21.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil23.03.2016

Voraussetzung für den Erhalt von Überbrü­ckungsgeld ist Wohnsitz in DeutschlandKein Überbrü­ckungsgeld für Tauchlehrer in Spanien

Wer eine selbstständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnimmt und damit Arbeits­lo­sigkeit beendet oder vermeidet, erhielt nach alter Rechtslage zur Sicherung des Lebens­un­terhalts Überbrü­ckungsgeld. Nach der Geset­ze­s­än­derung wird nunmehr ein Gründungs­zu­schuss gewährt. Voraussetzung ist allerdings ein Wohnsitz in Deutschland. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Im zugrunde liegenden Streitfall beantragte ein arbeitsloser Mann aus dem Vogelsbergkreis im Jahre 2005 bei der Bundesagentur für Arbeit die Gewährung von Überbrückungsgeld. Er beabsichtige, sich als Tauchlehrer in Deutschland selbstständig zu machen. Er wolle eine Tauchschule betreiben, Event­ver­an­stal­tungen innerhalb der Tauchbranche organisieren, Vertrie­bs­se­minare durchführen, Tauch­s­port­artikel verkaufen und Tauchreisen für Clubs und Gruppen durchführen. Die Bundesagentur für Arbeit gewährte ihm für sechs Monate Überbrü­ckungsgeld in Höhe von fast 12.000 Euro. Im Jahre 2011 beantragte der Mann erneut bei der Bundesagentur für Arbeit Arbeits­lo­sengeld. Diese erfuhr aufgrund von Unterlagen der spanischen Arbeits­ver­waltung, dass der Mann (während er das Überbrü­ckungsgeld bezog – auf Mallorca abhängig beschäftigt gewesen war und forderte daraufhin das Geld von ihm zurück. Der Mann verwies darauf, dass er parallel zu seiner Tätigkeit als Verwalter einer Ferienanlage Tauchkurse gegeben und seine Tauchschule aufgebaut habe.

Neue Tätigkeit in Spanien berechtigt nicht zum Bezug von Überbrü­ckungsgeld

Die Richter des Hessischen Landes­so­zi­al­ge­richts gaben der Bundesagentur für Arbeit Recht. Die Tätigkeit in Spanien sei eine neue Tätigkeit gewesen, für welche Überbrü­ckungsgeld nicht zu gewähren sei. Ein Wechsel der Tätigkeit sei nur dann unschädlich, wenn sich die Konzeption der neuen Tätigkeit nicht wesentlich von der ursprünglichen unterscheide. Voraussetzung für die Gewährung von Überbrü­ckungsgeld sei ein Businessplan sowie eine fachkundige Stellungnahme (z.B. von der Industrie- und Handelskammer), die sich auf den konkreten Businessplan und die entsprechende Renta­bi­li­täts­vorschau beziehe. Die vom Kläger vorgelegte fachkundige Stellungnahme beziehe sich jedoch nicht auf die Tragfähigkeit einer Tauchschule und den Vertrieb von Tauch­s­port­ar­tikeln in Spanien, wo die Mitbe­wer­ber­si­tuation eine vollständig andere sei als in Deutschland.

Überbrü­ckungsgeld nur bei Wohnsitz in Deutschland

Darüber hinaus sei die Leistungs­ge­währung auch rechtswidrig geworden, weil der Mann in der entsprechenden Zeit weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe. Dies sei aber Voraussetzung für die Gewährung von Überbrü­ckungsgeld, welches die wirtschaftliche Lebensgrundlage in Deutschland während der selbstständigen Tätigkeit absichern solle. Der Mann sei jedoch nach Mallorca gegangen, um sich dort eine neue Existenz mit seiner Frau aufzubauen und eine Ferienanlage zu übernehmen. Da er die Änderung seiner Tätigkeit der Bundesagentur für Arbeit nicht angezeigt habe, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen sei, könne die Leistungs­ge­währung auch rückwirkend aufgehoben werden.

Hinweise zur Rechtslage

§ 57 Sozial­ge­setzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung von 23. April 2004

(1) Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeits­lo­sigkeit beenden oder vermeiden, haben zur Sicherung des Lebens­un­terhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenz­gründung Anspruch auf Überbrü­ckungsgeld.

(2) Überbrü­ckungsgeld wird geleistet, wenn der Arbeitnehmer

1. in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung

a) Entgel­ter­satz­leis­tungen nach diesem Buch bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte

oder

b) eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeits­be­schaf­fungs­maßnahme gefördert worden ist, und

2. eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenz­gründung vorgelegt hat; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie( und Handelskammern, Handwerks­kammern, berufs­s­tän­dischen Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.

(3) Das Überbrü­ckungsgeld wird für die Dauer von sechs Monaten geleistet. [...]

§ 93 SGB III in der aktuellen Fassung vom 20. Dezember 2011

(1) Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, haupt­be­ruf­lichen Tätigkeit die Arbeits­lo­sigkeit beenden, können zur Sicherung des Lebens­un­terhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenz­gründung einen Gründungs­zu­schuss erhalten.

(2) Ein Gründungs­zu­schuss kann geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer

1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt [...]

2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenz­gründung nachweist und

3. ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.

Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenz­gründung ist der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerks­kammern, berufs­s­tän­dische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. [...]

§ 48 Sozial­ge­setzbuch Zehntes Buch (SGB X)

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwal­tungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit [...]

2. der Betroffene einer durch Rechts­vor­schrift vorge­schriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, [...]

§ 30 Sozial­ge­setzbuch Erstes Buch (SGB I)

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. [...]

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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