21.11.2024
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Dokument-Nr. 30775

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Kammergericht Berlin Beschluss30.08.2021

Kammergericht lässt in einem Rechtsstreit über die Eröffnung eines Hauptverfahrens „EncroChat“-Daten als Beweismittel zuAbgefangene Chatnachrichten eines Drogendealers als Beweismittel zugelassen

Der 2. Strafsenat des Kammergerichts hat mit Beschluss vom 30. August 2021 die durch französische Ermitt­lungs­be­hörden erhobenen „EncroChat“-Daten als zulässiges Beweismittel in einem deutschen Strafverfahren gewertet und eine auf diesen Daten basierende Anklage der Staats­an­walt­schaft Berlin zur Haupt­ver­handlung zugelassen.

Der Entscheidung lag folgender Verfahrensgang zugrunde: Die Staats­an­walt­schaft Berlin hatte am 6. Mai 2021 Anklage zum Landgericht Berlin gegen einen 32-jährigen Mann erhoben und diesem zur Last gelegt, in mehreren Fällen unerlaubt mit Betäu­bungs­mitteln (vor allem Canna­bis­produkte, MDMA-Tabletten und Amfetamin) in nicht geringer Menge (d.h. im Kilobereich) Handel getrieben zu haben. Der Angeklagte soll sich für die Absprachen mit seinen Lieferanten und Abnehmern sowie mehreren Mittätern des als besonders abhörsicher beworbenen nieder­län­dischen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­dienstes „EncroChat“ bedient haben.

Rechtswidrige Überwachung von tausenden Nutzern

Mit Beschluss vom 1. Juli 2021 lehnte die 25. Strafkammer des Landgerichts Berlin die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Chatnachrichten des Angeklagten seien in einem deutschen Strafverfahren als Beweismittel nicht verwertbar. Die Chatnachrichten des Angeklagten stammten ursprünglich von einem durch französische Ermitt­lungs­be­hörden unter Beteiligung von Eurojust und Europol geführten Ermitt­lungs­ver­fahren gegen die „EncroChat“-Betreiber. Im Verlauf des französischen Ermitt­lungs­ver­fahrens wurde mit Genehmigung eines französischen Gerichts u.a. ein sich in Frankreich befindlicher Server mit einer Überwa­chungs­software infiltriert und die Daten von insgesamt 32.477 „EncroChat“-Nutzern in 121 Ländern, u.a. in Frankreich und Deutschland, abgefangen. Zu einer Unterrichtung der Bundesrepublik Deutschland über die Überwachung sei es, so die 25. Kammer des Landgerichts, entgegen der einschlägigen Rechts­hil­fe­vor­schriften nicht gekommen.

Illegale Überwachung führt zu Beweis­ver­wer­tungs­verbot

In seinem umfangreichen Beschluss hatte die Kammer entschieden, dass die sicher­ge­stellten „EncroChat“-Nachrichten als Beweismittel nicht verwertbar seien. Zur Begründung hatten die Richter ausgeführt, dass die Erhebung der Daten durch die französischen Ermitt­lungs­be­hörden sowohl gegen europäische Rechts­hil­fe­vor­schriften (Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermitt­lungs­a­n­ordnung in Strafsachen) als auch gegen deutsche Vorschriften zur Überwachung der Telekom­mu­ni­kation verstoßen habe. Insbesondere sei die Überwachung des Mobiltelefons des Angeklagten ohne konkreten Tatverdacht gegen den Angeklagten erfolgt. Es habe daher an einer grundlegenden Eingriffs­vor­aus­setzung gemangelt, so dass die Überwachung insgesamt nicht mehr als rechtsstaatlich angesehen werden könne. Die Rechtsverstöße seien so schwerwiegend, dass sie zu einem Beweis­ver­wer­tungs­verbot führten.

Verwendung von "Zufallsfunden" vor Gericht zulässig

Die Staats­an­walt­schaft hatte gegen den Beschluss der Kammer Beschwerde erhoben. Das Kammergericht hat nun in der Beschwer­de­instanz mit Entscheidung vom 30. August 2021 den Beschluss des Landgerichts Berlin aufgehoben und das Verfahren vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Berlin eröffnet. Aus Sicht des Strafsenats handele es sich bei den Daten um sogenannte „Zufallsfunde“. Die Verwendung von solchen Zufallsfunden sei nach den einschlägigen deutschen Vorschriften zur Überwachung der Telekom­mu­ni­kation (§ 100 e Abs. 6 Nr. 1 StPO) zulässig. Es gelte zudem aufgrund des in Europa geltenden Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Dies führe im Ergebnis dazu, dass die nach französischem Recht gewonnenen Erkenntnisse im deutschen Strafverfahren verwendet werden dürften.

Quelle: Kammergericht Berlin, ra-online (pm/aw)

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