, umfasst. Der Rechts­gu­t­inhaber ist nicht nur frei in seiner Entscheidung darüber, ob überhaupt Geschlechts­verkehr stattfinden soll, sondern auch darüber, unter welchen Voraussetzungen er mit einer sexuellen Handlung einverstanden ist.

Kondomnutzung ist nicht nur Begleitumstand der Penetration

§ 177 Absatz 1 StGB schützt das Rechtsgut der sexuellen Selbst­be­stimmung bei allen Personen strafrechtlich umfassend gegen jede sexuelle Handlung, die gegen den Willen einer Person erfolgt. Dazu gehören auch Zeitpunkt, Art und Form der sexuellen Handlung.

Die Kondomnutzung ist beim ansonsten einver­nehm­lichen Geschlechts­verkehr nicht nur ein Begleitumstand der Penetration - jedenfalls dann nicht, wenn das Tatopfer erklärt hat, in keinem Fall ungeschützten Geschlechts­verkehr ausüben zu wollen. Im vorliegenden Fall hat tedas Opfer gerade nicht erklärt, mit vaginalem Geschlechts­verkehr an sich einverstanden zu sein, sondern vaginalen Geschlechts­verkehr ohne Kondom unmiss­ver­ständlich abgelehnt. Mit dieser Willensäußerung hatte die geschädigte Frau für ihre sexuelle Begegnung mit dem Angeklagten einem konkreten, inhaltlich klar definierten sexuellen Geschehen - nämlich dem ungeschützten vaginalen Geschlechts­verkehr - unbedingt widersprochen. Genau diese sexuelle Handlung widersprach dem Willen der Nebenklägerin.

Ungewollte Aufnahme von Ejakulat hat Tathandlung wesentlich geprägt

Auch habe, so das Kammergericht, der abredewidrig in ungeschützter Form ausgeführte Geschlechts­verkehr nicht allein in der weiteren Penetration bestanden, sondern habe der Angeklagte den ungeschützten Geschlechts­verkehr bis zur Ejakulation in der Vagina der Geschädigten vollzogen. Dies habe die Tathandlung wesentlich geprägt. Daran, dass das Opfer gegen seinen Willen das Ejakulat des Angeklagten in den Körper aufnehmen musste, zeige sich, dass es sich beim Fehlen des Kondoms nicht nur um eine bloße Modalität der an sich einver­nehm­lichen Penetration handele. Denn die sexuelle Handlung des Beischlafs ist nicht notwendig mit einem Samenerguss im Körper des Geschädigten verbunden. Bei § 177 Absatz 1 StGB ist der Wille des Rechts­gut­s­trägers zu ermitteln. Der ungewollten Aufnahme des Ejakulats - zumal in der Vagina einer grundsätzlich gebärfähigen Frau - kommt dabei maßgebliche Bedeutung zu.

Quelle: Kammergericht Berlin, ra-online (vt/we)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil29082

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI