18.10.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil15.09.2011

Hessisches LSG: Auskunfts­be­schluss des Bundes­kar­tellamtes rechtswidrigGesetzliche Krankenkassen müssen gegenüber dem Bundes­kar­tellamt keine Auskünfte wegen der Ankündigung von Zusatzbeiträgen geben

Im Hinblick auf die Erhebung von Zusatzbeiträgen unterliegt das gemeinsame Handeln der gesetzlichen Krankenkassen nicht der Kartellaufsicht. Dies hat das Hessische Landes­so­zi­al­gericht in seiner Entscheidung bekannt gegeben.

Im hier zugrunde liegenden Rechtsstreit haben am 25. Januar 2010 acht gesetzliche Krankenkassen bei einem gemeinsamen Presseauftritt im Haus der Bundes­pres­se­kon­ferenz in Berlin die Erhebung von Zusatzbeiträgen angekündigt.

Bundes­kar­tellamt erlässt Auskunfts­be­schlüsse wegen Verdacht auf Preisabsprache

Wegen des Verdachts der unerlaubten Preisabsprache leitete das Bundes­kar­tellamt förmliche Verfahren ein und erließ am 17. Februar 2010 gegenüber den Krankenkassen entsprechende Auskunfts­be­schlüsse. Hiergegen erhob die Krankenkasse Klage vor dem Hessischen Landes­so­zi­al­gericht, das hierfür erstinstanzlich zuständig ist. Sie sieht ihr Selbstverwaltungsrecht verletzt und hält das Kartellrecht für nicht anwendbar. Das Bundes­kar­tellamt hingegen stuft die gesetzlichen Krankenkassen als Unternehmen im Sinne des Wettbe­wer­bs­rechts ein.

Mit Beschluss vom 1. Juni 2010 hat das Hessische Landes­so­zi­al­gericht die Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten bejaht. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Bundes­so­zi­al­gericht mit Beschluss vom 28. September 2010 zurückgewiesen.

Auskunfts­be­schluss verletzt Krankenkassen im Selbst­ver­wal­tungs­gericht

Die Darmstädter Richter haben der Krankenkasse Recht gegeben und den Auskunftsbeschluss für rechtswidrig erklärt. Für das Auskunfts­be­gehren des Kartellamtes gebe es keine Rechtsgrundlage. Der Auskunfts­be­schluss verletze daher die Krankenkasse in ihrem Selbst­ver­wal­tungsrecht. Für die staatliche Aufsicht der Versi­che­rungs­träger sei zudem ausschließlich das Bundes­ver­si­che­rungsamt zuständig.

Preiswettbewerb unter gesetzlichen Krankenkassen keine wirtschaftliche Tätigkeit

Das Kartellamt könne sich auch nicht auf ein Nebeneinander von Kartell- und Aufsichtsrecht berufen. Denn das GWB sei auf die Wettbe­wer­bs­be­zie­hungen der Krankenkassen untereinander im Verhältnis zu potentiellen Pflicht­ver­si­cherten nicht anwendbar. Die Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts handelten insoweit nicht als Unternehmen. Die Teilnahme am Preiswettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen und damit auch das auf die Erhebung eines Zusatzbeitrags gerichtete Handeln seien keine wirtschaftliche Tätigkeit.

Gesetzliche Krankenkassen üben keine Gewinn­er­zie­lungs­absicht aus

Anders als die privaten Versi­che­rungs­träger würden die gesetzlichen Krankenkassen eine rein soziale Aufgabe wahrnehmen, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werde. Dabei seien die Krankenkassen im Wesentlichen zu den gleichen Leistungen verpflichtet und müssten diese unabhängig von der jeweiligen Beitragshöhe erbringen. Die Beitrags­be­messung sei grundsätzlich einkommens- und nicht risikoabhängig. Zudem seien die Krankenkassen zu einer Art Solida­r­ge­mein­schaft zusam­men­ge­schlossen und hätten untereinander einen Kosten- und Risikoausgleich vorzunehmen.

Erläuterungen
§ 4 Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch (SGB V)

(1) Die Krankenkassen sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbst­ver­waltung.

(...)

(3) Im Interesse der Leistungs­fä­higkeit und Wirtschaft­lichkeit der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung arbeiten die Krankenkassen und ihre Verbände sowohl innerhalb einer Kassenart als auch kassen­ar­ten­über­greifend miteinander und mit allen anderen Einrichtungen des Gesund­heits­wesens eng zusammen.

§ 3 SGB V - Solidarische Finanzierung

Die Leistungen und sonstigen Ausgaben der Krankenkassen werden durch Beiträge finanziert. Dazu entrichten die Mitglieder und die Arbeitgeber Beiträge, die sich in der Regel nach den beitrags­pflichtigen Einnahmen der Mitglieder richten. Für versicherte Familien­an­ge­hörige werden Beiträge nicht erhoben.

§ 242 SGB V - Kassen­in­di­vi­dueller Zusatzbeitrag

(1) Soweit der Finanzbedarf einer Krankenkasse durch die Zuweisungen aus dem Fonds nicht gedeckt ist, hat sie in ihrer Satzung zu bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein einkom­men­s­u­n­ab­hängiger Zusatzbeitrag erhoben wird.

§ 29 Sozial­ge­setzbuch Viertes Buch (SGB IV) - Rechtsstellung

(3) Die Versi­che­rungs­träger erfüllen im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts ihre Aufgaben in eigener Verantwortung.

§ 87 SGB IV - Umfang der Aufsicht

(1) Die Versi­che­rungs­träger unterliegen staatlicher Aufsicht. (...)

§ 90 SGB IV - Aufsichts­be­hörden

(1) Die Aufsicht über die Versi­che­rungs­träger (...) führt das Bundes­ver­si­che­rungsamt (...).

§ 86 Sozial­ge­setzbuch Zehntes Buch (SGB X) - Zusammenarbeit

Die Leistungsträger, ihre Verbände und die in diesem Gesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen sind verpflichtet, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetzbuch eng zusam­men­zu­a­r­beiten.

§ 1 Gesetz gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen (GWB)

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unter­neh­mens­ver­ei­ni­gungen und aufeinander abgestimmte Verhal­tens­weisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

§ 32 GWB - Abstellung (...) von Zuwider­hand­lungen

(1) Die Kartellbehörde kann Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen verpflichten, eine Zuwiderhandlung gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes (...) abzustellen.

§ 59 GWB - Auskunfts­ver­langen

(1) Soweit es zur Erfüllung der in diesem Gesetz der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Kartellbehörde (...)

1. von Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen Auskunft über ihre wirtschaft­lichen Verhältnisse sowie die Herausgabe von Unterlagen verlangen

(...)

§ 130 GWB - Unternehmen der öffentlichen Hand, Geltungsbereich

(1) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder die von ihr verwaltet oder betrieben werden.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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