21.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil30.10.2015

Rollstuhlfahrer hat keinen Anspruch auf Kosten­be­tei­ligung für Aufzug im selbst geplanten Neubau durch Renten­ver­si­cherungErreichbarkeit des Arbeitszimmers im 1. Stock eines neugebauten Einfa­mi­li­en­hauses wird finanziell nicht gefördert

Ist ein Versicherter auf einen Rollstuhl angewiesen und plant beim Neubau eines Einfa­mi­li­en­hauses sein Arbeitszimmer im 1. Stock, so ist dies Folge seiner persönlichen Lebensführung. Ein Anspruch auf Leistungen im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben besteht insoweit nicht, so dass die Kosten für einen Aufzug nicht von der Renten­ver­si­cherung zu tragen sind. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein seit 2008 auf einen Rollstuhl angewiesene Mann ist als Konstruk­ti­o­ns­leiter beschäftigt. Der 48-jährige Mann wohnte zunächst in der Nähe seines behin­der­ten­gerecht ausgestatteten Arbeitsplatzes. Er plante den Bau eines Einfa­mi­li­en­hauses mit einem Arbeitszimmer im 1. Stock sowie einem Aufzug und beantragte hierfür bei der Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Renten­ver­si­cherung lehnte eine Kostenübernahme ab. Eine Wohnungshilfe sei nur dann von ihr als Rehabi­li­ta­ti­o­ns­träger zu erbringen, wenn eine berufsbezogene Notwendigkeit vorliege.

Arbeitszimmer im 1. Stock ist persönliche Entscheidung und finanziell nicht zu fördern

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht und auch die Vorinstanz gaben der Renten­ver­si­cherung Recht. Die Renten­ver­si­cherung erbringe u.a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um den Auswirkungen von Krankheit und Behinderung auf die Erwer­b­s­tä­tigkeit entge­gen­zu­wirken. Hierzu gehöre auch die Wohnungshilfe, mit welcher die Kosten für die Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behin­der­ten­ge­rechten Wohnung in angemessenem Umfang übernommen würden. Im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben seien jedoch Maßnahmen nicht förde­rungs­würdig, die ohne unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung zum Bestandteil der persönlichen Lebensführung gehörten, die Lebensqualität verbesserten oder elementare Grund­be­dürfnisse befriedigten und sich daher nur mittelbar auf die Berufsausübung auswirkten. Entscheidend sei, welchem Lebensbereich die begehrte Leistung schwer­punktmäßig zuzuordnen sei.

Einbau des Aufzugs würde ebenso Erreichbarkeit privater Räume dienen

Der Mann habe einen behin­der­ten­gerecht ausgestatteten Arbeitsplatz. Daneben arbeite er in einem häuslichen Arbeitszimmer. Das Zimmer im 1. Stockwerk einzurichten habe in seinem privaten Ermessen gelegen. Auf dieser Etage befänden sich darüber hinaus weitere Privaträume, deren Nutzung keinen Bezug zur Berufsausübung des Klägers habe. Der Einbau des Aufzugs diene daher mindestens gleichwertig der Erreichbarkeit dieser privaten Räume.

Bedürftigkeit liegt nicht vor

Der Mann habe auch keinen Anspruch auf Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft als Maßnahme der Einglie­de­rungshilfe auf der Grundlage sozia­l­hil­fe­recht­licher Vorschriften. Diese würden nur bei Bedürftigkeit gewährt, welche bei dem Mann nicht vorliege.

Hinweise zur Rechtslage

§ 9 Sozial­ge­setzbuch Sechstes Buch (SGB VI)

(1) Die Renten­ver­si­cherung erbringt [...] Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen, um

1. den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwer­bs­fä­higkeit der Versicherten entge­gen­zu­wirken oder sie zu überwinden und

2. dadurch Beein­träch­ti­gungen der Erwer­bs­fä­higkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder­ein­zu­gliedern.

[...]

§ 10 SGB VI

(1) Für Leistungen zur Teilhabe haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen erfüllt,

1. deren Erwer­bs­fä­higkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und

2. bei denen voraussichtlich

a) bei erheblicher Gefährdung der Erwer­bs­fä­higkeit eine Minderung der Erwer­bs­fä­higkeit durch Leistungen [...] zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann,

b) bei geminderter Erwer­bs­fä­higkeit diese durch Leistungen [...] zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wieder­her­ge­stellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlech­terung abgewendet werden kann,

c) bei teilweiser Erwer­bs­min­derung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwer­bs­fä­higkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.

§ 33 Sozial­ge­setzbuch Neuntes Buch (SGB IX)

(1) Zur Teilhabe am Arbeitsleben werden die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwer­bs­fä­higkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungs­fä­higkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wieder­her­zu­stellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.

(3) Die Leistungen umfassen insbesondere

1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung,

[...]

6. sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten.

(8) Leistungen nach Absatz 3 Nr. 1 und 6 umfassen auch

[...]

6. Kosten der Beschaffung, der Ausstattung und der Erhaltung einer behin­de­rungs­ge­rechten Wohnung in angemessenem Umfang.

§ 55 SGB IX

(1) Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden.

(2) Leistungen nach Absatz 1 sind insbesondere

[...]

5. Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht

§ 19 Sozial­ge­setzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)

(3) Hilfen zur Gesundheit, Einglie­de­rungshilfe für behinderte Menschen, [...] werden [...] geleistet, soweit den Leistungs­be­rech­tigten [...] die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen [...] nicht zuzumuten ist.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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